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II. [Die Vergegenständlichung des Geistes]

 

Wie erklärt sich nun diese Erscheinung? Wenn alle Kultur der Dinge, wie wir sahen, nur eine Kultur der Menschen ist, so daß nur wir uns ausbilden, indem wir die Dinge ausbilden - was bedeutet jene Entwicklung, Ausgestaltung, Vergeistigung der Objekte, die sich wie aus deren eigenen Kräften und Normen heraus vollzieht und ohne daß sich einzelne Seelen darin oder daran entsprechend entfalteten? Hierin liegt eine Steigerung des rätselhaften Verhältnisses vor, das überhaupt zwischen dem Leben und den Lebensprodukten der Gesellschaft einerseits und den fragmentarischen Daseinsinhalten der Individuen andrerseits besteht. In Sprache und Sitte, politischer Verfassung und Religionslehren, Literatur und Technik ist die Arbeit unzähliger Generationen niedergelegt, als gegenständlich gewordener Geist, von dem jeder nimmt, so viel wie er will oder kann, den aber überhaupt kein Einzelner ausschöpfen könnte; zwischen dem Maß dieses Schatzes und dem des davon Genommenen bestehen die mannigfaltigsten und zufälligsten Verhältnisse, und die Geringfügigkeit oder Irrationalität der individuellen Anteile läßt den Gehalt und die Würde jenes Gattungsbesitzes so unberührt, wie irgendein körperliches Sein es von seinem einzelnen Wahrgenommen- oder Nichtwahrgenommenwerden bleibt. Wie sich der Inhalt und die Bedeutung eines vorliegenden Buches als solche indifferent zu seinem großen oder kleinen, verstehenden oder verständnislosen Leserkreise verhält, so steht auch jedes sonstige Kulturprodukt dem Kulturkreise gegenüber, zwar bereit, von jedem ergriffen zu werden, für diese Bereitheit aber immer nur eine sporadische Aufnahme findend. Diese verdichtete Geistesarbeit der Kulturgemeinschaft verhält sich also zu ihrer Lebendigkeit in den individuellen Geistern wie die weite Fülle der Möglichkeit zu der Begrenzung der Wirklichkeit. Das Verständnis der Daseinsart solcher objektiven Geistesinhalte fordert ihre Einstellung in eine eigenartige Organisation unserer weltauffassenden Kategorien. Innerhalb dieser wird dann auch das diskrepante Verhältnis der objektiven Und der subjektiven Kultur, das unser eigentliches Problem bildet, seine Stelle finden.

Wenn der Platonische Mythus die Seele in ihrer Präexistenz das reine Wesen, die absolute Bedeutung der Dinge schauen läßt, so daß ihr späteres Wissen nur eine Erinnerung an jene Wahrheit sei, die gelegentlich sinnlicher Anregungen in ihr auftauche - so ist das nächste Motiv dafür freilich die Ratlosigkeit, wo denn unsere Erkenntnisse herstammen mögen, wenn man ihnen, wie Plato es tut, den Ursprung aus der Erfahrung verweigert. Allein über diese Gelegenheitsursache ihrer Entstehung hinweg ist in jener metaphysischen Spekulation ein erkenntnistheoretisches Verhalten unserer Seele tiefsinnig angedeutet. Mögen wir nämlich unser Erkennen als eine unmittelbare Wirkung äußerer Gegenstände ansehen, oder als einen rein inneren Vorgang, innerhalb dessen alles Außen eine immanente Form oder Verhältnis seelischer Elemente ist - immer empfinden wir unser Denken, insoweit es uns für wahr gilt, als die Erfüllung einer sachlichen Forderung, als das Nachzeichnen einer ideellen Vorzeichnung. Selbst wenn eine genaue Abspiegelung der Dinge, wie sie an sich sind, unser Vorstellen ausmachte, so würde die Einheit, Richtigkeit und Vollendung, der sich die Erkenntnis, ein Stück nach dem anderen erobernd, ins unendliche nähert, doch nicht den Gegenständen selbst zukommen. Vielmehr, das Ideal unseres Erkennens würde immer nur ihr Inhalt in der Form des Vorstellens sein, denn auch der äußerste Realismus will nicht die Dinge, sondern die Erkenntnis der Dinge gewinnen. Wenn wir die Summe von Bruchstücken, die in jedem gegebenen Augenblick unseren Wissensschatz ausmacht, also im Hinblick auf die Entwicklung bezeichnen, zu der dieser strebt und an der sich jedes gegenwärtige Stadium in seiner Bedeutung mißt - so können wir das auch nur durch die Voraussetzung, die jener Platonischen Lehre zum Grunde liegt: daß es ein ideales Reich der theoretischen Werte, des vollendeten intellektuellen Sinnes und Zusammenhanges gibt, das weder mit den Objekten zusammenfällt - da diese ja eben erst seine Objekte sind - noch mit dem jeweilig erreichten, psychologisch wirklichen Erkennen. Dieses letztere vielmehr bringt sich erst allmählich und immer unvollkommen mit jenem, das alle überhaupt mögliche Wahrheit einschließt, zur Deckung, es ist wahr in dem Maße, in dem ihm das gelingt. Die Grundtatsache dieses Gefühles: daß unser Erkennen in jedem Augenblick der Teil eines nur ideell vorhandenen, aber uns zur psychischen Verwirklichung dargebotenen und sie fordernden Komplexes der Erkenntnisse ist - diese scheint für Plato bestanden zu haben; nur daß er sie als einen Abfall des wirklichen Erkennens von dem einstigen Besitze dieser Totalität ausdrückte, als ein Nicht-Mehr, was wir heute als ein Noch-Nicht auffassen müssen. Das Verhältnis selbst aber kann offenbar bei beiden Deutungen - wie sich ja die identische Summe sowohl durch Subtraktion Von Höherem, wie durch Addition von Niedrigerem herstellen läßt - als das ganz gleich gefühlte zum Grunde liegen. Die eigentümliche Daseinsart dieses Erkenntnisideals, das unseren wirklichen Erkenntnissen als Norm oder Totalität gegenübersteht, ist dieselbe, wie sie der Gesamtheit sittlicher Werte und Vorschriften, gegenüber dem tatsächlichen Handeln der Individuen, zukommt. Hier, auf dem ethischen Gebiet, ist uns das Bewußtsein geläufiger, daß unser Tun eine in sich gültige Norm vollständiger oder mangelhafter verwirklicht. Diese Norm, - welche übrigens ihrem Inhalte nach für jeden Menschen und für jede Epoche seines Lebens verschieden sein mag - ist weder in Raum und Zeit auffindbar, noch fällt sie mit dem ethischen Bewußtsein zusammen, das sich vielmehr als von ihr abhängig empfindet. Und so ist dies schließlich die Formel unseres Lebens überhaupt, von der banalen Praxis des Tages bis zu den höchsten Gipfeln der Geistigkeit: in allem Wirken haben wir eine Norm, einen Maßstab, eine ideell vorgebildete Totalität über uns, die eben durch dies Wirken in die Form der Realität übergeführt wird - womit nicht nur das Einfache und Allgemeine gemeint ist, daß jedes Wollen durch irgendein Ideal gelenkt wird. Sondern es steht ein bestimmter, mehr oder weniger deutlicher Charakter unseres Handelns in Frage, der sich nur so ausdrücken läßt, daß wir mit diesem Handeln, gleichviel ob es seinem Werte nach etwa sehr kontra-ideal ist, eine irgendwie vorgezeichnete Möglichkeit, gleichsam ein ideelles Programm erfüllen. Unsere praktische Existenz, unzulänglich und fragmentarisch, wie sie ist, erhält eine gewisse Bedeutsamkeit und Zusammenhang dadurch, daß sie sozusagen die Teilverwirklichung einer Ganzheit ist. Unser Handeln, ja unser gesamtes Sein, schönes wie häßliches, rechtes wie irrendes, großes wie kleinliches erscheint einem Schatze von Möglichkeiten entnommen, derart, daß es sich in jedem Augenblick zu seinem ideell bestimmten Inhalt verhält, wie das konkrete Einzelding zu seinem Begriff, der sein inneres Gesetz und logisches Wesen ausspricht, ohne in der Bedeutung dieses Inhalts von dem Ob, Wie und Wieoft seiner Verwirklichungen abhängig zu sein. Wir können uns das Erkennen gar nicht anders denken, als daß es diejenigen Vorstellungen innerhalb des Bewußtseins verwirklichte, die an der gerade fraglichen Stelle sozusagen darauf gewartet haben. Daß wir unsere Erkenntnisse notwendige nennen, das heißt, daß sie ihrem Inhalte nach nur in einer Weise dasein können, das ist doch nur ein anderer Ausdruck für die Bewußtseinstatsache, daß wir sie als psychische Realisierungen jenes ideell bereits feststehenden Inhaltes empfinden. Diese eine Weise bedeutet indes keineswegs, daß es für alle Mannigfaltigkeit der Geister nur eine Wahrheit gibt. Vielmehr: wenn auf der einen Seite ein bestimmt angelegter Intellekt, auf der anderen eine bestimmte Objektivität gegeben ist, so ist damit dasjenige, was gerade für diesen Geist »Wahrheit« ist, sachlich präformiert, wie es das Resultat einer Rechnung ist, wenn ihre Faktoren gegeben sind; bei jeder Änderung der mitgebrachten geistigen Struktur ändert sich der Inhalt dieser Wahrheit, ohne darum weniger objektiv und unabhängig von allem, in diesem Geiste erfolgenden Bewußtwerden festzustehen. Die ganze unverbrüchliche Anweisung, die wir bestimmten Wissenstatsachen entnehmen, daß nun auch bestimmte andere angenommen werden müssen, bedeutet die Gelegenheitsursache, die jenes Wesen unserer Erkenntnisse sichtbar macht: jede einzelne dieser das Bewußtwerden von etwas, das innerhalb des sachlich determinierten Zusammenhanges der Erkenntnisinhalte bereits gültig und festgelegt ist. Von der psychologischen Seite endlich angesehen, gehört dies zu der Theorie, nach der alles Fürwahrhalten ein gewisses Gefühl ist, das Vorstellungsinhalte begleitet; was wir beweisen nennen, ist nichts als die Herbeiführung einer psychologischen Konstellation, auf die hin jenes Gefühl eintritt. Kein sinnliches Wahrnehmen oder logisches Folgen ist unmittelbar die Überzeugung von einer Wirklichkeit; sondern dies sind pur Bedingungen, die das übertheoretische Gefühl der Bejahung, der Zustimmung, oder wie man dieses eigentlich unbeschreibliche Wirklichkeitsgefühl nennen mag, hervorrufen. Dieses bildet das psychologische Vehikel zwischen den beiden erkenntnistheoretischen Kategorien: dem gültigen, durch seinen inneren Zusammenhang getragenen, jedem Element seine Stelle anweisenden inhaltlichen Sinn der Dinge und unserem Vorstellen ihrer, das ihre Wirklichkeit innerhalb eines Subjekts bedeutet.

 


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