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Brechmittel

Brechmittel (Emetica, Vomitoria). Die nach oben ausleerenden oder Erbrechen bewirkenden Mittel gehören zu den sehr beliebten Haus- und Volksarzneimitteln, womit daher auch früher häufig Missbrauch getrieben wurde, daher in allen deutschen Ländern den Apothekern verboten worden, solche ohne Verordnung des Arztes zu verabreichen. — Die Wirkung der Brechmittel ist zunächst die, dass sie, wie dies schon in der Benennung liegt, Erbrechen erregen. Dieses entsteht durch Zusammenziehung und antiperistaltische Bewegung des Magens und Zwölffingerdarms, wodurch beide unter Mitwirkung des Zwerchfells und der Bauchmuskeln ihren Inhalt nach oben entleeren. Die nach oben gerichtete Bewegung teilt sich auch der Speiseröhre, selbst der Luftröhre, den Bronchien und Bronchialästen mit, und so werden auch diese Teile vom Schleim, Eiter etc. dadurch befreit, und ein zur rechten Zeit gereichtes Brechmittel kann beim Stickfluss das Atmen wieder freimachen und dem Erstickungstode vorbeugen. Eine sehr große, bedeutende, obgleich secundäre Wirkung der Brechmittel ist der Reiz, auf alle Ab- und Aussonderungen, wie aufs ganze Nervensystem durch die Erschütterung des Körpers, besonders der Unterleibseingeweide. Auch die momentane Unterbrechung der Respiration, wodurch der Rückfluss des Blutes vom Kopf, auch wohl vom Unterleibe vorübergehend gehemmt wird und mithin vorübergehende Blutanhäufungen in den genannten Teilen entstehen, ist nicht ohne Wirkung. Der Ekel und die nagende Empfindung in der Herzgrube vor und während dem Erbrechen, die allgemeine Abspannung des Körpers, der Eindruck, den der erschütternde Akt des Erbrechens erregt, alle diese Wirkungen der Brechmittel aufs Nervensystem beweisen, dass Vomitive sowohl erschlaffend und abspannend, krampfstillend, als aufreizend, erweckend, erschütternd auf das Nervensystem wirken, dass sie daher auch wichtige antagonistische Mittel sind, die, indem sie den Leib reizen, vom Gehirn ableiten. Auch auf das ganze vegetative und reproduktive System, auf Leber, Milz, Pankreas, aufs Drüsensystem, auf die Schleimmembranen und resorbierenden Gefäße, aufs Kapillargefässsystem der Haut wirken Brechmittel erregend. Der praktische Arzt gebraucht sie daher mit Nutzen:

1) in Fiebern, besonders in gastrischen, biliösen, pituitösen, wo sie in kleinen Dosen auflösen, in größeren das Aufgelöste entfernen; zu Anfange exanthematischer, auch nervöser, typhöser, kontagiöser Fieber: des Scharlachs, der Masern, des Typhus, der Kriegspest, des Kaltfiebers, wo sie einen gelinden Verlauf der Krankheit einleiten, auch prophylaktisch oft das Übel im Keime ersticken. In Wechselfiebern mit gastrischen und galligen Komplikationen sind sie gleichfalls dringend notwendig, sowie sie oft auch das reine Wechselfieber heilen;

2) in Entzündungen mit galligem Charakter, in mehrern Arten der Angina, besonders der Angina gangraenosa und membranacea incipiens;

3) in akuten und chronischen Katarrhen, Blennorrhöen der Lunge, des Halses, des Magens;

4) in Wassersuchten und Wurmkrankheiten;

5) in Stockungen der Leber und Milz, Drüsengeschwülsten, Bubonen, Hodengeschwülsten;

6) zur Entfernung fremder Körper aus der Luft- und Speiseröhre;

7) bei Anfällen der Hysterie, Hypochondrie, bei Krämpfen der Wöchnerinnen, bei Asthma convulsivum, Blasenkrampf, Farnes canina, Apepsie; hier passen besonders die milden Emetica aus Ipecacuanha. Höchst heilsam sind die Brechmittel

8) in Seelenstörungen, in Manie und Melancholie, bei Trägheit und Stockungen im Unterleib;

9) in Lähmungen, besonders im Stickfluss, bei Lähmungen der Glieder aus metastatischen Ursachen, unterdrückter Hautausdünstung;

10) in der Apoplexie wohlbeleibter Leute, welche auf eine reichliche Mahlzeit folgt (nach vorhergegangenen Blutausleerungen); bei Taubheit und Schwerhörigkeit. Dass es hier Fälle gibt, wo sie nicht passen, ergibt sich von selbst aus der nähern Betrachtung aller dieser Krankheiten. Daher man auch ohne ärztlichen Rat keine Brechmittel nehmen soll. Dringend notwendig sind die stärkeren Brechmittel: Vitriol. alb., cocrul., bei Vergiftungen durch narkotische Gifte. Aromatische, ätherische Mittel, Senfpflaster auf die Herzgrube, Bürsten der Glieder während der Wirkung des Brechmittels vermindern gleichfalls den hohen Grad von Torpor und Unempfindlichkeit des Magens. Nur dann möchten die Vomitive in solchen Vergiftungen entbehrlich sein, wenn durch frühzeitige Anwendung der Magenpumpe von Read oder John Weiss das Gift entleert worden ist.

Soll das Erbrechen schnell und kräftig wirken, namentlich bei Magen- und Darmverschleimung, so ist’s gut, ein oder zwei Tage lang vorher gelinde auflösende Salze: Cremor tartari, Salmiak, Glaubersalz, nach Verordnung des Arztes zu gebrauchen. Wir bemerken für den Nichtarzt noch Folgendes:

1) Bei entzündlichem Zustand des Magens passt kein Vomitiv; ist bloß Erethismus und Kongestion, des Magens da, so müssen Blutentziehungen, Derivantia, Fussbäder, innerlich Mucilaginosa und Oleosa vorhergehen.

2) Verhindert ein krampfhafter Zustand der Digestionsorgane, erhöhte Sensibilität derselben das Erbrechen, so nützen Valeriana, Mentha, Chamomilla als Tee, mit Liquor, Naphtha, auch Opiateinreibungen in die Magengegend.

3) Bei sensiblen Personen ist es gut, wenn sie des Nachmittags das Brechmittel nehmen und einige Stunden vorher etwas Haferschleim, schwache Kalbfleischbrühe trinken.

4) Man lasse nach jedesmaligem Erbrechen eine Tasse laues Wasser oder schwachen Kamillentee nachtrinken, damit etwas im Magen ist. Ehe aber das Erbrechen noch nicht wirklich eingetreten ist, darf nichts nachgetrunken werden, damit die Wirkung durch Verdünnung des Mittels nicht geschwächt wird.

5) Erfolgt das Erbrechen nach genommenem Brechmittel zu heftig, so lasse man vorläufig lauwarmen Haferschleim trinken und mache warme Fomentationen von Kamillen und Wein auf die Magengegend. Hilft dies noch nicht, so gebe man alle viertel Stunden ein bis zwei Teelöffel voll Brausepulver (s. d.), auch wohl vorsichtig einige Tropfen Opium. Bestand das Brechmittel aus Tart. cineticus, so nützt oft ein Chinadekokt, welches chemisch den Brechweinstein zersetzt.

6) Kontraindiziert sind Vomitive bei dem sympathischen Erbrechen der Schwangeren, bei dem, wo organische Fehler des Magens, der Gedärme, des Pankreas, der Leber, zugegen, vorzüglich aber, wo das Erbrechen von Entzündungen der Leber, Milz, Nieren, des Uterns herrührt; hier, sowie bei Vomitus cruentus, Aneurysmen in inneren Teilen, können Vomitive plötzlich töten. Auch die bevorstehende Menstruation, Schwangerschaft, Prolapsus uteri, Brüche, hartnäckige Leibesverstopfang, Geschwülste im Unterleibe, große Erschöpfung kontraindizieren. Doch kann es bei Hernien und Schwangerschaft Fälle geben, wo ein Vomitiv, mit Vorsicht gebraucht, nicht schadet.

7) Kinder und Frauenzimmer erbrechen leichter, als robuste, starke Männer, die durch ein Vomitiv oft sehr angegriffen werden.

8) Das leichteste und beste, am wenigsten nach unten wirkende Brechmittel ist die Brech- oder Ruhrwurzel (Radix Ipecacuanhae), wovon die gewöhnliche Dosis für einen Erwachsenen eine halbe Drachme ist, z. B.:

Nr. 45. Nimm: pulverisierte Ipecacuanha-Wurzel, eine halbe Drachme, Regen- oder Flusswasser, vier Lot, gemeinen Sirup, ein Lot. Hiervon nehme man, wohl umgeschüttelt, alle fünf bis zehn Minuten einen Esslöffel voll bis zur Wirkung. Für kleine Kinder passt am besten folgender Brechsaft:

Nr. 46. Nimm: pulverisierte Brechwurzel, zwölf Gran, Sirup drei Loth; mische es genau. Davon erhalten ein bis zweijährige Kinder alle halbe Stunden einen Teelöffel voll, größere zwei, bis Erbrechen erfolgt.

Für Männer, die eine starke Natur haben und schwer erbrechen, kann man der obigen Schüttelmixtur (Nr. 45) noch zwei bis drei Gran Brechweinstein (Tartarus emeticus seu Tartarus stibiatus) zusetzen. Alsdann folgt auf das Erbrechen meist etwas Durchfall, wodurch auch die untern Thcilc des Darmkanals gleichzeitig gereinigt werden. (S. Most, med. chir. Encykl. Artikel: Emetka)

9) Fühlt man sich, nachdem das Erbrechen durch ein Vomitiv (bei sonst nicht an hitzigen Fiebern oder Entzündung Leidenden) aufgehört, ermattet, so erquickt am besten starker schwarzer Kaffee mit Zucker, recht warm getrunken. Dieser befördert auch den Schweiß, weshalb man sich, namentlich bei Rheumatismen, wogegen Vomitive oft sehr heilsam sind, nach Beendigung des Erbrechens ins Bett begeben und, zugedeckt, die Transpiration ein paar Stunden abwarten muss.

Unter den Mitteln, welcher sich das Volk zur Erregung des Erbrechens bedient, führe ich noch folgende an.

1) Lauwarmes Wasser, sowohl rein, als mit Kochsalz. Schon Celsus empfiehlt ersteres, um bei Neigung zum Brechen (in Folge von Magenüberladung, Ärger, Schreck etc.) diese wohltätige Naturhilfe zu begünstigen. Gegen apoplektische und paralytische Anfälle, so wie gegen viele Arten von Vergiftungen dient das englische Senfbrechmittel (S. Artikel Gewiirze, Nr. 6).

2) Meerwasser. Desselben bedienen sich viele Küstenbewohner, wenn sie vomiren wollen. Es schmeckt bekanntlich bitter und ekelhaft. Osiander (l. c. p. 63) leitet den Ekel erregenden Geschmack desselben von aufgelöster organischer Materie her, die auf der Oberfläche der See stärker, als in der Tiefe vorkommt. Englische und amerikanische Schiffer lassen dem an der Seekrankheit leidenden Schiffsvolk nach jedesmaligem Erbrechen Seewasser trinken, welches wahrscheinlich durch seinen stimulierenden Reiz auf die Magenhäute das Erbrechen stillt. Eben so lieben Trinker, wenn sie Morgens nüchtern an Übelkeit und Würgen leiden, gern scharf gesalzene Speisen und solche Fische: geräuchertes und gepökeltes Fleisch, Sardellen, Kaviar etc., welche die Übelkeit bald vertreiben.

3) Warmes Wasser mit alter ranziger Butter oder solchem Öl ist ein westfälisches Hausmittel, um Erbrechen zu erregen. Ich bediente mich einst desselben in Ermangelung eines bessern Brechmittels auf dem Lande, wo ich mich von der Ruhr angesteckt glaubte und große Übelkeit empfand. Es wirkte sehr gut und coupierte die Ruhr.

4) Fast Jedermann kennt das Mittel, bei Brechneigung den Hals inwendig mit einer beölten Gänse-, Hühner- oder anderen Feder zu kitzeln. Die Alten bedienten sich dazu der Federn des Flamingo (Phoenicopterus ruber).

5) Nach Tournefort ist bei einigen wilden Völkern die Haselwurz (Radix Asari europaei), zu zehn bis zwölf Gran, ein sicheres Brechmittel. Auch in einigen Gegenden Niedersachsens kennt man diese Wurzel, welche schon die arabischen Ärzte als Brech- und Purgier-, Niese- und Harntreibendes Mittel benutzten. Man nimmt alle viertel Stunden zum Vomiren fünf bis zehn Gran. Das Erbrechen erfolgt sicher, und das Pulver schmeckt viel besser, als die widerliche Ipecacuanha. In Böhmen gebraucht der gemeine Mann diese Wurzel auch in der boshaften Absicht, den Abortus zu befördern, indem sie bedeutend auf den Uterus wirkt.

6) Um übermäßiges Erbrechen zu stillen, ist, nach Osiander (p. 66) folgendes Hausmittel wirksam: Man taucht Leinewand in kaltes Wasser, drückt sie etwas aus und schlägt sie um den Hals.

7) Im chronischen Erbrechen, wo der Magen oft Alles verweigert und wieder ausstösst, hat man eiskaltes Wasser oder zerstoßenes Eis, Teelöffelweise, auch süßes, mit Zucker bereitetes Eis mit dem besten Erfolge gereicht. — In den schlimmen Fällen, wo wegen organischer Fehler im Unterleibe Alles weggebrochen wird, bleibt oft nur allein frischgemolkene, ungekochte, noch warme Milch das einzige Nährmittel, welches solche Unglückliche bei sich behalten und ihre Schmerzen lindert. Einige solcher Kranken können auch noch das rohe Eigelb mit Zucker versuchen.

8) Gegen das anhaltende, oft bis zur Hälfte der Schwangerschaft bestehende Erbrechen der Schwangeren (Vomitus gravidarum), welches am schlimmsten des Morgens bei nüchternem Magen ist, leistet, nach Osiander, das Vanille-Eis oft mehr als alle Arznei. Auch das Kartoffel-Eis hörte er in Wien dagegen rühmen. Ich kenne gegen dieses lästige Übel folgendes wirksame Hausmittel. Man weicht des Abends einen Zwieback mit soviel alten guten Rotwein ein, dass er durch und durch davon durchdrungen ist. Am anderen Morgen streuet man etwas feingestoßene Muskatennuss, Muskatblüte oder Zimt, mit Zucker vermischt, über, und verzehrt mittels eines Teelöffels das Ganze nüchtern. Erst eine Stunde später trinkt man Kaffee; wird auch dieser weggebrochen, so trinke man grünen Tee mit etwas Vanille und Zimt. — Daneben ist folgendes Magenpflaster, welches Tag und Nacht liegen bleiben und alle acht Tage erneuert werden muss, in der Herzgrube zu tragen:

Nr. 47. Nimm: safranhaltiges Galbanumpflaster, Bilsenkrautpflaster, von jedem ein Lot, Cajeputöl, zehn Tropfen. Die Masse wird, gut gemischt and auf Leder gestrichen, angewandt.

Damen, denen der Geruch dieses Pflasters zuwider ist, können statt dessen auch Morgens und Abends den ganzen Leib mit Eau de Cologne (s. Zitrone) waschen; doch ist allerdings das Pflaster in schlimmen Fällen vorzuziehen.

9) Auch warme Bäder leisten in jedem langwierigen Erbrechen gute Dienste. Eine vornehme Dame brach lange Zeit Alles, was sie genossen, wieder aus, bis sie bemerkte, dass sie im warmen Bad die genossenen Speisen bei sich behalten konnte. Sie blieb daher täglich sechs bis acht Stunden im Bad und wurde dadurch völlig hergestellt. (S. v. Froriep’s Notizen a. d. Gebiet d. Natur- und Heilkde. Bd. 5. 1823. S. 205)

10) Gegen das furchtbare Erbrechen bei Darmentzündung, Baucheinklemmnng und selbst gegen das später darauffolgende Koterbrechen ist kein besseres Mittel als eiskaltes Wasser, reichlich getrunken und damit angefeuchtete Kompressen über den ganzen Leib gelegt. Es half in Fällen, wo schon Irrereden, Kälte der Glieder, Schluchzen und hippokratische Gesichtszüge sich eingestellt hatten. Das Erbrechen und die Verstopfung hörte auf, und Wärme und Leben kehrten zurück. (S. Brandis in Nov. act. soc. med. Havniens. T. I. Hufeländ’s Journ. 1820. St. 4. S. 182) Auch Klistiere von kaltem Wasser, so wie Luft-Klystiere haben mir bei jener schlimmen Verstopfung mit Kotherbrechen in einzelnen Fällen gute Dienste geleistet. Man appli-cirt eine aufgezogene leere Klistierspritze, oder auch das Röhrchen an einer aufgeblasenen Schweins-, Rinds-, oder Pferdeblase in den After des Kranken und bläst somit die Luft hinein. Hinterher wird der ganze Unterleib mit den Händen gerieben. Man wiederholt diese Klistiere alle viertel Stunden, bis Blähungen und Kothabgang nach unten erfolgen, wo dann die schlimmsten Zufälle oft in kurzer Zeit verschwinden und das Leben gerettet ist (S. auch Osiander I. c. p. 67).