Heroisch. (Schöne Künste) Fast alle Völker stehen in der Einbildung, dass diejenigen Menschen, die sie als die Stifter ihres Staates ansehen oder überhaupt die, deren Leben in das hohe Altertum fällt, von höheren Leibes- und Gemütskräften gewesen als ihre spätere Nachkömmlinge. Darum hat jedes Volk seine Heldenzeit, wie die Griechen die ihrige gehabt haben. Wenn Homer von dem Diomedes sagt, er habe gegen den Äneas einen Stein geschleudert, den zwei Menschen, wie sie zu des Dichters Zeit waren, nicht zu tragen vermöchten,1 so spricht er aus einem Wahn, der allen Völkern gemein ist. Diese stärkere Menschen sind die Helden und die Taten, wozu sie ihre höhere Kräfte nötig hatten, werden heroische Taten genannt.
Da es dem Menschen so natürlich ist zu glauben, dass es größere Menschen gegeben habe als sie zu seiner Zeit sind und da er ein natürliches Wohlgefallen an heroischen Taten und an heroischer Gemütsart hat, so müssen sich die Künstler dieses vorteilhaften Wahnes bedienen, die Gemüter durch Abschilderung derselben zu erhöhen. Dieses geschieht am natürlichsten, wenn der Stoff zu dem Werk aus dem Altertum genommen wird. Je höher man darin herauf steigen kann, je größer kann man die Menschen vorstellen, ohne unwahrscheinlich zu werden.
Die meisten Werke der griechischen Maler und Bildhauer, die meisten Trauerspiele der Griechen, waren aus den heroischen Zeiten genommen. Und es kann nicht anders als vorteilhaft sein, wenn man die Menschen in dem Wahn bestärkt, dass es ehedem größere Menschen gegeben habe. Aber der Künstler, der einen heroischen Stoff wählet, legt sich eine große Last auf. Wenn er nicht im Stand ist seine Vorstellungen und sein ganzes Gemüt über die gewöhnliche Größe zu erheben, so tut ihm sein heroischer Stoff Schaden. Nur der darf sich in dieses Feld wagen, der mit Gewissheit empfindet, dass er sich weit über die Denkungsart seiner Zeit erheben könne. Davon kann er sich nicht überzeugen, wenn er nicht die Welt, darin er lebt, völlig kennt; wenn er nicht bei den Handlungen und Gesinnungen, die die Menschen äußern, immer empfindet, dass sie unter dem sind, was er selbst in gleichen Umständen würde getan oder empfunden haben. Er muss ein scharfsinniger Späher der Menschen sein; muss die wichtigsten Männer seiner Nation kennen und übersehen; er muss Gelegenheit gehabt haben die Grundsätze, wonach sie handeln, genau zu erkennen; er muss sich in ihre Seelen hineinsetzen können, um zu fühlen, was sie fühlen. Wenn er sich dann getraut, sich über sie zu erheben, so mag er seine Kräfte an einem heroischen Stoff versuchen. Aber wehe dem, der ohne dieses innige sichere Gefühl seiner eigenen Größe sich einbildet, man könne die menschliche Größe durch Zusammenhäufen oder Erweitern über ihr Maß erheben, wie man etwa körperliche Dinge größer macht. Nicht die unbegrenzte Einbildungskraft, sondern die ungewöhnliche Stärke des Verstandes und des Herzens, sind die Mittel sich zum heroischen Stoff zu erheben.
Geh, ich halte dich nicht und weine nicht eitele
Thränen, Dass du im Porte schon stehst, indem ich den Sturm noch besegle.
Unbethränkt sieht das Auge dir nach, wie wohl das
Gemüte Blutend den Trost überdenkt, der meinem Leben geraubt wird.2
ist nicht weniger heroisch als der Heldenmut einem sichern Tod ruhig entgegen zu gehen.
Sollte jemand fragen, wie das Heroische von dem Großen überhaupt unterschieden sei; so wäre viel leicht dieses die richtigste Antwort, dass das Große, da wo es angetroffen wird, ungewöhnlich ist und dass das Heroische eine nicht ungewöhnliche, sondern natürliche Äußerung größerer Menschen sei. Man hat nämlich von dem Helden den Begriff, dass er nach seinem ganzen Charakter und nach seinen Umständen, um etliche Stufen höher stehe als andere Menschen; darum ist das Große nichts Ungewöhnliches bei ihm; es ist seinem Maß der Kräfte angemessen. Wenn aber ein Mensch wie andere Menschen, seine Kräfte durch außerordentliches Bestreben anstrengt, um etwas großes zu tun, so würde dieses nur Groß und nicht Heroisch sein.
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1 II. .. 303.
2 Noach. VII Gef.