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Geschichte der Induktion

Diese ganze Frage ist aber neuen Datums. Das Wort Induktion ist alt, aber die Ahnung, dass sie allein unserer Erkenntnis zugrunde liege, ist neu. Die Behauptung gar, dass Induktion mit Abstraktion identisch und nur Wortbildung sei, wird eben erst von mir aufgestellt. Was Aristoteles über das Wesen der Induktion lehrte, ist für uns so wertlos geworden, wie etwa seine Träumereien über Biologie. Wenn er gar dem Sokrates die Erfindung der Abstraktion und der Induktion zuschreibt, so ist das für uns ein leerer Wortschall. Es handelt sich bei Sokrates — soweit wir das aus Platons Dialogen ersehen können — um kindliche Versuche, den Gebrauch der Begriffe besser festzustellen, nicht um Erkenntnistheorie. Und Aristoteles selbst bewegte sich immer im Kreise seiner Logik, in welcher die Induktion keine natürliche Stelle hatte.

Man muß beinahe 2000 Jahre überspringen, um wenigstens auf praktische Induktionen zu stoßen, wenn auch dann noch nicht auf ihre Theorie. Galilei und Kepler fingen zuerst an, mit Bewußtsein so induktiv vorzugehen, wie es unbewußt der gesunde Menschenverstand von jeher getan hatte. Bacon von Verulam, der den unverdienten Ruf genießt, die Theorie der Induktion geschaffen zu haben, hatte von ihrem sprachlichen Wesen keine Vorstellung. Blitzartig findet sich die Wahrheit vereinzelt einmal bei Galilei, der auf den Einwand. die Induktion sei wertlos, weil unvollständig, die merkwürdige Antwort gab: Wenn die Induktion alle möglichen Fälle umfassen müßte, wäre sie entweder nutzlos oder unmöglich; unmöglich bei einer unendlichen Zahl von Fällen; nutzlos, weil der allgemeine Satz unserer Erkenntnis nichts Neues hinzufügen würde.

Auch diese Antwort führt wieder auf die Frage zurück, die ich jetzt so formulieren möchte: Warum empfinden wir den auf induktivem Wege hergestellten Begriff als ein Gesetz ? Warum fügen wir in unserem Geiste den beobachteten Fällen die Erwartung ähnlicher hinzu? Wie kommen wir zu dieser neuen Erkenntnis, von welcher Galilei spricht?

Der wirkliche Anreger der Induktionstheorie, John Stuart Mill, hat trotz seines englischen Standpunktes diese Hauptschwierigkeit wohl empfunden. Er drückte sich folgendermaßen aus: "Warum ist in manchen Fällen ein einziges Beispiel zu einer vollständigen Induktion hinreichend, während ein andermal Milliarden übereinstimmender Fälle ohne eine einzige bekannte oder vermutete Ausnahme nicht gestatten, auch nur den kleinsten Schritt zur Festsetzung eines allgemeinen Satzes zu tun? ... Wer diese Frage beantworten könnte, verstünde mehr von der Philosophie der Logik als der erste Weise des Altertums, er hätte das große Problem der Induktion gelöst."