Holländische Schule. (Zeichnende Künste) Holland und andere zum Staat der vereinigten Niederlande gehörige Provinzen, haben eine beträchtliche Anzahl guter Maler gehabt, die sich durch einen eigentümlichen Geschmack und eigene Vorzüge von allen anderen unterscheiden, auch deswegen wirklich eine besondere Schule ausmachen. Die Maler dieser Schule scheinen bei ihrer Arbeit kein anderes Gesetz gehabt zu haben als durch Zeichnung und Farben, die gemeine Natur so vollkommen als möglich, zu erreichen; im übrigen aber, sich um den Wert oder die Kraft des Inhalts nicht zu bekümmern. Man hat eine große Anzahl Gemälde aus dieser Schule, darin die gemeine Natur bis zur Bewunderung, auch in den geringsten Kleinigkeiten so kopirt ist, dass man kaum seinen Augen traut: man glaubt eine Szene aus der Natur, durch ein verkleinerndes Glas zu sehen, so vollkommen ist Zeichnung, Perspektive, Haltung und Farbe in dem Gemälde erreicht. Wann man einige der besten Werke dieser Schule vor sich hat, so kann man nicht begreifen, dass es möglich sei, erwähnte Teile der Kunst höher zu treiben. Man kann also sagen, dass die holländischen Maler in dem Mechanischen den höchsten Gipfel der Kunst erreicht haben.
Diese Schule, die der Herr von Hagedorn mit Recht die Schule des Wahren nennt, hätte die vollkommen sten Werke der Kunst aufzuweisen, wenn diese nur die Absicht hätte, dem Auge dasjenige vollkommen gemalt zu zeigen, was man täglich in der Natur vor sich sieht. Wenn der Endzweck der Kunst durch diese Täuschung des Auges erreicht würde, so würde man weder einen Raphael, noch einen Corregio, noch einen Titian, dem Künstler zum Studiren empfehlen, sondern ihn allein in die holländische Schule verweisen.
In der Tat ist das, was sie vorzügliches besitzt, ein wichtiger Teil der Kunst; aber nur insofern diese auf wichtige Gegenstände angewendet wird. Es ist zwar ein Vergnügen, Farben auf einer flachen Leinwand so künstlich aufgetragen zu sehen, dass man sich einbildet, man stehe in einer Kirche oder man sehe eine wirklich lebendige Blume oder einen athmenden Menschen vor sich; weiter aber hat auch diese bewunderungswürdige Kunst nichts auf sich. Der Endzweck der schönen Künste, wird dadurch nicht erreicht1, sondern diese Werke dienen blos, die Liebhaber zu ergötzen. Wenn aber diese Vollkommenheit mit dem höheren Wert vereinigt ist, wenn wichtige Gegenstände so behandelt werden, so ist dann das Werk vollkommen.
Man muss also den Künstler, der höhere Absichten hat als zu ergötzen oder das Auge zu täuschen, doch in diese Schule führen. Die herrlichste Erfindung und der größte sichtbare Gegenstand, den das Genie eines Malers hervorzubringen vermag, muss dennoch, wenn er im Gemälde die größte Wirkung tun soll, sich so zeigen als wenn es ein in der Natur vorhandener Gegenstand wäre2, folglich ist das Studium, wodurch die holländischen Maler groß geworden sind, jedem anderen Maler auch zu empfehlen.
Doch äußert sich dabei eine Bedenklichkeit, wodurch die Wichtigkeit dieser Werke für das Studium der Kunst um ein merkliches verringert wird. Die schätzbarsten Werke sind ohne Zweifel doch die, welche zu öffentlichem Gebrauch aufgestellt werden. Diese müssen ihrer Natur nach groß sein. Aber kann das Natürliche im Großen, durch dieselben Mittel erreicht werden, wie im Kleinen? daran muss man notwendig zweifeln. Wenn die Maler der römischen Schule, den Pensel so geführt hätten, wie die holländischen Meister, so würden ihre Gemälde schwerlich vollkommner worden sein als sie durch ihre größere Behandlung des Kolorits worden sind. Wenn ein Maler, wie Gerard Dow oder Franz Mieris in die Notwendigkeit gesetzt worden wäre, große Kirchenstücke zu verfertigen, so hätte er notwendig andere Methoden als er wirklich gehabt hat, ausdenken müssen, um die wahre Haltung und die Farben der Natur zu erreichen. Nicht nur weil der Fleiß in großen Arbeiten oft schädlich ist,3 sondern weil durch das Kleine die gute Wirkung in großen Gemälden nicht einmal kann hervorgebracht werden. Es gehört eine ganz andere Behandlung dazu, dass ein großer Gegenstand, den man von weitem ansieht, ein völlig natürliches Ansehen habe als die, wodurch ein kleiner und ganz naher Gegenstand natürlich wird. Aber, wer in kleinen Sachen, wie sich ein Kenner ausdrückt4 raphaelisch denkt und zeichnet, der hat Ursache sich die äußerste Mühe zu geben, dass er auch, wie Gerhard Dow, male.
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1 S. Künste.
2 S. Natur.
3 S. Fleiß.
4 Haged. Betracht. S. 419.