Nichts gegen die »Illustrierte«
Friedrich Burschell widmet in No 7 der »Literarischen Welt« Jean Paul zum 100. Todestage ein ehrendes Gedenken. Und im Vorübergehen denunziert er, was ihm als Schändung des Mannes und seines Andenkens erscheint. Er hat im Auge die »Berliner Illustrierte Zeitung«; in der fraglichen Nummer kommt »die Großaufnahme der Titelseite der Jugend zugut, drei Dichterkindern«, unter denen der Sohn Thomas Manns allerdings selber schon »als Dichter vorgeführt wird, vor dem in beträchtlich weitem Abstand und in entsprechend verkleinerter Wiedergabe Jean Paul in den hintersten Winkel kroch, nicht ohne auch hier, auf der letzten Seite, mit dem kleinbürgerlichen Helden eines obskuren Prozesses, mit zwei groß aufgemachten, in Federn und Pelzwerk prangenden Nutten und zwei Katzen und einem Affen konfrontiert zu werden und nur beileibe nicht, wiewohl es sich ebensogut hätte machen lassen, mit den Kreaturen, die der Dichter mit rührendster Zärtlichkeit liebte, mit Eichhörnchen, Hunden, Singvögeln oder Schmetterlingen«. Was wohl keinem aufgestoßen wäre, der Frage zu geschweigen, ob nicht Nutten, Katzen und Affen seelenvoller als gerade Schmetterlinge und Singvögel in der Kamera obscura erscheinen. – Jedoch, was soll das alles. Und wem steht nicht fest, daß unter den gegebnen Bedingungen demokratischer Publizistik etwas besseres als die »Berliner Illustrierte« auf dem westeuropäischen Kontinent nicht existiert. Daß sie so unübertrefflich »interessant« gerade nur wegen der Exaktheit ist, mit der sie die lasterhaft zerstreute Aufmerksamkeit des Bankbeamten, der Sekretäre, des Konfektionärs allwöchentlich in einem Hohlspiegel zusammenzieht. Dieser dokumentarische Charakter ist ihre Macht und zugleich ihre Legitimation. Ein großer Jean Paul-Kopf auf der Titelseite der Illustrierten, was wäre langweiliger? »Interessant« aber ist er gerade nur, solange sein Kopf klein bleibt. Die Dinge in der Aura ihrer Aktualität zu zeigen, ist mehr wert, ist weit, wenn auch indirekt, fruchtbarer, als mit den letzten Endes sehr kleinbürgerlichen Ideen der Volksbildung aufzutrumpfen. Wenn gar die kühle, schattenspendende Aktualität dieser Bildseiten nicht wie die übliche und wohlfeilere zu 100% der Spekulation auf die niedrigsten Instinkte, sondern zu 50% ihrer technischen Gewissenhaftigkeit zu danken ist, so sollte sie sich das Recht erworben haben, vom Literaten dem die Mitarbeit an ihr – weiß Gott! – nicht zukommt, mit wohlwollendster Neutralität beobachtet zu werden.