Michelangelo
- Architekt, Bildhauer, Maler
Michelangelo Buonarotti, der zugleich Architekt, Bildhauer und Maler und in allen diesen drei Künsten ein hochbedeutender Meister war, der, gleich Leonardo da Vinci, den Beginn der Blüte der neuern Kunst einleitete, jedoch noch ihren Verfall mit erleben musste, bildet eine in ihrer Art ganz einzige hervorragende Erscheinung in der Kunstgeschichte. Seine Werke bezeichnen die lichtesten Höhepunkte der Kunst. Gleich den Antiken haben sie ihr inneres Genügen und ihre Befriedigung, aber zugleich wieder ein so eigentümliches, hochgewaltiges Gepräge, wie wir es bei keinem ändern Meister vor und nach ihm bemerken. Er entfernt sich in ihnen von allem Typischüberlieferten, und schafft sich eine eigene Welt aus Gestalten von übermenschlicher Grosse und Macht. Das Erhabene ist daher durchaus vorherrschend der Charakter seiner Kunst. Dagegen blieben ihm ganze große, der höchsten künstlerischen Verklärung fähige Sphären des Daseins, die Schilderung der schönsten Regungen der menschlichen Seele, die reiche Welt des Gemüts, verschlossen. Auch die Schönheit des menschlichen Körpers und Angesichts kommt bei ihm nur im Gewände der Gewaltigkeit und Mächtigkeit zum Vorschein; es liegt ihm mehr daran, seine Gestalten der höchsten Lebensäusserungen fähig als reizend darzustellen, obgleich auch ihnen nicht selten eine hohe ernste Anmut innewohnt. Grandios aber und seinem Streben nach Bildung des Außerordentlichen, Erhabenen und Wunderbaren gemäß, erscheint er in der Darstellung der Form, im Stil. Und zu solch eminenter Höhe, zu einer Meisterschaft, die ihm vielleicht in einem noch höheren Grade als Raphael, obgleich minder vielseitig, eigen war, gelangte er, ohne dass man weder Beziehungen zu seinen künstlerischen Vorgängern und Zeitgenossen oder Lehrer entdecken kann, noch Vorstufen bemerkt.
Indessen hat er nicht in sämtlichen drei Künsten, die er geübt, dieselbe hohe Vollendung erreicht. In der Baukunst erscheint er unstreitig am schwächsten, die Skulptur betrachtete er selbst als seinen eigentümlichen Beruf, die reichsten und herrlichsten Erzeugnisse seines Geistes aber legte er in seinen Malereien nieder.
Michelangelo hat sich nicht zur Architektur gedrängt, auch begann seine bauliche Wirksamkeit verhältnissmäßig spät; seine gewaltige Formenbehandlung in der Skulptur und Malerei brachte die Bauherren von selbst darauf, sich von ihm Entwürfe für Gebäude machen zu lassen. Auch in der Baukunst war er, obgleich er bedeutende Vorgänger hatte, sein eigener Lehrer und Schüler. Seine gewaltige Schöpfungskraft, Festigkeit des Willens, Leichtigkeit im Ausführen, vertraten bereits bei seinen ersten Arbeiten die Stelle der Erfahrung. Schon in den früheren Jahren seines Aufenthalts in Rom beurteilte er richtig die Fehler Bramante's und in der Befestigungskunst zeigte er sich, als es Not tat, sehr geübt, ohne dass man wusste, wo er die Übung erlangt hatte. Aber es scheint, als ob er nur mit Ungeduld und Sträuben die Gesetze und Regeln ertragen hätte, welche bei der Architektur genauer als den ändern Künsten bestimmt sind. Im Gegensatze gegen die früheren Meister der Renaissance, die mit naiver Anmut ihre Bedürfnisse in den Formen der Antike zu gestalten wussten, im Gegensatz zu seinen Zeitgenossen, welche diese Formen wenigstens mit gewissenhafter Treue beobachteten, fing er, von dem Streben nach großer malerischer Wirkung getrieben, an, dieselben nach Laune und Willkür umzugestalten, wodurch er allen möglichen Ausartungen seiner Nachfolger, die sich auf das Beispiel eines so ausgezeichneten Meisters berufen konnten, den Weg bahnte.
Die Skulptur war es aber, welche Michelangelo für seine vorzüglichste Bestimmung erkannte, denn er selbst sagte einmal, er sei kein Maler, das anderemal, die Baukunst sei nicht seine Sache, dagegen bekannte er sich zu allen Zeiten als Bildhauer und seine Anstrengungen, dieses fest erkannten Berufes Herr zu werden, waren ungeheuer. Zwölf Jahre allein verwandte er auf das Studium der Anatomie, wodurch er eine beispiellose Sicherheit in der Darstellung des menschlichen Körpers erlangte. Von dem Drange bewegt, alle irgend denkbaren und mit den höheren Stilgesetzen vereinbaren Momente der lebendigen, vorzüglich der nackten Körpergestalt, aus sich heraus zu schaffen, gestaltete seine Phantasie, die er sich weder durch Rücksichtnahme auf das Althergebrachte, noch auf das Historischcharakteristische beengen ließ, mit unbeschränkter Freiheit, rein nach künstlerischer Inspiration. Dadurch kam er auf Willkürlichkeiten von Erfindungen, die alles gestatten, weil sie sich durch nichts bedingen, wie in den Monumenten in S. Lorenzo zu Florenz, in denen er übrigens eine neue Gattung von Grabdenkmalen einführte. Aus sich allein schöpfte er die Idee zu all den großen Unternehmungen, bei denen er keinen Vorgänger und sich eine neue Bahn zu brechen hatte, wie es mit dem Mausoleum Julius II. der Fall war. In der Darstellung seiner Gestalten selbst aber suchte er der Statue vermittelst seiner großen Kenntnis aller Ursachen und Äußerungen der menschlichen Form die vollkommenste Wirklichkeit zu verleihen, sein ungestümer Geist riss ihn jedoch hin, sie ins Übermenschliche zu übertreiben, das er dann nicht selten in befremdlichen Stellungen und Bewegungen und in Ausbildung gewisser Körperformen ins Gewaltige fand. Bei solcher Weise des Schaffens mussten seine Werke oft das Gepräge der Absichtlichkeit erhalten, allein die gewaltige Gestaltungskraft, die in Michelangelo waltet, verleiht selbst seinen gesuchtesten und unwahrsten Schöpfungen einen dauernden Wert. Was bei ihm jedoch das Ergebnis seines Ringens und Strebens nach Darstellung des Erhabenen und Übermenschlichen war, die Kolossalität der Formen und die Macht des Eindrucks, machten seine Nachahmer — und Michelangelo imponierte seiner Zeit fast auf dämonische Weise — zur Hauptsache und so datiert sich von ihm, der einer der höchsten Glanzpunkte der neueren Bildnerei war, der Verfall der Kunst, der in dem Streben nach äußerem Scheine beruht.
Obgleich Michelangelo sich selber vorzugsweise als Bildhauer betrachtet hat, war doch erst die Malerei das Feld, auf welchem er seine schöpferische Kraft aufs Mächtigste mnd Umfangsreichste zu entfalten vermochte. Sie gewährte ihm für die ideale Welt, die er in sich trug, ungleich vielseitigere und freiere Mittel. Seine Phantasie nimmt darin denselben erhabenen Schwung an, seine Auffassungs- und Darstellungsweise bleibt auch hier dieselbe, wie in der Skulptur, allein er konnte darin die menschliche Gestalt in allen Möglichkeiten der Erscheinung zeigen, und er hat dies mit einer Kühnheit, Gründlichkeit und Wissenschaft getan, in der er alle Meister der neuern Kunst überragt. Im Ganzen ging indessen seine Behandlung in der Malerei, was mit seinem Streben nach höchstmöglicher Realität überhaupt zusammenhängt, auf eine mehr plastische als eigentlich malerische Wirkung, ohne dass er indessen in seinen Campositionen mit Einseitigkeit an den Gesetzen der Skulptur festgehalten hätte. Seine Zeichnung ist äußerst bestimmt, fällt aber niemals ins Harte. Den Ausdruck der Seele hat er in seinen Köpfen meistens bewundernswürdig getroffen, hin und wieder aber zu unbestimmt gelassen oder gar verfehlt. Auch kommt es öfters vor, dass seine Physiognomien dem gewaltigen Charakter der übrigen Gestalt nicht vollkommen entsprechen. In seinen Gewändern (insbesondere in den Deckengemälden der sixtinischen Kapelle) zeigt er eine Einfachheit und Grosse des Stils, die man wieder vielleicht bei keinem ändern Künstler findet. Auch im Kolorit, obgleich er bei seinem vorherrschend plastischen Sinne die Malerei gewissermaßen auf das Prinzip der Skulptur beschränkte, erscheint er nichts weniger als unbedeutend. Seine Fleischfarbe ist wahr und ungemein kräftig, einfach, ohne eintönig zu werden, und in den Farben seiner Gewänder herrscht ein schöner Sinn und eine sehr harmonische Zusammenstellung. Namentlich aber ist er in der Rundung und Modellierung der Gegenstände unübertrefflich. Sie sind in den Massen von Licht und Schatten nicht minder großartig, als in den Formen und daher auch für den Sinn durch mächtige Wirkung ergreifend.