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Beweis

Alle Induktion ist nichts als die Geschichte der persönlichen Glaubenserweckung; wer das einen Induktionsbeweis nennen will, der mag es tun. Beweis, Demonstration ist nicht mehr persönlich, ist immer für einen anderen, ist ein "Zeigen". Im deduktiven Beweis zeigt der Angekommene dem Neuling seinen Weg. Und weil bei der Länge des Weges, den die Menschheit seit Äonen durchgemacht hat, auch der schlichteste Beweis eine endlose Geschichte, Glaubensgeschichte, Dogmengeschichte werden mußte, sprechen wir in abgekürzten Worten, was wir dann beweisen nennen. Es ist aber niemals mehr als ein Erzählen. Der induktive Beweis erzählt gut, da er vom Anfang anfängt. Der deduktive Beweis erzählt schlecht und virtuos, indem er das Ende leidenschaftlich (bittend, befehlend oder drohend) vorwegnimmt und dann sprunghaft die Mittelglieder zu einem willkürlichen Anfang sucht.

Das Material jeder solchen Geschichte können natürlich nur Worte bieten, die dann auch nichts weiter sind als kurz ausgedrückte Hypothesen für die Einheitlichkeit der Naturerscheinungen. Wir haben das Wort "Baum". Endlos lange mag es gedauert haben, bis das blöde Auge unserer Ahnen (auf einer vormenschlichen Stufe aber gewiß schon) zu dem Begriff "Baum" kam. Unzählbare Assoziationen von Wahrnehmungen haben uns den Begriff ins Gehirn gehämmert; wir zweifeln nicht an unserem Begriff, wir glauben an den "Baum", wir haben in endlosem Weitererfahren schließlich die ganze Botanik um diesen Baum langsam lernend herumgewickelt und wundern uns nachher, dass wir ebenso viel vom "Baum" wieder abwickeln können.

Wäre man sich immer klar darüber, dass man aus dem schönsten Satz induktiver Weisheit nicht mehr herausziehen kann, als man vorher hineingesteckt hat, dass man von einem durch Induktion entstandenen Worte nicht ein Fäserchen mehr herunterwickeln kann, als man vorher hinaufgewickelt hat, dann wäre man auch reif für die Erkenntnis, dass jeder Satz nur hypothetisch, jedes Wort nur vorläufig — bessere Belehrung vorbehalten — zu verstehen ist. Dann würde man auch endlich glauben, dass unsere ganze Begriffsbildung noch in den Kinderschuhen steckt.

Die besten Philosophen quälen sich mit Fragen wie die: Wenn ein weißer Rabe entdeckt würde, wäre er kein wirklicher Rabe, oder müßte man den induktiven Satz "alle Raben sind schwarz" ändern ? Wenn die schwarze, respektive weiße Farbe der Schafe aus annoch unbekannten Ursachen notwendig wäre, dann wäre sie am Ende nicht unwesentlich und wir müßten die einen und die anderen "Schafe" — — — was denn? — — — verschieden benennen.

Das ist es ja. Vorläufig sind die Sätze von den schwarzen Raben, vorläufig ist das Wort "Schaf" auf der Höhe unserer Erkenntnis. Beobachten wir einmal mehr, so wird die Sprache schon langsam nachklettern.

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