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III. [Die Rhythmik oder Symmetrie der Lebensinhalte und ihr Gegenteil]

 

Ich komme nun zu einer zweiten Stilbestimmtheit des Lebens, die nicht, wie die Distanzierung, durch eine räumliche, sondern durch eine zeitliche Analogie bezeichnet wird; und zwar, da die Zeit inneres und äußeres Geschehen gleichmäßig umfaßt, wird die Wirklichkeit damit unmittelbarer und mit geringerer Inanspruchnahme der Symbolik als in dem früheren Falle charakterisiert. Es handelt sich um den Rhythmus, in dem die Lebensinhalte auftreten und zurücktreten, um die Frage, inwieweit die verschiedenen Kulturepochen überhaupt die Rhythmik in dem Abrollen derselben begünstigen oder zerstören, und ob das Geld nicht nur in seinen eigenen Bewegungen daran teil hat, sondern auch jenes Herrschen oder Sinken der Periodik des Lebens von sich aus beeinflußt. Auf den Rhythmus von Hebung und Senkung ist unser Leben in all seinen Reihen eingestellt; die Wellenbewegung, die wir in der äußeren Natur unmittelbar und als die zugrunde liegende Form so vieler Erscheinungen erkennen, beherrscht auch die Seele im weitesten Kreise. Der Wechsel von Tag und Nacht, der unsere ganze Lebensform bestimmt, zeichnet uns die Rhythmik als allgemeines Schema vor; wir können nicht zwei, dem Sinne nach koordinierte Begriffe aussprechen, ohne daß psychologisch der eine den Akzent der Hebung, der andere den der Senkung erhielte: so ist z.B. »Wahrheit und Dichtung« etwas ganz anderes als »Dichtung und Wahrheit«. Und wo von drei Elementen das dritte dem zweiten koordiniert sein soll, ist auch dies psychologisch nicht vollkommen zu realisieren, sondern die Wellenform des Seelischen strebt dem dritten einen dem ersten ähnlichen Akzent zu geben: z.B. ist das Versmaß -υυ gar nicht völlig korrekt auszusprechen, sondern unvermeidlich wird die dritte Silbe schon wieder etwas stärker als die zweite betont. Die Einteilung der Tätigkeitsreihen, im großen wie im kleinen, in rhythmisch wiederholte Perioden dient zunächst der Kraftersparnis. Durch den Wechsel innerhalb der einzelnen Periode werden die Tätigkeitsträger, physischer oder psychischer Art, abwechselnd geschont, während zugleich die Regelmäßigkeit des Turnus eine Gewöhnung an den ganzen Bewegungskomplex schafft, deren allmähliches Festerwerden jede Wiederholung erleichtert. Der Rhythmus genügt gleichzeitig den Grundbedürfnissen nach Mannigfaltigkeit und nach Gleichmäßigkeit, nach Abwechslung und nach Stabilität: indem jede Periode für sich aus differenten Elementen, Hebung und Senkung, quantitativen oder qualitativen Mannigfaltigkeiten besteht, die regelmäßige Wiederholung ihrer aber Beruhigung, Uniformität, Einheitlichkeit im Charakter der Reihe bewirkt. An der Einfachheit oder der Komplikation der Rhythmik, der Länge oder Kürze ihrer einzelnen Perioden, ihrer Regelmäßigkeit, ihren Unterbrechungen, oder auch ihrem Ausbleiben finden die individuellen und die sozialen, die sachlichen und die historischen Lebensreihen gleichsam ihre abstrakte Schematik. Innerhalb der hier fraglichen Kulturentwicklungen begegnen zunächst eine Reihe von Erscheinungen, die in früheren Stadien rhythmisch, in späteren aber kontinuierlich oder unregelmäßig verlaufen. Vielleicht die auffallendste: der Mensch hat keine bestimmte Paarungszeit mehr, wie sie fast bei allen Tieren besteht, bei denen sich sexuelle Erregtheit und Gleichgültigkeit scharf gegeneinander absetzen; unkultivierte Völker weisen mindestens noch Reste dieser Periodik auf. Die Verschiedenheit in der Brunstzeit der Tiere hängt wesentlich daran, daß die Geburten zu derjenigen Jahreszeit erfolgen müssen, in der Nahrungs- und klimatische Verhältnisse für das Aufbringen der Jungen am günstigsten sind; tatsächlich werden auch bei einigen der sehr rohen Australneger, die keine Haustiere haben und deshalb regelmäßigen Hungersnöten unterliegen, nur zu einer bestimmten Zeit des Jahres Kinder geboren. Der Kulturmensch hat sich durch seine Verfügung über Nahrung und Wetterschutz hiervon unabhängig gemacht, so daß er in dieser Hinsicht seinen individuellen Impulsen und nicht mehr allgemein, also notwendig rhythmisch, bestimmten, folgt: die oben genannten Gegensätze der Sexualität sind bei ihm in ein mehr oder weniger fluktuierendes Kontinuum übergegangen. Immerhin ist festgestellt, daß die noch beobachtbare Periodizität des Geburtenmaximums und -minimums in wesentlich Ackerbau treibenden Gegenden entschiedener ist als in industriellen, auf dem Lande entschiedener als in Städten. Weiter: das Kind unterliegt einem unbezwinglichen Rhythmus von Schlafen und Wachen, von Betätigungslust und Abgespanntheit, und annähernd ist das auch noch in ländlichen Verhältnissen zu beobachten - während für den Stadtmenschen diese Regelmäßigkeit der Bedürfnisse (nicht nur ihrer Befriedigungen!) längst durchbrochen ist. Und wenn es wahr ist, daß die Frauen die undifferenziertere, der Natur noch unmittelbarer verbundene Stufe des Menschlichen bezeichnen, so könnte die Periodik, die ihrem physiologischen Leben einwohnt, als Bestätigung dafür dienen. Wo der Mensch noch unmittelbar von der Ernte oder dem Jagdertrag, weiterhin von dem Eintreffen des umherziehenden Händlers oder von dem periodischen Markte abhängig ist, da muß sich das Leben nach sehr vielen Richtungen hin in einem Rhythmus von Expansion und Kontraktion bewegen. Für manche Hirtenvölker, die sogar schon höher stehen wie jene Australneger, z.B. manche Afrikaner, bedeuten die Zeiten, in denen es an Weideland fehlt, doch eine jährlich wiederkehrende halbe Hungersnot. Und selbst wo nicht eine eigentliche Periodik vorliegt, da zeigt doch die primitive Wirtschaft für den Selbstbedarf in bezug auf die Konsumtion wenigstens jenes wesentliche Moment ihrer: das unvermittelte Überspringen der Gegensätze ineinander, von Mangel zu Überfluß, von Überfluß zu Mangel. Wie sehr die Kultur hier Ausgleichung bedeutet, ist ersichtlich. Nicht nur sorgt sie dafür, daß das ganze Jahr über alle erforderlichen Lebensmittel in ungefähr gleichem Quantum angeboten werden, sondern vermöge des Geldes setzt sie auch die verschwenderische Konsumtion herab: denn jetzt kann der zeitweilige Überfluß zu Gelde gemacht und sein Genuß dadurch gleichmäßig und kontinuierlich über das ganze Jahr verteilt werden. Ich erwähne hier endlich, ganz jenseits aller Wirtschaft und nur als charakteristisches Symbol dieser Entwicklung, daß auch in der Musik das rhythmische Element das zuerst ausgeprägte und gerade auf ihren primitivsten Stufen äußerst hervortretende ist. Ein Missionar ist in Aschanti bei der wirren Disharmonie der dortigen Musik von dem wunderbaren Takthalten der Musiker überrascht, die chinesische Theatermusik in Kalifornien soll, obgleich ein ohrenzerreißender unmelodischer Lärm, doch strenge Taktmäßigkeit besitzen, von den Festen der Wintunindianer erzählt ein Reisender: »Dann kommen auch Gesänge, in denen jeder Indianer seine eigenen Gefühle ausdrückt, wobei sie seltsamerweise vollkommen Takt miteinander halten.« Tiefer hinabsteigend: gewisse Insekten bringen einen Laut zur Bezauberung der Weibchen hervor, der in einem und demselben, scharf rhythmisch wiederholten Ton besteht - im Unterschied gegen die höher entwickelten Vögel, in deren Liebesgesang die Rhythmik ganz hinter die Melodie zurücktritt. Und auf den höchsten Stufen der Musik wird bemerkt, daß neuerdings die Entwicklung vom Rhythmischen ganz abzuweichen scheine, nicht nur bei Wagner, sondern auch bei gewissen Gegnern von ihm, die in ihren Texten dem Rhythmischen aus dem Wege gehen und den Korintherbrief und den Prediger Salomonis komponieren; der scharfe Wechsel von Hebung und Senkung macht ausgeglichneren oder unregelmäßigeren Formen Platz. Sehen wir von dieser Analogie wieder auf das wirtschaftliche und allgemeine Kulturleben zurück, so scheint dasselbe von einer durchgängigen Vergleichmäßigung ergriffen, seit man für Geld alles zu jeder Zeit kaufen kann und deshalb die Regungen und Reizungen des Individuums sich an keinen Rhythmus mehr zu halten brauchen, der, voll der Möglichkeit ihrer Befriedigung aus, sie einer transindividuellen Periodizität unterwürfe. Und wenn die Kritiker der jetzigen Wirtschaftsordnung gerade ihr den regelmäßigen Wechsel zwischen Überproduktion und Krisen vorwerfen, so wollen sie damit doch gerade das noch Unvollkommene an ihr bezeichnen, das in eine Kontinuität der Produktion wie des Absatzes überzuführen sei. Ich erinnere an die Ausdehnung des Transportwesens, das von der Periodizität der Fahrpost zu den zwischen den wichtigsten Punkten fast ununterbrochen laufenden Verbindungen und bis zum Telegraphen und Telephon fortschreitet, die die Kommunikation überhaupt nicht mehr an eine Zeitbestimmtheit binden; an die Verbesserung der künstlichen Beleuchtung, die den Wechsel von Tag und Nacht mit seinen, das Leben rhythmisierenden Folgen immer gründlicher paralysiert; an die gedruckte Literatur, die uns, unabhängig von dem eigenen organischen Wechsel des Denkprozesses zwischen Anspannungen und Pausen, in jedem Momente, wo wir es gerade wünschen, mit Gedanken und Anregungen versorgt. Kurz, wenn die Kultur, wie man zu sagen pflegt, nicht nur den Raum, sondern auch die Zeit überwindet, so bedeutet dies, daß die Bestimmtheit zeitlicher Abteilungen nicht mehr das zwingende Schema für unser Tun und Genießen bildet, sondern daß dieses nur noch von dem Verhältnis zwischen unserem Wollen und Können und den rein sachlichen Bedingungen ihrer Betätigung abhängt. Also: die generell dargebotenen Bedingungen sind vom Rhythmus befreit, sind ausgeglichener, um der Individualität Freiheit und mögliche Unregelmäßigkeit zu verschaffen; in diese Differenzierung sind die Elemente von Gleichmäßigkeit und Verschiedenheit, die im Rhythmus vereint sind, auseinandergegangen.

Es wäre indes ganz irrig, die Entwicklung des Lebensstiles in die verführerisch einfache Formel zu bannen, daß er von der Rhythmik seiner Inhalte zu einer von jedem Schema unabhängigen Bewährung derselben weiterschritte. Dies gilt vielmehr nur für bestimmte Abschnitte der Entwicklung, deren Ganzes tiefere und verwickeltere Nachzeichnungen fordert. Ich untersuche deshalb zunächst die psychologisch-historische Bedeutung jener Rhythmik, wobei ich ihr rein physiologisch veranlaßtes Auftreten, das nur die Periodik der äußeren Natur wiederholt, außer acht lasse.

 


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