III. [Die Mobilisierung der Werte]
Endlich muß die Geschwindigkeit, die der Zirkulation des Geldes gegenüber der aller anderen Objekte eigen ist, das allgemeine Lebenstempo unmittelbar und in demselben Maße steigern, in dem das Geld das allgemeine Interessenzentrum wird. Die Rundheit der Münzen, infolge deren sie »rollen müssen«, symbolisiert den Rhythmus der Bewegung, die das Geld dem Verkehr mitteilt: selbst wo die Münze ursprünglich eckig war, muß der Gebrauch zunächst die Ecken abgeschliffen und sie der Rundung angenähert haben; physikalische Notwendigkeiten haben so der Intensität des Verkehrs die ihm dienlichste Werkzeugsform verschafft. Vor hundert Jahren gab es in den Nilländern sogar vielfach Kugelgeld, aus Glas, Holz, Achat - durch die Verschiedenheit der Stoffe beweisend, daß seine Form der Grund der ihm nachgesagten Beliebtheit war. So ist es doch mehr als ein zufälliges Zusammentreffen der Bezeichnungen, wenn ganzen Geldsummen gegenüber das Prinzip der »Abrundung« auftaucht, und zwar erst mit steigender Geldwirtschaft. Die Abrundung ist ein relativ moderner Begriff. Die primitivste Form der Anweisungen auf das englische Schatzamt waren Kerbhölzer, die auf ganz beliebige, ungleichmäßige Beträge lauteten und vielfach als Geld kursierten. Erst im 18. Jahrhundert wurden sie durch indossable Papierscheine ersetzt, welche bestimmte runde Beträge von 5 Pfund aufwärts darstellten. Es ist überhaupt auffällig, wie wenig man früher, selbst bei großen Beträgen, auf Abrundung sah. Fälle wie die, daß die Fugger 1530 für den Kaiser Ferdinand 275333 fl. und 20 kr. auszuzahlen übernahmen und daß ihnen 1577 Kaiser Maximilian II. 220674 fl. schuldete, sind nicht selten. Die Entwicklung des Aktienwesens geht denselben Gang. Das Aktienkapital der Ostindischen Kompanie in den Niederlanden ließ sich im 17. Jahrhundert in ganz beliebig große Stücke zerlegen. Erst die Beschleunigung des Verkehrs brachte es dahin, daß schließlich eine feste Einheit von 500 Pfund Vlämisch der allein gehandelte Teilbetrag und »eine Aktie« schlechthin wurde. Noch heute sind es die Plätze des größeren Geldverkehrs, in denen auch der Kleinhandel sich nach runden Summen vollzieht, während die Preise an abgelegenen Orten dem Großstädter merkwürdig wenig abgerundet vorkommen. Die schon oben hervorgehobene Entwicklung von unbehilflich großen zu zerkleinerten Münz- und Anweisungswerten hat offenbar dieselbe Bedeutung für die Steigerung des Verkehrstempos wie die Abrundung, was schon die physikalische Analogie nahelegt. Das Bedürfnis, das Geld klein zu machen, steigt mit der Raschheit des Verkehrs überhaupt, und es ist für diese Zusammenhänge von Bedeutung, daß eine Note der englischen Bank 1844 durchschnittlich nach ihrer Ausgabe 57 Tage lief, bevor sie zur Einlösung präsentiert wurde, 1871 dagegen nur 37 Tage! Vergleicht man etwa die Zirkulationsfähigkeit von Grund und Boden mit der des Geldes, so erhellt unmittelbar der Unterschied des Lebenstempos zwischen Zeiten, wo jener und wo dieses den Angelpunkt der ökonomischen Bewegungen ausmacht. Man denke z.B. an den Charakter der Steuerleistungen in Hinsicht auf äußere und innere Schwankungen, je nachdem sie von dem einen oder von dem anderen Objekt erhoben werden. Im angelsächsischen und normannischen England galten alle Auflagen ausschließlich dem Landbesitz; im 12. Jahrhundert schritt man dazu, Pachtzinse und Viehbesitz zu belasten; bald nachher wurden bestimmte Teile des beweglichen Eigentums (der 4., 7., 13. Teil) als Steuer erhoben. So wurden die Steuerobjekte immer beweglicher, bis schließlich das Geldeinkommen als das eigentliche Fundament der Besteuerung auftritt. Damit erhält diese einen bis dahin unerhörten Grad von Beweglichkeit und Nüanzierung und bewirkt, bei größerer Sicherheit des Gesamterträgnisses, doch eine sehr viel größere Variabilität und jährliche Schwankung in der Leistung des Einzelnen. - Aus dieser unmittelbaren Bedeutung und Betonung vom Boden oder vom Geld für das Tempo des Lebens erklärt sich einerseits der große Wert, den sehr konservative Völker auf den Ackerbau legen. Die Chinesen sind überzeugt, daß nur dieser die Ruhe und Beständigkeit der Staaten sichert, und wohl aus diesem Zusammenhange heraus haben sie auf den Verkauf von Ländereien einen ungeheueren Stempel gesetzt; so daß die meisten Landkäufe dort nur privatim und unter Verzicht auf die grundbuchliche Eintragung vollzogen werden. Wo indes jene durch das Geld getragene Beschleunigung des wirtschaftlichen Lebens sich durchgesetzt hat, da sucht sie nun, andrerseits, die ihr widerstrebende Form des Grundbesitzes dennoch nach sich zu rhythmisieren. Im 18. Jahrhundert gab der pennsylvanische Staat Hypotheken auf Privatländereien und ließ die einzelnen Abschnitte derselben als Papiergeld kursieren: Franklin schrieb darüber, diese Scheine seien in Wirklichkeit gemünztes Land. Entsprechend ist bei uns von konservativer Seite hervorgehoben worden, daß die Hypothekengesetzgebung der letzten Jahrzehnte auf eine Verflüssigung des Grundbesitzes hinarbeite und diesen in eine Art Papiergeld verwandle, das man in beliebig vielen Anteilsscheinen weggeben könne; so daß, wie auch Waldeck sich ausdrückte, der Grundbesitz nur dazusein scheine, um subhastiert zu werden. Bezeichnend genug mobilisiert das moderne lieben seine Inhalte auch im äußerlichsten Sinne und an manchen Punkten außerhalb der allbekannten. Das Mittelalter und noch die Renaissance hatte das, was uns jetzt »Mobilien« in engster Bedeutung sind, wenig im Gebrauch. Schränke, Kredenzen, Sitzbänke waren in die Täfelung eingebaut, Tische und Stühle so schwer, daß sie oft unbeweglich waren, die kleinen, hin und her zu schiebenden Einrichtungsgegenstände fehlten fast ganz. Seitdem erst sind die Möbel gleichsam mobil geworden wie das Kapital. Und endlich exemplifiziere ich diese flacht der geldwirtschaftlichen Bewegung, die übrigen Lebensinhalte ihrem Tempo zu unterwerfen, an einer Rechtsbestimmung. Es ist ein alter juristischer Grundsatz, daß ein Gegenstand, der seinem rechtmäßigen Eigentümer entfremdet worden ist, diesem unter allen Umständen zurückgegeben werden muß, selbst wenn der augenblickliche Besitzer ihn ehrlich erworben hat. Nur in bezug auf Geld gilt dies nicht: nach römischem wie nach modernen Rechten darf eine gestohlene Geldsumme, sobald sie von einer dritten Person gutgläubig erworben ist, dieser nicht wieder zugunsten des Bestohlenen abgenommen werden. Ersichtlich wird diese Ausnahme durch die Praxis des Geschäftsverkehrs gefordert, der ohne dieselbe außerordentlich erschwert, beunruhigt, unterbrochen sein würde. Nun hat man aber neuerdings diesen Erlaß der Restitution auch auf alle übrigen Objekte ausgedehnt, soweit sie im Bereich des Handelsgesetzbuches stehen. Das bedeutet also: die Zirkulationsbeschleunigung im Warenverkehr nähert jede Ware dem Charakter des bloßen Geldes an, läßt sie nur als Geldwert funktionieren und unterwirft sie deshalb nur den Bestimmungen, welche das Geld zum Zweck der Leichtigkeit seines Verkehrs fordern muß! -