Haltung. (Malerei) Man sagt von einem Gemälde es habe Haltung, wenn jeder Teil in Ansehung der Tiefe des Raumes oder der Entfernung vom Auge, sich von den neben ihm stehenden merklich absondert, so dass die nahen Sachen gehörig hervortreten, die entfernten, nach Maßgabe der Entfernung, mehr oder weniger zurück weichen. Es ist die Wirkung der Haltung, dass eine flache Tafel einen tiefen Raum vorstellt, dass eine gemalte Kugel nicht wie eine zirkelrunde Fläche, sondern wie ein diker Körper erscheint. Hingegen macht der Mangel der Haltung alles flach, so wie ein runder Thurm von Ferne als eine flache Mauer erscheint. Demnach ist die Haltung das, was eigentlich dem Gemälde das Leben und die wahre Natur gibt; weil ohne sie kein Gegenstand als ein wirklicher Körper erscheinen kann, sondern ein bloßes Schattenbild ist.
Sie hängt von vielerlei Ursachen ab; von der perspektivischen Zeichnung; von der Luftperspektiv; von dem einfallenden Lichte; von der Stärke und Austeilung des Lichts und Schattens, des Hellen und Dunkeln; und von der Ausführlichkeit, so wohl in Zeichnung als im Kolorit. Das, was zur Perspektive gehört, ist bestimmten Regeln unterworfen und hat also keine Schwierigkeit; auch das, was die Ausführlichkeit, so wohl in Zeichnung als im Kolorit zur Haltung beiträgt, lässt sich durch mittelmäßiges Nachdenken finden. Es fällt gar bald in die Augen, dass alles, was an einem Körper sichtbar ist, undeutlicher werde, je weiter er sich vom Auge entfernt; dass an ganz nahen Gegenständen die kleinsten Beugungen im Umriss, die geringsten Erhöhungen und Vertiefungen, die feinsten Schattierungen der Farben, die kleinsten Lichter und Widerscheine können bemerkt werden, dass alle diese kleineren Dinge allmählich unmerkbar werden, so wie man sich von dem Gegenstand entfernt, bis endlich der ganze Umriss ungewiss, die Form des Körpers nur überhaupt merkbar wird, alle Schattierungen der Farben und die Schatten selbst verschwinden, so dass der Körper einfärbig, an Farbe matt und gänzlich flach scheint. Diese Dinge haben wenig Schwierigkeit und können durch fleißige Beobachtung der Natur gelernt werden. Desto schwerer aber ist es die anderen Umstände so zu beobachten, wie die Vollkommenheit der Haltung es erfordert.
Wie sehr die Haltung von dem einfallenden Lichte, von der Richtung und Stärke desselben, überhaupt vom Hellen und Dunkeln abhange, kann man sehr deutlich bemerken, wenn man eine Aussicht oder Landschaft bei allen möglichen Abwechslungen des Lichts fleißig beobachtet. Bei hellem Sonnenscheine hat ein und eben dieselbe Außsicht jede Stunde des Tages eine andere Haltung, weil Licht und Schatten jede Stunde nicht nur auf andere Stellen fallen, sondern stärker oder schwächer sind. Man wird bald gewahr werden, in welchem Fall das hohe oder das niedrige Licht und wenn das gerade oder Seitenlicht vorteilhaft sei. Durch eben diese Beobachtung einer Gegend wird man auch den Einfluss kennen lernen, den der Ton auf die Haltung hat. Darum soll der Maler das, was zur Haltung gehört, durch genaue Beobachtung der Natur studiren. Er kann sich hierin den Leonhard da Vinci zum Muster nehmen, der mit der Genauigkeit und dem Scharfsinn eines Naturforschers jede Wirkung des veränderten Lichts auf das genaueste beobachtet hat. Der Historienmaler wird auch bei Gelegenheit der Schauspiele manche wichtige Beobachtung über die Haltung machen können. Man sieht bisweilen Szenen, da die Haltung ausnehmend gut ist und andere sind in dieser Absicht sehr matt. Ein nachdenkender Maler wird bald entdecken, wie viel die Farbe des Grundes oder der Hinternwand der Schaubühne, die Kleidung der Personen, die Stärke oder Schwäche des Lichts, in welchem sie stehen, zu der guten oder schlechten Haltung beitragen.
Durch dergleichen Beobachtungen lernt man den Hauptteilen des Gemäldes, ganzen Gruppen, vermittelst einer geschickten Austeilung des Lichts und Schattens und einer verhältnismäßigen Stärke derselben, die gute Haltung geben. Es können aber hierüber keine Regeln festgesetzt werden, weil die Fälle unendlich abwechseln und bald jede Anordnung der Gruppen oder der Hauptteile des Gemäldes ihr besonderes Licht erfordert. Manches Gemälde bekommt seine Haupthaltung von einem etwas hoch einfallenden Seitenlicht, da diese Wirkung in einem anderen, weil es anders gruppirt ist, durch ein flach einfallendes Licht erhalten wird. Die Scharfsinnigkeit des Künstlers muss die wahren Ursachen der besten oder schlechten Haltung in jedem besonderen Falle zu entdecken wissen; dabei muss er aber auf alle Umstände zugleich sehen. Wenn er z. B. in einem besonderen Falle finden sollte, dass ein hohes und dabei starkes Licht sehr gute Wirkung tut, so muss er auch genau auf die Anordnung der Gruppen dabei acht haben; denn eben dasselbe Licht könnte, wenn sonst alles übrige gleich wäre, bei einer anderen Anordnung gerade eine schlechte Wirkung tun.
Ein Künstler, dem es sonst nicht an gehöriger Scharfsinnigkeit fehlt, wird durch dergleichen Beobachtungen zu einer gründlichen Kenntnis der Ursachen einer guten Haltung kommen, insofern diese von Licht und Schatten, vom Hellen und Dunkeln und von der geschickten Wahl der Lokalfarben abhängt. Mit der Beobachtung der Natur aber muss er auch das Studium der besten Kunstwerke, besonders der niederländischen Schulen verbinden. Wegen des besonderen Einflusses, den die Lokalfarben auf die Haltung haben und welcher bisweilen nicht gering ist, kann man einem fleißigen Maler ein Mittel vorschlagen, wodurch er in diesem besonderen Teile der Kunst gewiss hinter die Geheimnisse kommen wird. Er müsste einige Gemälde von vollkommener Haltung mehreremale copiren und überall, wo es sich tun lässt, die eigentümlichen Farben ändern, hier einer Figur, die ein helles Kleid hat, ein dunkles geben, ein rotes Gewand in ein grünes u. s. w. verwandeln. Bei jeder Abänderung der Lokalfarben wird er eine merkliche Veränderung in der Haltung wahrnehmen und dadurch wird er in diesem Teile der Kunst zu einer gründlichen Kenntnis gelangen. Der Weg ist freilich mühesam, aber die Mühe wird denn dadurch belohnt, dass man seiner Sachen gewiss wird. Wer nicht mit einem ausnehmenden Genie für seine Kunst geboren ist, muss sich nicht einbilden, dass er ohne viel Mühe und großes Nachdenken es darin zu irgend einem beträchtlichen Grad der Vollkommenheit bringen werde.
Die größten Schwierigkeiten finden sich da, wo die Haltung nicht durch Entgegensetzung des Lichts und Schattens, sondern bloß durch eine geschickte Brechung der hellen Farben zu erreichen ist. Man sieht bisweilen Portraite, besonders unter denen von van Dyk, wo die Gesichter eine bewunderungswürdige Ründung haben, ohne dass man Schatten darin gewahr wird. Dieses ist aber auch das Höchste in der Kunst des Kolorits und es lässt sich kaum begreifen, wie diese Wirkung erreicht worden. Es ist unendlich leichter die Haltung durch Licht und Schatten zu erreichen als durch bloße Brechung der hellen Farben. Hier muss man durch ein glückliches Gefühl alles erraten, da man dort ziemlich bestimmten Regeln folgen kann. Titian und van Dyk sind hier die großen Muster, die der Maler zu studiren hat.
Der Begriff der Haltung muss nicht bloß auf die Werke der zeichnenden Kunst eingeschränkt werden; er erstreckt sich auf alle Werke der Kunst. Ein Gedicht oder eine Rede, durchaus in einem Ton und mit einerlei Stimme gelesen, würde für das Gehör eben so ohne Haltung sein als ein Gemälde ohne Haltung der Farben. Und die Rede, in welcher alle einzelne Gedanken gleich stark und gleich ausführlich vorgetragen sind, ist dem Gemälde ähnlich, dem die Haltung in der Zeichnung fehlt. Es ist anderswo1 angemerkt worden, dass die redenden Künste ihre Vorstellungen eben so gruppiren müssen, wie es die zeichnenden Künste tun und so sind diese beiden Zweige der Kunst auch in Absicht auf die Haltung der Dinge denselbigen Regeln unterworfen. Auch wird sie durch einerlei Mittel erreicht. Dass nahe Gegenstände genau ausgezeichnet und im Kolorit ausführlich bearbeitet, entfernte aber nur im Ganzen angezeigt und nur schwach ausgemalt werden, hat auch in den redenden Künsten statt. Man kann auch durch die Ausführlichkeit, die uns die kleinsten Teile sehen lässt, einen Gegenstand nahe bringen und durch bloß allgemeine Andeutung andere vom Auge entfernen. Dieses sehen wir beim Homer überall auf das genaueste beobachtet. In jedem einzelnen Gemälde sehen wir die Hauptpersonen dichte vor uns stehen, wir hören sie reden, unterscheiden gleichsam den ihnen eigenen Ton der Stimme, sehen jedes Einzele in ihren Gesichtszügen und auch in ihrer Rüstung, da andere so weit aus dem Gesichte weggerückt sind, dass wir nichts einzeln darin unterscheiden.
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1 S. Art. Gruppe.