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Staatsmonopol für Pornographie

Wahrscheinlich hat Spanien die schönsten Zeitungskioske der Erde. Wer die Straßen von Barcelona entlangschlendert, ist von diesen windigen, buntscheckigen Gerüsten flankiert, Tanzmasken, unter denen die junge Göttin der Information ihren provozierenden Bauchtanz ausführt. Aus dieser Maske hat vor einigen Wochen das Direktorium den strahlenden Stirnreif herausgebrochen. Es untersagte den Vertrieb der fünf oder sechs deutlichen Kollektionen, welche die Liebe ohne ... –––, die weitverbreitete Morseschrift, die in der schönen Literatur ihrer Darstellung dient, behandelt haben. Bekanntlich wird diese Emanzipation von der Morseschrift in der Übermittelung geschlechtlicher Vorgänge mit dem Namen »Pornographie« belegt. Wie dem nun sei: die zartgetönten spanischen Heftchen unterschieden sich nicht von Büchern wie unsere »Memoiren einer Modistin«, »Boudoir und Reitbahn«, »Ihre ältere Freundin«. Lehrreich an ihnen war etwas anderes: im Register ihrer Verfasser fanden sich angesehene Autoren, ja sogar Dichter von dem Range eines Gómez de la Serna. Unstreitig Stoff genug zu einer Glosse, die in den lauteren Flammen sittlicher Entrüstung ihren Gegenstand reinlich verzehren würde. Statt aber dergestalt mit ihm zu verfahren, wollen wir ihn ein Weilchen betrachten.

In einem sind pornographische Bücher wie alle andern: darin nämlich, daß sie auf Schrift und Sprache gegründet sind. Hätte die Sprache in ihrem Wortschatz nicht Stücke, die von Haus aus obszön angelegt und gemeint sind, das pornographische Schrifttum wäre seiner besten Mittel beraubt. Woher kommen nun solche Wörter?

Die Sprache, in den verschiedenen Stadien ihres geschichtlichen Daseins, ist ein einziges großes Experiment, das in so vielen Laboratorien veranstaltet wird als die Erdkugel Völker trägt. Dabei geht es überall um die Einheit der schnellen, unzweideutigen Mitteilung mit befreiendem, suggestivem Ausdruck. (Was ein Volk der Mühe wert hält zu sagen, richtet sich danach, welche Chancen des Ausdrucks, welche Arten der Mitteilung es überhaupt absieht.) Für dieses gewaltige Experimentalunternehmen stellt große Poesie gewissermaßen ein Formelbuch, das volkhafte Sprachgut aber die Materialien. Beständig wechselt die Versuchsanordnung, und immer wieder ist die ganze Masse von neuem ins rechte Verhältnis zu bringen. Nebenprodukte aller Art sind dabei unvermeidlich. Zu ihnen zählt, was außerhalb der gewohnten, sei es gesprochenen, sei es geschriebenen Sprache, an Prägungen, an Redewendungen im Umlauf ist: Kose- und Firmennamen, Schimpfwort und Schwurwort, Andachtsformeln und Obszönitäten. Das alles ist entweder überschießend im Ausdruck, ausdruckslos, heilig, Ferment der kultischen Sprache oder überdeutlich im Mitteilen, schamlos, verworfen. Abfallprodukte eines alltäglich geübten Verfahrens, gewinnen diese selben Elemente freilich einen entscheidenden Wert in anderen: im wissenschaftlichen vor allem, welches in diesen befremdenden Sprachfragmenten Splitter vom Urgranit des sprachlichen Massivs erkennt. Man weiß, wie genau sich diese Extreme in ihrer polaren Spannung entsprechen. Und es wäre eine der interessantesten Studien über die Rolle des skatologischen Witzes in der Klostersprache des Mittelalters zu machen.

Wenn nun, so wendet man ein, die Produktion solcher Worte derart im Wesen der Sprache begründet ist, daß alle Worte, welche geil im Übermaße mitteilender Energie sich gefallen, schon an die Grenze des Obszönen rühren, sind sie vom Schrifttum um so unbedingter fernzuhalten.

Im Gegenteil: die Gesellschaft hat diese natürlichen – um nicht zu sagen profanen – Prozesse im Sprachleben als Naturkräfte sich nutzbar zu machen, und wie der Niagara Kraftwerke speist, so diesen Sturz und Abfall der Sprache ins Zotige und Gemeine als gewaltige Energiequelle zu benutzen, den Dynamo des schöpferischen Aktus damit zu treiben. Wovon die Dichter eigentlich leben sollen, ist eine ebenso alte wie beschämende Frage, der man seit jeher nur mit Verlegenheiten hat antworten können. Ob man ihm selber oder ob man dem Staat die Sorge dafür anheimstellt: in beiden Fällen kommt es auf sein Verhungern hinaus.

Daher verlangen wir: Staatsmonopol für alle Pornographie. Sozialisierung dieser beträchtlichen Stromkraft. Der Staat verwalte dieses Monopol nach Maßgabe der Bestimmung, die diese literarische Gattung zum ausschließlichen Reservat einer Elite bedeutender Dichter macht. Der Literat erwirbt statt einer Sinekure die Erlaubnis, einen so und so großen Prozentsatz des statistisch ermittelten Bedarfs an Pornographie den zuständigen Stellen zu liefern. Weder im Interesse des Publikums noch des Staates liegt es, den Preis dieser Ware allzu niedrig zu halten. Der Dichter produziert für einen fixierten, nachgewiesenen Bedarf gegen Barzahlung, die ihn vor den ganz unberechenbaren Konjunkturen, die sein wahres Schaffen betreffen, sichert. Sein Unternehmen wird weit sauberer sein als stünde er von nahe oder fern, bewußt oder unbewußt, einer Partei, einer Interessentengruppe zu Diensten. Er wird als Sachkenner dem Amateur überlegen sein und dem unleidlichen Dilettantismus entgegentreten, der auf diesem Gebiete herrscht. Auch wird er, je länger je weniger, seine Arbeit verachten. Er ist nicht Kanalräumer sondern Rohrleger in einem neuen komfortablen Babel.