Michelangelo
- San Lorenzo Florenz: Fassade
Nach Vollendung der Deckenmalereien der Kapelle, welche die Bewunderung Aller erregten, die sie sahen, beschäftigte sich Michelangelo wieder mit dem Grabmal Julius II., um dasselbe nun nach einer einfacheren Zeichnung zu beendigen, allein der Tod des Letzteren (1513) unterbrach abermals die Arbeit; denn sein Nachfolger Leo X., der Buonarotti zu ändern Zwecken verwenden wollte, schickte ihn nach Florenz, um die Fassade der von den Medici erbauten Kirche San Lorenzo daselbst herzustellen und als Oberbaumeister an derselben zu wirken, erlaubte ihm jedoch, auch dort an den Figuren des Grabmals fortzuarbeiten. Michelangelo begab sich sofort nach Florenz, wo die Medici wieder zur Herrschaft gelangt waren, und von da nach Carrara, um Marmor zu brechen, verlor aber, da ihm der Papst befohlen hatte, in den Bergen von Seravezza, wo erst Wege zu ebnen und neue Brüche zu eröffnen waren, darnach graben zu lassen, mehrere Jahre Zeit damit. Nach Papst Leo's X. im Jahr 1521 erfolgten Tode blieb Michelangelo die ganze Regierungszeit Hadrians VI. über in Florenz, emsig mit dem Grabmal beschäftigt, wurde aber bald wieder davon abgerufen. Denn Clemens VII., der 1523 den päpstlichen Stuhl bestiegen hatte, ließ ihn nach Rom kommen und übertrug ihm den Bau einer neuen Kapelle mit den Marmorgrabmälern seiner Vorfahren in San Lorenzo zu Florenz und der Bibliothek im Kloster daselbst. Er machte sich rasch an die ihm übertragene Arbeit, vollendete auch inzwischen die in der Kirche Santa Maria sopra Minerva aufgestellte Statue eines auferstandenen Christus, die zu seinen liebenswürdigsten und trefflichsten Skulpturen gehört, als die 1527 erfolgte abermalige Vertreibung der Medici seiner Tätigkeit wiederum eine andere Richtung gab. Die Befehlshaber von Florenz, von der Notwendigkeit überzeugt, die Stadt besser zu befestigen, ernannten Michelangelo zum Generalkommissär der Befestigungswerke, in welcher Eigenschaft er die Festungen von Pisa und Ferrara besichtigte und darnach San Miniato befestigte. Diese Vorsicht war aber auch nicht unnötig, denn 1529 wurde Florenz belagert und endlich von allen Seiten eingeschlossen. In dieser jeden Tag hoffnungsloser werdenden Lage glaubte nun Michelangelo gar noch zu bemerken, dass die Verteidigung der schwerbedrängten Stadt von dem Oberbefehlshaber auf eine verräterische Weise betrieben wurde. Dies empörte ihn so, dass er gegen Ende September heimlich Florenz verließ, sich nach Ferrara und von da nach Venedig begab, jedoch, von Gewissensbissen gefoltert, schon am 9. Nov. wieder zurückkehrte und von nun an bei der Fortdauer der Belagerung, namentlich bei der Verteidigung, auf der Seite von San Miniato vortreffliche Dienste leistete. Trotz dieser kriegerischen Unruhen, der schweren Tage der Trübsal und Not, war er unermüdlich künstlerisch tätig. Während er Florenz gegen die Mediceer verteidigte, arbeitete er, aus Liebe zu dem von ihm begonnenen Werke, heimlich an ihrem Mausoleum in San Lorenzo und führte, im Auftrag des Herzogs von Ferrara, eine bei seinem ersten Besuche an dessen Hofe bestellte Leda in Tempera aus. Dieses Bild kam aber nicht an seinen Besteller, denn Michelangelo, den ein Höfling des Herzogs beim Abholen des Gemäldes beleidigte, gab dasselbe, statt letzterem, seinem Schüler Antonio Mini, der dasselbe nebst einer Menge Modelle und fertiger Kartons zu Gemälden nach Frankreich verkaufte. (Eine alte Kopie dieser großartigen Komposition im königl. Schloss zu Berlin; eine andere von einem niederländischen Meister in der Dresdner Galerie.) Ferner fertigte er ein herrliches Modell, den Simson darstellend, den er in einem 9 Ellen großen, ihm von der Gemeinde zu Florenz überlassenen Marmorblock auszuführen gedachte.
Mittlerweile wurde Florenz im Jahr 1530 eingenommen und siegreich kehrten die Medici zurück. Michelangelo aber musste sich mehrere Tage verborgen halten, bis die erste Erbitterung gegen ihn, der so lebhaft am Kampfe Teil genommen, sich gelegt hatte. Papst Clemens VII. erwirkte ihm jedoch Verzeihung und die Fortbezahlung seines früheren Gehaltes, unter der Bedingung, dass er an seine Arbeiten in San Lorenzo zurückkehre. Jener Marmorblock zum Simson wurde indessen dem Baccio Bandinelli zugeteilt, der seinen Herkules und Cacus daraus meiselte. Mit unerhörtem Eifer, aber mehr von Furcht als von Liebe getrieben, arbeitete Buonarotti jetzt an den Grabmälern und verteilte, um das Werk schneller zu Ende zu bringen, denn es drängte ihn, das unterdrückte Florenz für immer zu verlassen, einige der dazu gehörigen Statuen an andere Meister, an Rafaello da Montelupo und Giov. Ang. Montorsoli, denen er Modellskizzen in Ton machte. Mit gleicher Emsigkeit betrieb er den Bau der Kapelle und der Bibliothek, fertigte die Modelle zu den Schnitzarbeiten und Stuckaturen, und berief zur Vollendung der letztern Giovanni da Udine. — In diesen Grabmälern des Giuliano de' Medici, Herzogs von Nemours und des Lorenzo, Herzogs von Urbino*), besitzen wir wieder ein Hauptwerk seiner Kunst im Fache der Skulptur. In den Wandnischen sitzen die Statuen der Gefeierten; darunter sind die Sarkophage angebracht, auf denen je zwei nackte Gestalten von allegorischer Bedeutung, Morgen- und Abenddämmerung, Tag und Nacht genannt, ruhen. Die Statue des Giuliano ist nicht ganz ungezwungen, die des Lorenzo dagegen, der in tiefem Sinnen dasitzt, und daher von den Italienern treffend „il pensiero", der Gedanke, genannt wurde, erscheint durchaus edel, in ihrer Stellung bedungen, klar und gemäßigt. Sie ist eine Arbeit vom allerhöchsten Kunstwert. In den vier allegorischen Statuen aber hat der Meister den Gipfelpunkt dessen erreicht, wozu die moderne Plastik in Betreff vollständiger Herrschaft über das Material und vollständiger Freiheit der Behandlung gelangen konnte. In ihnen zeigt sich die Kunst frei von allen sachlichen Beziehungen und losgebunden von aller von außen verlangten Charakteristik, aber dabei in solcher Vollendung, dass darin zugleich die Berechtigung jener Unabhängigkeit vollständig enthalten ist. Zugleich offenbaren sie die größte Kenntnis der Anatomie, die vollständigste Wissenschaft von den Gesetzen des menschlichen Körpers in der Bewegung, einen hohen Sinn für die großartigste Schönheit und das tiefste Studium der Antike. In der unvollendet gebliebenen Madonna mit dem Kinde, ebendaselbst und ebenfalls von seiner Hand**), spricht sich mehr Kraft und Entschiedenheit, als Anmut und Lieblichkeit aus, auch ist das Kind viel zu heftig und ungestüm in der Bewegung, zu bestimmt und derb in den Formen. Die Denkmäler sind ganz vorzüglich für den Raum komponiert, so dass sie schon als Ergänzung und Resultat der Architektur eine großartige Wirkung hervorbringen. Die Kapelle selbst ist ein leichtes herrliches Gebäude, welches das Prinzip brunelleschi'scher Sakristeien auf das geistreichste erweitert und erhöht darstellt. — Derselben Zeit, in welcher Michelangelo die Skulpturen für das Grabmal der Mediceer ausführte, gehört auch die kurz nach Rückkehr der Medici gefertigte, aber nur aus dem Rohen gehauene, jedoch in diesem Zustand vielversprechende Statue eines Apollo, der mit der Linken über die Schulter greift, um einen Pfeil aus dem Köcher zu holen (gegenw. in den Uffizien zu Florenz).
*) Abgebildet in den Denkmälern der Kunst. Atlas zu Kuglers Handb. der Kunstgesch. Taf. 72, Fig. 10.
**) Abgebildet in den Denkmälern der Kunst. Atlas zu Kuglers Handb. der Kunstgesch. Taf. 72, Fig. 7.