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Liebe

Liebe. „Nächst dem Instinkt zur Nahrung, durch welchen die Natur jedes Individuum erhält, ist der Instinkt zum Geschlecht, wodurch sie für die Erhaltung jeder Art sorgt, der vorzüglichste. Die einmal rege gewordene Vernunft säumte nun nicht, ihren Einfluß auch an diesem zu beweisen. Der Mensch fand bald: daß der Reiz des Geschlechts, der bei den Tieren bloß auf einem vorübergehenden, größtenteils periodischen Antriebe beruht, für ihn der Verlängerung und sogar Vermehrung durch die Einbildungskraft fähig sei.“ „Weigerung war das Kunststück, um von bloß empfundenen zu idealischen Reizen, von der bloß tierischen Begierde allmählich zur Liebe, und mit dieser vom Gefühl des bloß Angenehmen zum Geschmack für Schönheit, anfänglich nur an Menschen, dann aber auch an der Natur überzuführen“, Anf. d. Menschengesch. (VI 53). „Alle Leidenschaften, wenn sie wechselseitig genommen werden, schwächen sich, e. g. Hass; aber die Liebe stärkt sich“, N 1070.

„Liebe als Neigung“ kann nicht geboten werden, „aber Wohltun aus Pflicht selbst, wenn dazu gleich gar keine Neigung treibt, ja gar natürliche und unbezwingliche Abneigung widersteht, ist praktische und nicht pathologische Liebe, die im Willen liegt und nicht im Hange der Empfindung, in Grundsätzen der Handlung und nicht schmelzender Teilnehmung; jene aber allein kann geboten werden“, GMS 1. Abs. (III 17). Das Gebot: „Liebe Gott über alles und deinen Nächsten als dich selbst“ fordert als Gebot „Achtung für ein Gesetz, das Liebe befiehlt“. Aber Liebe zu Gott als Neigung („pathologische Liebe“) ist, da er kein Gegenstand der Sinne ist, unmöglich. Liebe zu Menschen wieder kann nicht als Neigung geboten werden, wohl aber die „praktische Liebe“. „Gott lieben heißt in dieser Bedeutung: seine Gebote gern tun; den Nächsten lieben heißt: alle Pflicht gegen ihn gern ausüben.“ Diese Gesinnung zu erstreben (nicht zu haben) kann nur geboten werden. In ihrer ganzen Vollkommenheit ist diese Gesinnung ein Ideal der Heiligkeit (s. d.), dem wir uns nur annähern können. Die Vollendung der sittlichen Gesinnung wäre es, wenn sich die Achtung (s. d.) fürs Gesetz in Liebe zu ihm verwandeln würde, KpV 1. T. 1. B. 3. H. (II 107 ff.); Vgl. Pflicht. „Die Achtung ist ohne Zweifel das Erste, weil ohne sie auch keine wahre Liebe stattfindet; ob man gleich ohne Liebe doch große Achtung gegen jemand hegen kann.“ „Aber wenn es nicht bloß auf Pflichtvorstellung, sondern auch auf Pflichtbefolgung ankommt, wenn man nach dem subjektiven Grunde der Handlungen fragt, aus welchem, wenn man ihn voraussetzen darf, am ersten zu erwarten ist, was der Mensch tun werde, nicht bloß nach dem objektiven, was er tun soll; so ist doch die Liebe, als freie Aufnahme des Willens eines andern unter seine Maximen, ein unentbehrliches Ergänzungsstück der Unvollkommenheit der menschlichen Natur (zu dem, was die Vernunft durch Gesetz vorschreibt, genötigt werden zu müssen): denn was Einer nicht gern tut, das tut er so kärglich, auch wohl mit sophistischen Ausflüchten vom Gebot der Pflicht, daß auf diese, als Triebfeder, ohne den Beitritt jener nicht sehr viel zu rechnen sein möchte“, Ende a. D. (VI 169); vgl. Christentum. „Liebe ist eine Sache der Empfindung, nicht des Wollens, und ich kann nicht lieben, weil ich will, noch weniger aber, weil ich soll (zur Liebe genötigt werden); mithin ist eine Pflicht zu lieben ein Unding. Wohlwollen (amor benevolentiae) aber kann, als ein Tun, einem Pflichtgesetz unterworfen sein.“ „Allen Menschen nach unserem Vermögen wohlzutun ist Pflicht, man mag sie lieben oder nicht“, MST Einl. XII c (III 244 f.). Betreffs der Pflichtgesetze betrachten wir uns in einer „moralischen (intelligiblen) Welt, in welcher, nach der Analogie mit der physischen, die Verbindung vernünftiger Wesen (auf Erden) durch Anziehung und Abstoßung bewirkt wird“. „Vermöge des Prinzips der Wechselliebe sind sie angewiesen, sich einander beständig zu nähern; durch das der Achtung, die sie einander schuldig sind, sich im Abstande voneinander zu erhalten“, ibid. § 24 (III 304). Die Liebe bedeutet hier nicht ein Gefühl, nicht „Lust an der Vollkommenheit anderer Menschen“, nicht die „Liebe des Wohlgefallens“, sondern eine „Maxime des Wohlwollens“, welche das Wohltun zur Folge hat. Die Pflicht der Nächstenliebe ist „die Pflicht, anderer ihre Zwecke (sofern diese nur nicht unsittlich sind) zu den meinen zu machen“, ibid. § 25 (III 304 f.). Die Menschenliebe ist „tätiges Wohlwollen“, ibid. § 26 (III 305 f.). Die gesetzgebende Vernunft, welche in der Idee der „Menschheit überhaupt“ die ganze Gattung (mich also mit) einschließt, schließt in der Pflicht des wechselseitigen Wohlwollens nach dem Prinzip der Gleichheit wie alle anderen neben mir mich selbst mit ein, ibid. § 27 (III 306 f.). Die „Liebespflichten“ sind: Pflichten der Wohltätigkeit, der Dankbarkeit, der Teilnehmung, § 28 (III 308). Die gemeinnützige Maxime des Wohltuns gegen Bedürfnisse ist allgemeine Pflicht der Menschen, „weil sie als Mitmenschen, d. i. bedürftige, auf einem Wohnplatz durch die Natur zur wechselseitigen Beihilfe vereinigte vernünftige Wesen anzusehen sind“. Eigennutz widerstreitet sich selbst; jeder Mensch, der sich in Not befindet, wünscht, daß ihm von anderen Menschen geholfen werde, und muß auch anderen helfen wollen, da ihm sonst auch nicht geholfen würde, ibid. § 30 (III 309). Vgl. Rigorismus, Moralisches Gefühl, Pflicht, Dreieinigkeit, Christentum.