Rainer Maria Rilke und Franz Blei
Geistreich wie ein Abbé und salbungsvoll wie ein Prêtre hat an dieser Stelle Franz Blei zum Tode Rilkes das Wort ergriffen. Mancher bleibt da vielleicht überwältigt. Nicht vom Verlust vor heiligem Respekt für diesen Redner, der es im Grunde also längst schon wußte, ein Dichter Rilke habe nie gezählt und werde auch dereinst, wenn Rudolf Borchardt auf dem Parnaß dreimal in die Posaune stößt, zur Ewigkeit nicht einberufen werden. Sic transit gloria mundi – nämlich am offenen Grabe.
Es ist eine gute Sache um Stellungnahme. Und eine harte Totenrede ehrt, wenn schon nicht einen Toten, so die Hörer. Dann aber tritt in ihr dem nackten Tod die nackte Wahrheit entgegen. Dann faltet nicht im letzten Satz der Pamphletist die Tintenfinger, zwischen denen der Rosenkranz ihm hervorsieht. Nein hätte dieser neunmal weise Nekrolog auch recht, Anrecht auf unser Ohr besitzt er nicht.
Die Dichtung Rilkes ist mit allen Schwächen, mit allen Lastern seiner Generation so verbunden, daß etwas beinah wie Erleichterung beim Tode dieses Zeugen, dieses Genossen ihrer süßen Schmach sie überkommen darf. Aus diesem Grunde hätte sie zu schweigen. Denn all die Sittsamen, Verschüchterten, die es der großen Buhlerin nicht nachtun konnten, als welcher wir der Phantasie des Dichters Rilke eingedenk sein werden, besaßen keinen Funken der Askese, die seiner Preisgegebenheit zum Grunde lag. Was sie an dem Histörchen der Régence mit archivalischem Ergötzen schmeckten, das hat an seinem Leibe dieser Dichter lebenslang durchlitten.
Längst geht es in Europa mit der reinen Lyrik zu Ende. Die kommen könnte, ist politisch und didaktisch, wie sie zuerst George, in den letzten Büchern prägte. Rilke hat in der tiefen Stille seines Daseins der anderen das abgeschiedene Asyl gegeben, in welchem sie zur Ruhe gehen durfte. Menschenstimmen drangen da nicht mehr hin. So hat er denn mit Dingen, die er liebte, sie umstellt, aus Resonanzen, Obertönen dieser Dinge den Laut seiner besten Gedichte gebaut. Ganz wurde er dennoch nie Herr der verwesenden Innerlichkeit, die da im »Stundenbuch« mit den Emblemen des Jugendstils gräßlichen Einzug hielt. Wahr ist auch, daß mit jedem neuen Streifzug durch das Werk die Ernte zwischen seinen Blättern ärmer wurde. Immer aber bleiben darin, zwischen alten und frischen, Lieder von der vollendeten taktilen Schönheit von Früchten; Strophen, die sich als Lied im Sinn der Griechen von Hand zu Hand wie eine Schale, eine Scherbe geben lassen. So sind der »Ange du Méridien« und die »Kretische Artemis«, das »östliche Taglied« und der »Archaïsche Torso Apollos« durch die Hände einer Generation gegangen, der bei so feinem billigen Undank nicht wohl wird.
Sie wartet noch auf einen Nachruf für Rilke.