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II. [Gelegentliches Übergewicht der ersteren]

 

Nun sich neben die Möglichkeit, daß die Entwicklung des objektiven Geistes die des subjektiven überhole, die entgegengesetzte gestellt hat, blicke ich noch einmal auf die Bedeutung der Arbeitsteilung für die Verwirklichung der ersteren zurück. Jene doppelte Möglichkeit ergibt sich, kurz zusammengefaßt, auf folgende Weise. Daß der in Produktionen irgendwelcher Art vergegenständlichte Geist dem einzelnen Individuum überlegen ist, liegt an der Komplikation der Herstellungsweisen, die außerordentlich viel historische und sachliche Bedingungen, Vor- und Mitarbeiter voraussetzen. Dadurch kann das Produkt Energien, Qualitäten, Steigerungen in sich sammeln, die ganz außerhalb des einzelnen Produzenten liegen. Dies aber wird insbesondere in der spezifisch modernen Technik als Folge der Arbeitsteilung auftreten. Solange das Produkt im wesentlichen von einem einzelnen Produzenten oder durch eine wenig spezialisierte Kooperation hergestellt wurde, konnte der in ihm objektivierte Gehalt an Geist und Kraft den der Subjekte nicht erheblich übersteigen. Erst eine raffinierte Arbeitsteilung macht das einzelne Produkt zur Sammelstelle von Kräften, die aus einer sehr großen Anzahl von Individuen auserlesen sind; so daß es, als Einheit betrachtet und mit irgendwelchem Einzelindividuum verglichen, dieses jedenfalls nach einer ganzen Reihe von Seiten hin überragen muß; und diese Aufhäufung von Eigenschaften und Vollkommenheiten an dem Objekt, das ihre Synthese bildet, geht ins unbegrenzte, während der Ausbau der Individualitäten für jeden gegebenen Zeitabschnitt an der Naturbestimmtheit derselben eine unverrückbare Schranke findet. Aber wenn die Tatsache, daß das objektive Werk einzelne Seiten sehr vieler Persönlichkeiten in sich einsaugt, ihm so eine objektiv überragende Entwicklungsmöglichkeit gewährt, so versagt sie ihm doch auch Vollkommenheiten, die sich gerade nur durch die Synthese der Energien in einem Subjekt verwirklichen. Der Staat und zwar insbesondere der moderne ist hier das umfassendste Beispiel. Wenn nämlich der Rationalismus es als logisch widerspruchsvoll gebrandmarkt hat, daß der Monarch, der doch nur ein einzelner Mensch sei, über eine ungeheure Anzahl anderer Menschen herrsche, so ist dabei übersehen, daß die letzteren, insofern sie eben diesen Staat unter dem Monarchen bilden, gar nicht in demselben Sinn »Menschen« sind, wie dieser es ist. Sie geben vielmehr nur einen gewissen Bruchteil ihres Seins und ihrer Kräfte in den Staat hinein, mit anderen reichen sie in andere Kreise, die Gesamtheit ihrer Persönlichkeit wird überhaupt von keinem erfaßt. Diese aber setzt der Monarch in das Verhältnis ein, und also mehr als jeder einzelne seiner Untertanen für sich. Solange freilich das Regiment in dem Sinne unumschränkt ist, daß der Herrscher unmittelbar über die Personen in dem ganzen Umfang ihres Seins verfügen kann, mag jene Unverhältnismäßigkeit bestehen. Der moderne Rechtsstaat dagegen grenzt den Bezirk genau ab, mit dem die Personen in die Staatssphäre hineinfallen, er differenziert jene, um aus gewissen ausgesonderten Elementen ihrer sich selbst zu bilden. Je entschiedener diese Differenzierung ist, als ein desto objektiveres, von der Form individueller Seelenhaftigkeit gelöstes Gebilde steht der Staat dem Individuum gegenüber. Daß er so eine Synthese aus den differenzierten Elementen der Subjekte ist, macht ihn ersichtlich ebenso zu einem unter-persönlichen, wie zu einem über-persönlichen Wesen. Wie mit dem Staat aber verhält es sich mit allen Gebilden des objektiven Geistes, die durch Zusammenfügung differenzierter individueller Leistungen entstehen. Denn so sehr diese an sachlich-geistigem Gehalt und Entwickelbarkeit desselben jeden individuellen Intellekt übertreffen, so empfinden wir sie doch in demselben Maß, in dem die Differenziertheit und Anzahl der arbeitsteiligen Elemente zunimmt, als bloßen Mechanismus, dem die Seele fehlt. Aufs deutlichste tritt hier der Unterschied hervor, den man als den von Geist und Seele bezeichnen kann. Geist ist der objektive Inhalt dessen, was innerhalb der Seele in lebendiger Funktion bewußt wird; Seele ist gleichsam die Form, die der Geist, d.h. der logisch-begriffliche Inhalt des Denkens, für unsere Subjektivität, als unsere Subjektivität, annimmt. Der Geist in diesem Sinne ist deshalb nicht an die Gestaltung zur Einheit gebunden, ohne die es keine Seele gibt. Es ist, als ob die geistigen Inhalte irgendwie verstreut da wären und erst die Seele führte sie in sich einheitlich zusammen, ungefähr wie die unlebendigen Stoffe in den Organismus und die Einheit seines Lebens einbezogen werden. Darin liegt die Größe wie die Grenze der Seele gegenüber den einzelnen, in ihrer selbständigen Gültigkeit und sachlichen Bedeutsamkeit betrachteten Inhalten ihres Bewußtsein. In so leuchtender Vollkommenheit und restlosem Sich-Selbst-Genügen auch Plato das Reich der Ideen zeichnen mag, die doch nichts anderes sind, als die von aller Zufälligkeit des Vorgestelltwerdens gelösten Sachinhalte des Denkens, und so unvollkommen, bedingt und dämmernd ihm die Seele des Menschen mit ihrer blassen, verwischten, kaum erhaschten Abspiegelung jener reinen Bedeutsamkeiten erscheinen mag - für uns ist jene plastische Klarheit und logische Formbestimmtheit nicht der einzige Wertmaßstab der Ideale und Wirklichkeiten. Uns ist die Form persönlicher Einheit, zu der das Bewußtsein den objektiven geistigen Sinn der Dinge zusammenführt, von unvergleichlichem Wert: hier erst gewinnen sie die Reibung aneinander, die Leben und Kraft ist, hier entwickeln sich erst jene dunklen Wärmestrahlen des Gemütes, für die die klare Perfektion rein sachlich bestimmter Ideen keinen Platz und kein Herz hat. So aber verhält es sich auch mit dem Geiste, der durch Vergegenständlichung unserer Intelligenz sich der Seele als Objekt gegenüberstellt. Und zwar wächst der Abstand zwischen beiden offenbar in demselben Maße, in dem der Gegenstand durch das arbeitsteilige Zusammenwirken einer wachsenden Anzahl von Persönlichkeiten entsteht; denn in eben diesem Maß wird es unmöglich, in das Werk die Einheit der Persönlichkeit hineinzuarbeiten, hineinzuleben, an welche sich für uns gerade der Wert, die Wärme, die Eigenart der Seele knüpft. Daß dem objektiven Geist durch die moderne Differenziertheit seines Zustandekommens eben diese Form der Seelenhaftigkeit fehlt - in engem Zusammenhang mit dem mechanischen Wesen unserer Kulturprodukte - das mag der letzte Grund der Feindseligkeit sein, mit der sehr individualistische und vertiefte Naturen jetzt so häufig dem »Fortschritt der Kultur« gegenüberstehen. Und zwar um so mehr, als diese, durch die Arbeitsteilung bestimmte Entwicklung der objektiven Kultur eine Seite oder Folge der allgemeinen Erscheinung ist, die man so auszudrücken pflegt: daß das Bedeutende in der gegenwärtigen Epoche nicht mehr durch die Individuen, sondern durch die Massen geschehe. Die Arbeitsteilung bewirkt in der Tat, daß der einzelne Gegenstand schon ein Produkt der Masse ist; die, unsere Arbeitsorganisation bestimmende, Zerlegung der Individuen in ihre einzelnen Energien und die Zusammenführung des so Herausdifferenzierten zu einem objektiven Kulturprodukt hat zur Folge, daß in diesem einzelnen um so weniger Seele ist, je mehr Seelen an seiner Herstellung beteiligt waren. Die Pracht und Größe der modernen Kultur zeigt so einige Analogie mit jenem strahlenden Ideenreiche Platos, in dem der objektive Geist der Dinge in makelloser Vollendung wirklich ist, dem aber die Werte der eigentlichen, nicht in Sachlichkeiten auflösbaren Persönlichkeit fehlen - ein Mangel, den alles Bewußtsein des fragmentarischen, irrationalen, ephemeren Charakters der letzteren nicht unfühlbar machen kann. Ja, die personale Seelenhaftigkeit besitzt als bloße Form einen Wert, der sich neben aller Minderwertigkeit und Kontraidealität ihres jeweiligen Inhalts behauptet; sie bleibt als eine eigentümliche Bedeutsamkeit des Daseins, all seiner Objektivität gegenüber, selbst in den Fällen bestehen, von denen wir ausgingen und in denen die individuell-subjektive Kultur einen Rückschritt zeigt, während die objektive fortschreitet.

 


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