Michelangelo



- Sixtinische Kapelle: Deckengemälde


Im Jahr 1508 kehrte Michelangelo, nachdem er das Standbild vollendet, nach Rom zurück und wurde sogleich vom Papste mit neuen umfassenden Arbeiten beauftragt. Der Papst lud ihn ein, die Decke der sixtinischen Kapelle mit einer Reihe von Gemälden aus der biblischen Geschichte zu schmücken, Michelangelo aber, der gerner das Grabmal vollendet hätte, suchte sich dieses Auftrags mit der wohl begründeten Entschuldigung, seines Mangels an Übung in der Behandlung der Farben zu entledigen. Allein Julius II., dessen ungestümes Naturell keinen Wiederspruch dulden konnte, durch Michelangelos Weigerung gereizt, vielleicht auch durch des Künstlers Nebenbuhler und Feinde aufgestachelt, die, auf seine Unkenntnis in der Kunst der Malerei bauend, ihn durch ein minder gelungenes Werk aus der Gunst des Papstes zu verdrängen gedachten, bestand auf seinem Verlangen und so begann denn Michelangelo noch in demselben Jahre die verlangten Arbeiten. Nachdem er die Kartons dazu vollendet, zwang ihn die Größe des Unternehmens zu dem Entschluss, sich zu deren Ausführung in Fresko der Hülfe einiger ihm befreundeter Maler zu bedienen. Er ließ daher Granacci, Giul. Bugiardini, Jacopo di Sandro, den alten Indaco, Agnolo di Donino und Aristotele aus Florenz kommen, ihre Arbeiten gefielen ihm jedoch so wenig, dass er eines Morgens alles, was sie gemacht, wieder herunter schlug, sich in die Kapelle einschloss und sämtliche Malereien nun allein in der kaum glaublich kurzen Zeit von 22 Monaten glücklich zu Ende führte. Diese Gemälde an der Decke der sixtinischen Kapelle sind das Erhabenste und Gediegenste, was Michelangelo in den verschiedenen lächern der Kunst überhaupt geleistet hat. In ihnen zeigt sich sein großer Geist in seiner höchsten Würde und Reinheit und keine einseitige Willkür, zu der ihn in ändern Werken sein eminentes Talent hin und wieder verleitet hatte, stört den hochbedeutsamen Eindruck des Ganzen. Sie bilden ein die Schicksale der Welt, des Menschen und dessen, durch die heil. Schrift geoffenbarte Verhältnisse zu Gott schilderndes glossartiges Gedicht und stellen die Schöpfung der Welt und des Menschen, den Sündenfall mit seinen Folgen, die wunderbare Errettung des auserwählten Volkes, die Annäherung der Zeit der Erlösung, versinnlicht durch die Vorfahren der h. Jungfrau, und die Propheten und Sybillen, welche seine zukünftige Erscheinung verkündeten, dar. Die Decke wird durch ein Spiegelgewölbe gebildet. Der mittlere flache Teil derselben enthält in vier größeren und fünf kleineren Bildern die bedeutendsten Geschichten der Genesis, nämlich in den vier Hauptbildern: die Schöpfung der Sonne und des Mondes; die Erschaffung Adams, ein Bild von wunderbar tiefsinniger Komposition und voll der edelsten Hoheit und Majestät in der Ausführung; den Sündenfall und die Vertreibung aus dem Paradiese, namentlich durch die Verbindung zweier durch die Zeit getrennten Momente, Schuld und Strafe, höchst poetisch, die Eva im Sündenfall von unendlicher Schönheit; endlich die figurenreiche Darstellung der Sintflut, vielleicht die gelungenste Komposition des Michelangelo im dramatischen Ausdruck. Diese auf die Schöpfung und die Geschichte des ersten Menschengeschlechts bezüglichen Bilder sind die großartigsten Darstellungen dieses Gegenstandes, die man kennt. In ihnen ist es dem Künstler gelungen, das Übersinnliche in einen völlig klaren und sprechend sinnlichen Moment zu übertragen; in ihnen tritt das Wesen des schaffenden Weltgeistes lebendig vor die Seele. Gott Vater rauscht darin, von einer Heerschar göttlicher Einzelkräfte seines schöpferischen Worts in der Gestalt von Genien, welche ihn halb tragen, halb von ihm getragen werden und von seinen flatternden Gewanden bedeckt sind, in gewaltigem Fluge dahin. Michelangelo hat in diesen Bildern für die Ehrfurcht gebietende Majestät des Ewigen einen ganz eigenen Typus geschaffen und ebenso in der Gestalt des Adam das würdigste Urbild der Menschheit dargestellt. Die kleineren Bilder, die ebenfalls ihre besondere» und großartigen Schönheiten haben, stellen dar: die Scheidung des Lichts von der Finsternis; die Scheidung von Land und Wasser; die Erschaffung der Eva; das Dankopfer des Noah und Noah's Trunkenheit. — In den Gewölbekappen der vier Ecken sieht man Darstellungen, welche sich auf die Rettung des Volkes Israel beziehen. Es sind: das Gastmahl der Königin Esther mit der Bestrafung des Haman, ein Bild, auf welchem die Figur des ans Kreuz geschlagenen Haman seit alter Zeit als ein vorzügliches Meisterwerk in Bezug auf die Darstellung schwieriger Verkürzungen betrachtet wurde; das Wunder der ehernen Schlange; Davids Sieg über Goliath und Judith nach der Ermordung des Holofernes. — In den Stichkappen und den darunter befindlichen Bögen über den Fenstern sind die Vorfahren der heil. Jungfrau, deren Reihenfolge auf den Erlöser hinüber leitet, dargestellt. Da von denselben aber in der heil. Schrift zumeist nichts erwähnt wird, sie also hier nur in Beziehung auf ihren göttlichen Abkömmling existieren, so konnten sie auch nicht, mit Hindeutung auf einzelne Persönlichkeiten, auf besondere Handlungen und Verhältnisse dargestellt werden. Michelangelo fasste sie daher in den schönsten Familiengruppen zusammen, in denen sich ein ruhiges gesammeltes Harren in die Zukunft ausspricht. Er wusste aber diese Zustände zu den mannigfaltigsten Motiven, oft sogar höchsten Ranges zu benützen, und solcher Gestalt eine Reihenfolge verschiedener Szenen des Familienlebens in eigentümlicher Abgeschlossenheit und großartig schöner Auffassung darzustellen. Sie gehören ebenfalls zu Michelangelos edelsten Kompositionen und enthalten einzelne Beispiele einer Innigkeit und Zartheit, die man sonst selten in seinen Werken findet. — Endlich gewahrt man in den Dreieckfeldern des gewölbten Randes die Gestalten der Propheten und Sibyllen, als die Verkündiger des Erlösers, jene für die Juden, diese für die Heiden. Auch sie, der Dimension nach die größten Figuren der Decke, gehören zu den wunderbarsten Gestalten, welche die neuere Kunst hervorgebracht hat. Sie sind sämtlich sitzend dargestellt, von Genien begleitet, meist mit Büchern oder Schriftrollen beschäftigt, lauter in ernste Betrachtung, in Hingebung an die göttliche Offenbarung und ihre Mission versunkene, von höherer Inspiration erfüllte, über das Gewöhnliche der menschlichen Natur erhabene Wesen, deren Anblick das Gemüt mit. heiligem Schauer und Bewunderung erfüllt. Ihre Gestalt und ihre Bewegung, wie sie sich in den Formen selbst und in den Linien und Massen der Gewänder darstellen, sind von der höchsten Würde und Majestät; doch herrscht in ihnen zugleich die größte Mannigfaltigkeit der Stellungen und des Ausdrucks und jede Gestalt ist auf die eigentümlichste Weise individualisiert. Es sind: Jeremias, ein Mann in vorgerücktem Alter mit langem weißem Barte, niedergebückt, versunken in die Gedanken eines bitteren gewaltsamen Schmerzes; Ezechiel, das Haupt in rascher Bewegung nach einem Engel gewandt, der ihm den Befehl seiner Berufung erteilt; Joel, den beim Lesen die stärkste innere Erregung ergreift; Zacharias, ein Greis in hohem Alter, ruhig und überlegsam; Jesaias, der wie aus einem Traumgesichte erwacht; Daniel in jugendlichem Alter, im Begriff seine Offenbarungen niederzuschreiben; Jonas, mit dem Ausdruck eines wiedergewonnenen mächtigen Lebens. Ferner die persische Sibylle, ein mächtiges, hohes Weib, hochbejahrt; die erythräische, voll der schönsten Kraft, der kriegerischen Göttin der Weisheit vergleichbar; die delphische, eine Gestalt, welche Gewaltigkeit und Schönheit im höchsten Verein offenbart; die cumäische, eine Frau im bejahrten aber kräftigen Alter und im großen Charakter der Formen vorgestellt, endlich die libysche, eine Frau im besten Alter. — Der äußere Zusammenhang dieser mannigfaltigen Darstellungen wird durch ein gemaltes architektonisches Gerüst von eigentümlicher Komposition vermittelt, welches die einzelnen Gegenstände umschließt, die Hauptmassen bedeutsam hervorhebt, und dem Ganzen den Anschein derjenigen Festigkeit und freien Haltbarkeit gibt, welcher bei den an Decken befindlichen, also gewissermaßen hängenden Darstellungen so höchst nötig ist. Zu diesem Gerüst ist hier auch eine große Anzahl von Figuren zu rechnen, welche an minder bedeutenden Stellen in Stein- oder Bronzefarbe, an bedeutenderen in natürlicher Farbe ausgeführt sind und dazu dienen, die architektonischen Formen zu stützen, zu tragen, auszufüllen, zu beschließen, weshalb man sie schon die belebten, persönlich gewordenen Kräfte der Architektur genannt hat. Unter den Propheten und Sibyllen sind es derbe Kindergestalten in Naturfarbe, welche die Inschrifttafeln hoch in den Händen tragen, oder sie mit dem Haupt stützen. An den beiden Seitenpfosten der Throne, auf denen jene ruhen, sieht man je zwei nackte Kinder, Knabe und Mädchen, in einer die Skulptur nachahmenden Steinfarbe. Über den Gewölbekappen, oberhalb der Fenster, nehmen liegende und lehnende athletische Figuren in Bronzefarbe die Bogenfüllung ein. Zuletzt, wo von beiden Seiten die kolossalen Gesimse sich nähern und Raum lassen für die Reihe der Mittelbilder, sitzen auf Postamenten nackte männliche Figuren in natürlicher Farbe, von denen je zwei Bänder halten, an welchen der zwischen ihnen befindliche Medaillon von Erzfarbe mit Reliefs befestigt ist; einige tragen auch reiche Laub- und Fruchtgewinde. Diese dekorativen Figuren treten in bedeutsamer plastischer Ruhe hervor, sind aber doch zugleich wieder den Hauptgegenständen untergeordnet gehalten, wie diese wieder in den für die verschiedenen Räumlichkeiten günstigsten Massen und Verhältnissen komponiert erscheinen. Überhaupt ist in diesen Deckengemälden der großen sixtinischen Kapelle der große Gedanke des Ganzen in einer Reihenfolge der bedeutsamsten Gegenstände, die unter sich in engen Beziehungen stehen und Michelangelos eigentümlicher Richtung so vollständig angemessen waren, aufs Großartigste in allen Teilen durchgeführt.

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 © textlog.de 2004 • 23.12.2024 04:59:26 •
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