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Doppelsterne

John Stuart Mill selbst bildete sich also nicht ein, dieses Urproblem eigentlich gelöst zu haben. Unter seinem Einfluß stehend hat der Astronom John Herschel bei einer merkwürdigen Gelegenheit praktisch etwas getan, was mir auf dem Wege zur Lösung des Problems zu liegen scheint. Bei seinen Berechnungen über die Bahnen der von ihm beobachteten Doppelsterne gelangte er zu einzelnen Punkten einer solchen Bahn, die (bei der Ungeheuern Schwierigkeit genauer Berechnungen) sich nicht zu einer regelmäßigen Kurve verbinden ließen. Es ging ihm ähnlich, wie einst dem großen Newton, dessen Berechnungen über die Mondbahn wegen der groben Irrtümer in seinen Vorlagen zu keiner "vernünftigen" Kurve führten. Newton hatte seine Arbeit verdrießlich liegen lassen, weil bei ihm die Überzeugung von der Wahrheit seines Naturgesetzes noch nicht feststand. Zu John Herschels Zeit oder wenigstens für einen so bedeutenden Astronomen war die Gravitation längst ein so natürlicher Begriff geworden, wie für uns der Jahreswechsel. Er zog also "mit kühner, aber vorsichtiger Hand" eine Kurve, die zwar nicht durch die gegebenen Punkte, aber doch so nahe wie möglich zwischen ihnen hinlief, und nahm an, dass durch diese "vernünftige" geometrische Linie seine Beobachtungsfehler korrigiert würden.

Man hat diese kühne und vorsichtige Hand mit Recht bewundert. Mir aber bietet Herschels Verfahren eine Anregung, die mir wichtiger scheint als die Bereicherung, die die Kenntnis des Himmels durch die Theorie der Doppelsterne erfahren hat. So wird jeder Gegenstand vergrößert, wenn man ihn zu nahe an seine Augen bringt.

Es scheint mir nämlich, dass diese Entdeckung der Bahnen der Doppelsterne sich nur unwesentlich von der Entdeckung der Marsbahn durch Kepler unterscheide. Die berechneten Punkte der Marsbahn ergaben die Kurve etwas genauer, das ist alles. Aber zu der Induktion Herschels kam eben das Neue hinzu, das schon Galilei von der Induktion verlangte: die Überzeugung oder Vermutung, dass zwischen den richtigen Punkten ein geordnetes, ein vernünftiges Verhältnis bestehen müsse. Und diese Überzeugung oder diese Vermutung ist nichts weiter als die durch unzählige Tatsachen in allen Menschenköpfen vorhandene Annahme, es gehe in der Natur ordentlich, vernünftig, gesetzlich zu. Früher sagte man mehr vernünftig, jetzt sagt man mehr gesetzlich; es ist aber ein und dasselbe. Hätte Herschel die irrationalen, das heißt unvernünftigen Punkte der Doppelsternbahn nicht mit kühner, aber vorsichtiger Hand nach einer geometrischen Vorstellung hin und her gerückt, er wäre nicht zu einer Kurve gelangt, welche jetzt für einen Bestandteil der menschlichen Erkenntnis gehalten wird, welche das Zeichen für eine Sternbahn ist und welche nach Umständen ein Begriff oder ein Gesetz genannt werden kann. Die Vorstellung von Ursachen und von einer Ordnung in der Natur, die wir nach unserer Denkgewohnheit unseren induktiven Beobachtungen aus Eigenem hinzufügen, diese Vorstellung erst verwandelt uns den Begriff in ein Gesetz.