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II. [Das psychologische Auswachsen der Mittel zu Zwecken; das Geld als extremstes Beispiel]

 

Der Umfang, in dem sich das Geld für das Wertbewußtsein verabsolutiert, hängt von der großen Wendung des wirtschaftlichen Interesses von der Urproduktion zum industriellen Betrieb ab. Die neuere Zeit und etwa das klassische Griechentum nehmen dem Gelde gegenüber hauptsächlich daraufhin so verschiedene Stellungen ein, weil es damals nur der Konsumtion, jetzt aber wesentlich auch der Produktion dient. Dieser Unterschied ist von der äußersten Wichtigkeit für die teleologische Rolle des Geldes, das sich auch hier als der treue Index der Wirtschaft überhaupt zeigt: denn auch das allgemeine ökonomische Interesse war damals viel mehr der Konsumtion als der Produktion zugewandt; die letztere war eben hauptsächlich agrarischer Art, und deren einfache und traditionell feststehende Technik fordert keine so erhebliche Aufwendung wirtschaftlichen Bewußtseins wie die fortwährend variierende Industrie, und läßt dieses deshalb sich mehr auf die andere Seite der Wirtschaft, die Konsumtion, richten. Die Entwicklung der Arbeit überhaupt zeigt dies Schema; bei den Naturvölkern ist sie fast nur eine solche, die um des unmittelbar folgenden Verbrauches willen geschieht, nicht um des Besitzes willen, der die Staffel zu weiterem Erwerbe abgäbe, weshalb denn auch die als sozialistisch zu bezeichnenden Bestrebungen und Ideale des Altertums wohl auf eine Organisierung der Konsumtion, aber nicht der produktiven Arbeit gehen; so daß sich hierin Platos Idealstaat ohne weiteres mit der athenischen Demokratie begegnet, zu deren Bekämpfung er gerade bestimmt war. Eine Stelle bei Aristoteles beleuchtet dies besonders scharf. Sobald für die politischen Funktionen ein Sold eingeführt wird, so bewirke dies in der Demokratie ein Übergewicht der Armen über die Reichen. Denn jene seien durch Privatgeschäfte weniger in Anspruch genommen als diese und haben deshalb mehr Zeit, ihre öffentlichen Rechte auszuüben, was sie denn auch um des Soldes willen tun. Es ist hier also schlechthin selbstverständlich, daß die Armen die Beschäftigungsloseren sind. Ist dies aber, im Gegensatz zu späteren Zeiten, nichts Zufälliges, sondern ein prinzipiell in jener Wirtschaftsform Begründetes, so folgt, daß das Interesse der Massen eben nur darauf gehen konnte, unmittelbar zu leben zu haben: eine soziale Struktur, die die Arbeitslosigkeit der Armen voraussetzt, muß im wesentlichen ein konsumtives statt eines produktiven Interesses haben. Die sittlichen Vorschriften, die sich bei den Griechen über das ökonomische Gebiet finden, betreffen fast niemals den Erwerb - freilich schon deshalb, weil an die numerisch weit überragenden Urproduzenten, die Sklaven, sich überhaupt kein soziales oder ethisches Interesse knüpfte. Nur die Verwendung, nicht die Beschaffung gebe, wie Aristoteles meint, Gelegenheit zur Entfaltung positiver Sittlichkeit. Das harmoniert völlig mit seiner und Platos Meinung über das Geld, in dem beide nur ein notwendiges Übel erblicken. Denn wo die Wertbetonung ausschließlich auf der Konsumtion liegt, enthüllt das Geld seinen indifferenten und leeren Charakter besonders deutlich, weil es mit dem Endzweck der Wirtschaft unmittelbar konfrontiert wird; als Produktionsmittel rückt es von jenem weiter ab, es wird rings von anderen Mitteln umgeben, gegen die gehalten es eine ganz ändere relative Bedeutung besitzt. Dieser Unterschied in dem Sinne des Geldes geht auf die letzten Entscheidungen in dem Geiste der Epochen zurück. Das Bewußtseins - Übergewicht des konsumtiven Interesses über das produktive ging, wie eben erwähnt, von dem Vorwiegen agrarischer Produktion aus; der Grundbesitz, die relativ unverlierbare und durch das Gesetz geschützteste Substanz, war der einzige, der dem Griechen das Beharren und die Einheit seines Lebensgefühls gewährleisten konnte. Darin war der Grieche doch noch Orientale, daß er sich die Kontinuität des Lebens nicht anders vorstellen konnte, denn als die Ausfüllung der Zeitreihe mit festen und beharrenden Inhalten: das war das Haften am Substanzbegriff, das die ganze griechische Philosophie charakterisiert. Keineswegs freilich ist damit die Wirklichkeit des griechischen Lebens bezeichnet, sondern gerade sein Versagtes, seine Sehnsucht und Erlösung: das ist die ungeheure Spannweite des griechischen Geistes, daß er seine Ideale nicht nur in der Fortsetzung und Komplettierung der Gegebenheit suchte, wie es bei weniger großen und schwungvollen Volksnaturellen geschieht; sondern daß ihre leidenschaftliche, gefährdete, durch fortwährende Parteiungen und Kämpfe zerrissene Realität ihre Vollendung in ihrem Anderen suchte, in der festen Begrenztheit und den ruhigen Formen ihres Denkens und Bildens. Völlig entgegengesetzt ist die moderne Anschauung, die die Einheit und den Zusammenhang des Lebens in dem Kräftespiel und der gesetzlichen Aufeinanderfolge der inhaltlich abwechslungsvollsten Momente erblickt. Die ganze Mannigfaltigkeit und Bewegtheit unseres Lebens hebt uns nicht das Gefühl seiner Einheit auf - wenigstens prinzipiell nicht, sondern nur in Fällen, die wir selbst als Abirrungen oder Unzulänglichkeiten empfinden - ja gerade von jener wird es getragen, zu stärkstem Bewußtsein gebracht. Aber diese dynamische Einheit war den Griechen fremd; derselbe Grundzug, der ihre ästhetischen Ideale in den Formen der Architektur und der Plastik gipfeln ließ, der ihre Weltanschauung zu der Begrenztheit und Abrundung des Kosmos und zur Perhorreszierung der Unendlichkeit führte - eben dieser ließ sie die Kontinuität des Daseins nur als eine substanzielle anerkennen, die sich an den Grundbesitz anlehnt und an ihm verwirklicht, wie jene moderne am Geld mit seiner fließenden, sich stets aus sich heraussetzenden, die Gleichheit des Wesens an der höchsten und abwechselndsten Mannigfaltigkeit der Äquivalente darstellenden Natur. Dazu kam, um das eigentliche, auf das Geld basierte Handelsgeschäft bei den Griechen zu diskreditieren, daß dasselbe immer etwas Langsichtiges hat und mit der Berechenbarkeit der Zukunft operiert; ihnen aber erschien die Zukunft prinzipiell als etwas Unberechenbares, die Hoffnung auf sie als etwas äußerst Trügerisches, ja Vermessenes, durch das man den Zorn der Götter herausfordern konnte. All diese inneren und äußeren Momente der Lebensgestaltung sind so wechselwirkende, daß man kaum eines als das zeitlich fundamentale, unbedingt veranlassende bezeichnen kann. Der Charakter einer agrarischen Wirtschaft, mit ihrer Zuverlässigkeit, mit ihrer geringen und wenig variabeln Zahl der Mittelglieder, mit ihrem Betonen der Konsumtion gegenüber der Produktion einerseits, die auf die Substanzialität der Dinge gerichtete Sinnesart, die Scheu vor allem Unberechenbaren, bloß Labilen und Dynamischen andrerseits sind doch wohl nur verschiedenartige, durch das Medium differenzierter Interessen gebrochene Strahlen einer einheitlichen historischen Grundbeschaffenheit, die wir freilich mit unserem auf das Zerlegen angelegten Verstande nicht unmittelbar greifen und benennen können - oder sie gehören jenen Bildungen an, zwischen denen die Frage nach der Priorität überhaupt falsch gestellt ist, weil ihr Wesen von vornherein in der Wechselwirkung besteht, eines sich auf das andere und das andere auf das eine und so ins Unendliche aufbaut, in einem Zirkel, der für die Einzelheiten des Erkennens fehlerhaft, für seine grundlegenden Momente aber wesentlich und unvermeidlich ist. Wie sich das nun aber auch deuten lasse, die Tatsache war, daß bei den Griechen Mittel und Zwecke der Wirtschaft nicht so weit auseinandertraten wie später, daß die ersteren deshalb nicht dasselbe psychologische Eigenleben gewannen wie später, und daß das Geld nicht so selbstverständlich und ohne innere Widerstände zu finden, zu einem selbständigen Werte aufwuchs.

 


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