II. [Steigerung der Kultur der Dinge, Zurückbleiben der Kultur der Personen]
Nun scheint es zunächst selbstverständlich, daß unpersönliche Dinge nur gleichnisweise als kultiviert zu bezeichnen sind. Denn jene durch Willen und Intellekt bewirkte Entfaltung des Gegebenen über die Grenze seines bloß natürlichen Sich-Auslebens hinaus lassen wir doch schließlich nur uns selbst oder solchen Dingen zukommen, deren Entwicklungen sich an unsere Impulse anschließen und rückwirkend unsere Gefühle anregen. Die materiellen Kulturgüter: Möbel und Kulturpflanzen, Kunstwerke und Maschinen, Geräte und Bücher, in denen natürliche Stoffe zu ihnen zwar möglichen, durch ihre eigenen Kräfte aber nie verwirklichten Formen entwickelt werden, sind unser eigenes, durch Ideen entfaltetes Wollen und Fühlen, das die Entwicklungsmöglichkeiten der Dinge, soweit sie auf seinem Wege liegen. In sich einbezieht; und das verhält sich nicht anders als mit der Kultur, die das Verhältnis des Menschen zu anderen und zu sich selbst formt: Sprache, Sitte, Religion, Recht. Insofern diese Werte als kulturell angesehen werden, unterscheiden wir sie von den Ausbildungsstufen der in ihnen lebendigen Energien, die sie sozusagen von sich aus erreichen können und die für den Kultivierungsprozeß ebenso nur Material sind, wie Holz und Metall, Pflanzen und Elektrizität. Indem wir die Dinge kultivieren, d.h. ihr Wertmaß über das durch ihren natürlichen Mechanismus uns geleistete hinaus steigern, kultivieren wir uns selbst: es ist der gleiche, von uns ausgehende und in uns zurückkehrende Werterhöhungsprozeß, der die Natur außer uns oder die Natur in uns ergreift. Die bildende Kunst zeigt diesen Kulturbegriff am reinsten, weil in der größten Spannung der Gegensätze. Denn hier scheint zunächst die Formung des Gegenstandes sich jener Einfügung in den Prozeß unserer Subjektivität völlig zu entziehen. Das Kunstwerk deutet uns doch gerade den Sinn der Erscheinung selbst, liege ihm dieser nun in der Gestaltung der Räumlichkeit oder in den Beziehungen der Farben oder in der Seelenhaftigkeit, die so in wie hinter dem Sichtbaren lebt. Immer aber gilt es, den Dingen ihre Bedeutung und ihr Geheimnis abzuhören, um es in reinerer oder deutlicherer Gestalt, als zu der ihre natürliche Entwicklung es gebracht hat, darzustellen - nicht aber im Sinne chemischer oder physikalischer Technologie, die die Gesetzlichkeiten der Dinge erkundet, um sie in unsere, außerhalb ihrer selbst gelegenen Zweckreihen einzustellen; vielmehr, der artistische Prozeß ist abgeschlossen, sobald er den Gegenstand zu dessen eigenster Bedeutung entwickelt hat. Tatsächlich ist hiermit dem bloß artistischen Ideal auch genügt, denn für dieses ist die Vollendung des Kunstwerkes als solchen ein objektiver Wert, völlig unabhängig von seinem Erfolge für unser subjektives Fühlen: das Stichwort des l'art pour l'art bezeichnet treffend die Selbstgenügsamkeit der rein künstlerischen Tendenz. Anders aber vom Standpunkte des Kulturideals. Das Wesentliche dieses ist eben, daß es die Eigenwertigkeit der ästhetischen, wissenschaftlichen, sittlichen, eudämonistischen, ja der religiösen Leistung aufhebt, um sie alle als Elemente oder Bausteine in die Entwicklung des menschlichen Wesens über seinen Naturzustand hinaus einzufügen; oder genauer: sie sind die Wegstrecken, die diese Entwicklung durchläuft. Freilich muß sie sich in jedem Augenblick auf einer dieser Strecken befinden; sie kann niemals ohne einen Inhalt rein formell und an sich selbst verlaufen; allein darum ist sie mit diesem Inhalt noch nicht identisch. Die Kulturinhalte bestehen aus jenen Gebilden, deren jedes einem autonomen Ideal untersteht, nun aber betrachtet unter dem Blickpunkt der von ihnen getragenen und durch sie hindurchbewegten Entwicklung unserer Kräfte oder unseres Seins über das Maß hinaus, das als das bloß natürliche gilt. Indem der Mensch die Objekte kultiviert, schafft er sie sich zum Bilde: insofern die transnaturale Entfaltung ihrer Energien als Kulturprozeß gilt, ist sie nur die Sichtbarkeit oder der Körper für die gleiche Entfaltung unserer Energien. -