Michelangelo



- Sixtinische Kapelle: Das jüngste Gericht


Michelangelo war übrigens mit seinen Arbeiten in der Kapelle der Mediceer noch nicht ganz zu Ende, als ihn 1532 Clemens VII. nach Rom berief und ihm die Ausführung eines Gemäldes, das jüngste Gericht darstellend, an die Hauptwand der sixtinischen Kapelle, und eines ändern, den Sturz Luzifers, über dem Haupteingang, übertrug. Der von Schmerz über sein Vaterland und die Anstrengungen der letzten Jahre schwer angegriffene Meister, für dessen Leben selbst seine Freunde besorgt geworden waren, eilte nach Rom und machte sich sogleich ans Werk, Während er aber die Zeichnungen und Kartons zu dem Weltgericht machte, auch hin und wieder um einerseits seine Verbindlichkeiten zu erfüllen, anderseits den heil. Vater nicht zu verletzen, heimlich an dem Grabmal Julius II., dessen Vollendung ihm ungemein am Herzen lag, arbeitete, starb Clemens VII. 1534. Allein sein Nachfolger, Paul III., hieß ihn die begonnene Arbeit fortsetzen und versprach, ihm durch seine Vermittlung Erleichterungen in Beziehung auf seine Verpflichtungen wegen des Juliusgrabmals zu erwirken. So begann er denn die Malerei des jüngsten Gerichts und brachte sie glücklich zu Ende. Im Jahr 1545 war das große Werk vollendet. Dieses ungeheure, 60 Fuß hohe Bild steht mit der zahllosen Menge seiner Figuren, in der Kühnheit des Gedankens, in der Mannigfaltigkeit der Motive und Bewegungen der Gestalten, in der Meisterschaft der Zeichnung, insbesondere in den schwierigsten Verkürzungen abermals einzig in der Geschichte der Kunst da; allein es geht ihm der geläuterte Adel, die Reinheit und Hoheit der Deckenbilder ab. — Auf der oberen Hälfte des Bildes sehen wir Christus im Kreise der Apostel und Erzväter, denen sich auf der einen Seite die Märtyrer, auf der ändern andere Heilige und eine weitere Schar Selige anschließen. Oberhalb, unter den beiden Bögen des Gewölbes, zwei Engelgruppen, welche die Marterwerkzeuge der Passion tragen. Unter dem Erlöser eine andere Gruppe von Engeln, welche zur Auferweckung der Toten blasen und die Bücher des Lebens halten. Zur Rechten: die Auferstehung und darüber das Aufschweben der Gebenedeiten. Zur Linken: die Hölle und das Niederstürzen der Verdammten, die frech zum Himmel empordringen wollten. — Zürnend wendet sich der Weltenrichter gegen die Seite der Verdammten und erhebt abwehrend, wegwerfend, niederschmetternd seine Rechte gegen dieselben. Angstvoll hüllt sich Maria in ihre Gewände, indem sie sich zu den Begnadigten umwendet. Die Märtyrer zur Linken erheben die Werkzeuge und Zeugnisse ihrer Marter anklagend gegen die, welche ihnen den zeitlichen Tod gebracht und die Engel, welche dieselben hier vom Eingange zum Himmel abwehren, vollstrecken das Rächeramt. Zagend und bang erstehen die Toten, langsam und wie von der Schwere der irdischen Natur gefesselt, schwingen sich die Begnadigten zu den Seligen empor. Die Verdammten werden von kämpfenden Engeln zurückgedrängt, von den sich an sie anklammernden bösen Geistern niedergerissen, eine großartig dämonische Szene. Der Gegenstand der untern Hauptgruppe ist Dantes Hölle entlehnt. Hier werden die Verdammten von Charon zum jenseitigen Ufer des Acheron geführt. Ein Dämon jagt die armen Seelen mit erhobenem Ruder aus der Barke, sie werden von Dienern der Hölle in Empfang genommen und vor Minos, den Höllenrichter gebracht, der ihre Strafe nach Verhältnis ihrer Sünden bestimmt. Diese Auffassung des jüngsten Gerichts ist einseitig. Umsonst sucht man darauf, wie in ändern Darstellungen verwandten Gegenstandes, nach jener ruhigen Glorie von Engeln, Aposteln und Heiligen, jener Wesen, welche das Gepräge einer höheren Heiligung und Entäußerung menschlicher Schwächen tragen, die Gestalt des Richters heben und mit ihrem wunderbaren Seelenausdruck einen geistigen Nimbus um ihn bilden; wir sehen überall nur den Ausdruck eines mächtigen, gewaltigen Lebens menschlicher Leidenschaft, nackte Gestalten in allen Möglichkeiten der Bewegung, Stellung und Gruppierung, der Hauptgestalt Christus geht der Ausdruck göttlicher Majestät ab, und bei aller Grossartigkeit der Anordnung herrscht darin doch zu viel Willkürliches. Lässt man aber dieses Hervorheben eines einzelnen Moments des menschlich Bedeutsamen gelten, so findet man schon in der oberen Hälfte des Bildes eine eigentümliche, große Gesamtwirkung, die untere aber ist des höchsten Ruhmes würdig. Sie entwickelt ein Gemälde der menschlichen Leidenschaft in allen Stadien und Stufen, und zwar in jener erhöhten physischen Macht, in welcher Michelangelo eine so außerordentliche Meisterschaft entfaltete. Dabei herrscht aber in allen Gestalten, sowohl der Verworfenen als der höllischen Dämonen ein großartiges ergreifendes Pathos, ein eigentümlich tragischer Adel, so dass die Darstellung des Schrecklichen in jener wahrhaft sittlichen Reinigung erscheint, welche in dem Wesen des höheren Kunstwerks begründet ist. Die Nacktheit fast aller Gestalten des Bildes hat schon bei Lebzeiten des Künstlers Anstoß erregt. Papst Paul IV. wollte es herunterschlagen lassen, und unterließ es nur, weil Daniel da Volterra sich dazu hergab, die auffallendsten Blösen mit Gewändern zu bedecken, was ihm den Spottnamen des Hosenmachers zuzog. Auch später, im verflossenen Jahrhundert noch, wurden Gewänder über einzelne nackte Körperteile gezogen, wodurch die Wirkung des Bildes mannigfach verkümmert wird. — Michelangelo ließ das jüngste Gericht (7 1/2 Fuß hoch) durch Marcello Venusti für den Kardinal Ales. Farnese (gegenw. in den Studj zu Neapel) unter seinen Augen copiren. In neuerer Zeit (1836) ist von dem Franzosen Sigalon eine vorzügliche Kopie davon gemacht worden, die sich in der Academie des beaux arts zu Paris befindet. (Gestochen wurde das jüngste Gericht u. A. von G. Ghisi in 11 Blättern; desgleichen von C. M. Metz in 15 Blättern; von de la Casa in 4 Blättern. Longhi fertigte eine 34" hohe und 32" breite Zeichnung des Bildes, starb aber vor der Vollendung des Stichs.)

Der Michelangelo zu gleicher Zeit bestellte Sturz Luzifers, zu dem er schon früher Zeichnungen entworfen, nach welchen ein sizilianischer Maler, der viele Monate bei ihm als Farbenreiber gedient, ein Gemälde in Fresko in der Kapelle San Gregorio in Santa Trinita zu Rom ausgeführt haben soll, kam nicht zu Stande, dagegen übertrug ihm Papst Paul III. zwei andere Wandgemälde in der neuen nach ihm benannten, von Ant. da Sangallo erbauten Capella Paolina im Vatikan. Er stellte in denselben die Kreuzigung Petri dar, eine großartig strenge Komposition, und die Bekehrung des Saulus, worin man eine treffliche Anordnung in den Gruppen und einige höchst würdige Gestalten bewundert; besonders aber werden die Gestalt Christi, der dem Saulus aus dem Gewitterglanze von Engelscharen entgegenstürzt und der letztere, zu Boden gestreckt, und von den wie vom Donner gelähmten Seinigen umgeben, gerühmt. Die Bilder sind übrigens durch Lampenqualm beträchtlich geschwärzt und verdorben.  

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