III. [Die Konzentration des Geldverkehrs]
Abgesehen nun von den Folgen der Veränderungen des Geldbestandes, die das Tempo des Lebens gleichsam als eine Funktion der Veränderungen jenes erscheinen lassen, tritt die Zusammendrängung der Lebensinhalte noch in einer anderen Folge des Geldverkehrs hervor. Es ist diesem nämlich eigentümlich, daß er zur Konzentration an verhältnismäßig wenigen Plätzen drängt. In bezug auf lokale Diffusion kann man eine Skala der ökonomischen Objekte aufstellen, von der ich hier nur ganz im Rohen einige der charakteristischsten Stufen andeute. Sie beginnt mit dem Ackerbau, dessen Natur jeder Zusammenrückung seiner Gebietsteile widersteht; er schließt sich unabwendbar dem ursprünglichen Außereinander des Raumes an. Die industrielle Produktion ist schon komprimierbarer: der Fabrikbetrieb stellt eine räumliche Kondensierung gegenüber dem Handwerk und der Hausindustrie dar, das moderne Industriezentrum ist ein gewerblicher Mikrokosmos, in den jede in der Welt vorhandene Gattung von Rohstoffen strömt, um zu Formen gestaltet zu werden, deren Ursprünge weltweit auseinanderliegen. Das äußerste Glied dieser Stufenleiter bilden die Geldgeschäfte. Das Geld steht vermöge der Abstraktheit seiner Form jenseits aller bestimmten Beziehungen zum Raum: es kann seine Wirkungen in die weitesten Fernen erstrecken, ja es ist gewissermaßen in jedem Augenblick der Mittelpunkt eines Kreises potenzieller Wirkungen; aber es gestattet auch umgekehrt, die größte Wertsumme in die kleinste Form zusammenzudrängen - bis zu dem 10-Millionen-Dollar-Scheck, den Jay Gould einmal ausstellte. Der Komprimierbarkeit der Werte vermöge des Geldes, und des Geldes vermöge seiner immer abstrakteren Formen entspricht nun die der Geldgeschäfte. In dem Maß, in dem die Wirtschaft eines Landes mehr und mehr auf Geld gestellt wird, schreitet die Konzentrierung seiner Finanzaktionen in großen Knotenpunkten des Geldverkehrs vor. Von jeher war die Stadt im Unterschied vom Lande der Sitz der Geldwirtschaft; dies Verhältnis wiederholt sich zwischen Klein- und Großstädten, so daß ein englischer Historiker sagen konnte, London habe, in seiner ganzen Geschichte, niemals als das Herz von England gehandelt, manchmal als sein Gehirn, aber immer als sein Geldbeutel; und schon am Ende der römischen Republik heißt es, jeder Pfennig, der in Gallien ausgegeben werde, gehe durch die Bücher der Finanziers in Rom. An dieser Zentripetalkraft der Finanz hängt das Interesse beider Parteien: der Geldnehmer, weil sie wegen der Konkurrenz der zusammenströmenden Kapitalien billig borgen (in Rom stand der Zinsfuß halb so hoch als sonst durchschnittlich im Altertum), der Geldgeber, weil sie das Geld zwar nicht so hoch, wie an isolierten Punkten, ausleihen, aber des Wichtigeren sicher sind, jederzeit überhaupt Verwendung dafür zu finden; weshalb man denn auch bemerkt hat, daß Kontraktionen des Geldmarktes im Zentrum desselben immer schneller überwunden werden, als an den verschiedenen Punkten seiner Peripherie. Indem das Geld diese, seinem Wesen als Tendenz innewohnende Zentralisierung gefunden hat, hat es das Präliminarstadium überwunden, in dem es sich nur in den Händen zerstreuter Einzelpersonen akkumulierte. Gerade der durch das Geld ausgeübten Übermacht Einzelner hat die Zentralisierung des Geldverkehrs an den Börsen entgegengewirkt; so sehr die Börsen von Lyon und Antwerpen im 16. Jahrhundert einzelnen Geldmagnaten enorme Gewinne ermöglichten, so war doch mit ihnen die Macht des Geldes in einem Zentralgebilde objektiviert, dessen Kräfte und Normen auch dem mächtigsten Einzelnen überlegen waren und es verhinderten, daß je wieder ein einzelnes Haus den Gang der Weltgeschichte so bestimmte, wie die Fugger es noch konnten. Der tiefere Grund für die Bildung von Finanzzentren liegt offenbar in dem Relativitätscharakter des Geldes: weil es einerseits nur die Wertverhältnisse der Waren untereinander ausdrückt, weil andrerseits jedes bestimmte Quantum seiner einen weniger unmittelbar festzustellenden Wert besitzt, als das irgendeiner anderen Ware, sondern mehr als jede andere ausschließlich durch Vergleichung mit dem angebotenen Gesamtquantum überhaupt eine Bedeutung erhält - so wird seine maximale Konzentrierung auf einen Punkt, das fortwährende Gegeneinanderhalten möglichst großer Summen, die Ausgleichung eines überwiegenden Teiles von Angebot und Nachfrage überhaupt, zu seiner größeren Wertbestimmtheit und Verwendbarkeit führen. Ein Scheffel Getreide hat eine gewisse Bedeutung an jedem noch so isolierten Platze, so große Unterschiede auch sein Geldpreis aufweise. Ein Geldquantum aber hat seine Bedeutung nur im Zusammentreffen mit anderen Werten; mit je mehren es zusammentrifft, um so sicherer und gerechter erlangt es jene; deshalb drängt nicht nur »alles nach Golde« - die Menschen wie die Dinge - sondern das Geld drängt auch seinerseits nach »Allem«, es sucht sich mit anderem Gelde, mit allen möglichen Werten und ihren Besitzern zusammenzubringen. Und der gleiche Zusammenhang in umgekehrter Richtung: der Konflux vieler Menschen erzeugt ein besonders starkes Bedürfnis nach Geld. In Deutschland entstand eine hauptsächliche Nachfrage nach Geld durch die Jahrmärkte, die die Territorialherren einrichteten, um an Münztausch und Warenzoll zu profitieren. Durch diese zwangsweise Konzentrierung des Handelsverkehrs eines größeren Territoriums an einem Punkte wurde Kauflust und Umsatz sehr gesteigert, der Gebrauch des Geldes wurde erst dadurch zur allgemeinen Notwendigkeit. Wo nur immer viele Menschen zusammenkommen, wird Geld verhältnismäßig stärker erfordert werden. Denn wegen seiner an sich indifferenten Natur Ist es die geeignetste Brücke und Verständigungsmittel zwischen vielen und verschiedenen Persönlichkeiten; je mehre es sind, desto spärlicher werden die Gebiete, auf denen andere als Geldinteressen die Basis ihres Verkehrs bilden können.