2. Das Zusammenstimmen des konkreten Ideals mit seiner äußerlichen Realität
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YY) Am geeignetsten für die ideale Kunst wird sich daher ein dritter Zustand erweisen, der in der Mitte steht zwischen den goldenen idyllischen Zeiten und den vollkommen ausgebildeten allseitigen Vermittlungen der bürgerlichen Gesellschaft. Es ist dies ein Weltzustand, wie wir ihn schon als den heroischen, vorzugsweise idealen haben kennenlernen. Die heroischen Zeitalter sind nicht mehr auf jene idyllische Armut geistiger Interessen beschränkt, sondern gehen über dieselbe zu tieferen Leidenschaften und Zwecken hinaus; die nächste Umgebung aber der Individuen, die Befriedigung ihrer unmittelbaren Bedürfnisse ist noch ihr eigenes Tun. Die Nahrungsmittel sind noch einfacher und dadurch idealer, wie z. B. Honig, Milch, Wein, während Kaffee, Branntwein usf. uns sogleich die tausend Vermittlungen ins Gedächtnis zurückrufen, deren es zu ihrer Bereitung bedarf. Ebenso schlachten und braten die Helden selber; sie bändigen das Roß, das sie reiten wollen; die Gerätschaften, welche sie gebrauchen, bereiten sie mehr oder weniger selber; Pflug, Waffen zur Verteidigung, Schild, Helm, Panzer, Schwert, Spieß sind ihr eigenes Werk, oder sie sind mit der Zubereitung vertraut. In einem solchen Zustande hat der Mensch in allem, was er benutzt und womit er sich umgibt, das Gefühl, daß er es aus sich selber hervorgebracht und es dadurch in den äußeren Dingen mit dem Seinigen und nicht mit entfremdeten Gegenständen zu tun hat, die außer seiner eigenen Sphäre, in welcher er Herr ist, liegen. Allerdings muß dann die Tätigkeit für das Herbeischaffen und Formieren des Materials nicht als eine saure Mühe, sondern als eine leichte, befriedigende Arbeit erscheinen, der sich kein Hindernis und kein Mißlingen in den Weg stellt. Solch einen Zustand finden wir z. B. bei Homer. Das Zepter Agamemnons ist ein Familienstab, den sein Ahnherr selber abgehauen und auf die Nachkommen vererbt hat; Odysseus hat sich sein großes Ehebett selbst gezimmert; und wenn auch die berühmten Waffen Achills nicht seine eigene Arbeit sind, so wird doch auch hier die vielfache Verschlingung der Tätigkeiten abgebrochen, da es Hephaistos ist, welcher sie auf Bitten der Thetis verfertigt. Kurz, überall blickt die erste Freude über neue Entdeckungen, die Frische des Besitzes, die Eroberung des Genusses hervor, alles ist einheimisch, in allem hat der Mensch die Kraft seines Arms, die Geschicklichkeit seiner Hand, die Klugheit seines eigenen Geistes oder ein Resultat seines Mutes und seiner Tapferkeit gegenwärtig vor sich. In dieser Weise allein sind die Mittel der Befriedigung noch nicht zu einer bloß äußerlichen Sache heruntergesunken; wir sehen ihr lebendiges Entstehen noch selber und das lebendige Bewußtsein des Wertes, welchen der Mensch darauf legt, da er in ihnen nicht tote oder durch die Gewohnheit abgetötete Dinge, sondern seine eigenen nächsten Hervorbringungen hat. So ist hier alles idyllisch, aber nicht in der begrenzten Weise, daß Erde, Flüsse, Meer, Bäume, Vieh usf. dem Menschen seine Nahrung darreichen und der Mensch dann vornehmlich nur in der Beschränkung auf diese Umgebung und deren Genuß erscheint; sondern innerhalb dieser ursprünglichen Lebendigkeit tun sich tiefere Interessen auf, in Verhältnis auf welche die ganze Äußerlichkeit nur als ein Beiwesen, als der Boden und das Mittel für höhere Zwecke da ist - als ein Boden jedoch und eine Umgebung, über welche jene Harmonie und Selbständigkeit sich verbreitet, die nur dadurch zum Vorschein kommt, daß alles und jedes menschlich hervorgebracht und benutzt, zugleich von dem Menschen selbst, der es braucht, bereitet und genossen wird.
Eine solche Darstellungsweise nun aber auf Stoffe anzuwenden, welche aus späteren, vollkommen ausgebildeten Zeiten genommen sind, hat immer große Schwierigkeit und Gefahr. Doch hat uns Goethe in dieser Beziehung ein vollendetes Musterbild in Hermann und Dorothea geliefert. Ich will nur einige kleine Züge vergleichungsweise anführen. Voß in seiner bekannten Luise schildert in idyllischer Weise das Leben und die Wirksamkeit in einem stillen und beschränkten, aber selbständigen Kreise. Der Landpastor, die Tabakspfeife, der Schlafrock, der Lehnsessel und dann der Kaffeetopf spielen eine große Rolle. Kaffee und Zucker nun sind Produkte, welche in solchem Kreise nicht entstanden sein können und sogleich auf einen ganz anderen Zusammenhang, auf eine fremdartige Welt und deren mannigfache Vermittlungen des Handels, der Fabriken, überhaupt der modernen Industrie hinweisen. Jener ländliche Kreis daher ist nicht durchaus in sich geschlössen. In dem schönen Gemälde Hermann und Dorothea dagegen brauchten wir eine solche Beschlossenheit nicht zu fordern; denn wie schon bei einer anderen Gelegenheit angedeutet ist, spielen in dies - im ganzen Tone zwar idyllisch gehaltene - Gedicht die großen Interessen der Zeit, die Kämpfe der Französischen Revolution, die Verteidigung des Vaterlandes höchst würdig und wichtig herein. Der engere Kreis des Familienlebens in einem Landstädtchen hält sich nicht dadurch etwa so fest in sich zusammen, daß die in den mächtigsten Verhältnissen tiefbewegte Welt bloß ignoriert wird wie bei dem Landpfarrer in Vossens Luise, sondern durch das Anschließen an jene größeren Weltbewegungen, innerhalb welcher die idyllischen Charaktere und Begebnisse geschildert sind, sehen wir die Szene in den erweiternden Umfang eines gehaltreicheren Lebens hineinversetzt, und der Apotheker, der nur in dem übrigen Zusammenhang der rings bedingenden und beschränkenden Verhältnisse lebt, ist als bornierter Philister, als gutmütig, aber verdrießlich dargestellt. Dennoch ist in Rücksicht auf die nächste Umgebung der Charaktere durchweg der vorhin verlangte Ton angeschlagen. So trinkt z. B., um nur an dies eine zu erinnern, der Wirt mit seinen Gästen, dem Pfarrer und Apotheker, nicht etwa Kaffee: Sorgsam brachte die Mutter des klaren, herrlichen Weines, In geschliffener Flasche auf blankem zinnernen Runde, Mit den grünlichen Römern, den echten Bechern des Rheinweins. Sie trinken in der Kühle ein heimisches Gewächs, Dreiundachtziger, in den heimischen, nur für den Rheinwein passenden Gläsern; »die Fluten des Rheinstroms und sein liebliches Ufer« wird uns gleich darauf vor die Vorstellung gebracht, und bald werden wir auch in die eigenen Weinberge hinter dem Hause des Besitzers geführt, so daß hier nichts aus der eigentümlichen Sphäre eines in sich behaglichen, seine Bedürfnisse innerhalb seiner sich gebenden Zustands hinausgeht.
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