III. [Der Kredit]
Im weiteren Maße tritt diese Bedeutung des Geldwesens an seiner Steigerung, dem Kredite, hervor. Der Kredit spannt die Vorstellungsreihen noch mehr und mit einem entschiedeneren Bewußtsein ihrer unverkürzlichen Weite aus, als die Zwischeninstanz des baren Geldes es für sich tut. Der Drehpunkt des Verhältnisses zwischen Kreditgeber und Kreditnehmer ist gleichsam aus der gradlinigen Verbindung ihrer hinaus und in einer weiten Distanz von ihnen festgelegt: die Tätigkeit des Einzelnen wie der Verkehr bekommt dadurch den Charakter der Langsichtigkeit und den der gesteigerten Symbolik. Indem der Wechsel oder überhaupt der Begriff der Geldschuld die Werte weit abliegender Objekte vertritt, verdichtet er sie ebenso in sich, wie der Blick über eine räumliche Entfernung hin die Inhalte der Strecke in perspektivischer Verkürzung zusammendrängt. Und wie uns das Geld von den Dingen entfernt, aber auch - in diesen gegensätzlichen Wirkungen seine spezifische Indifferenz zeigend - sie uns näher bringt, so hat die Kreditanweisung ein doppeltes Verhältnnis zu unserem Vermögensbestande. Vom Checkverkehr ist einerseits hervorgehoben worden, daß er ein Palliativmittel gegen Verschwendungen bilde; manche Individuen ließen sich angesichts ihres Kassenbarbestandes leichter zu unnützen Ausgaben verleiten, als wenn sie denselben im Depot eines Dritten haben und erst durch eine Anweisung darüber verfügen müssen. Andrerseits aber scheint mir die Versuchung zum Leichtsinn gerade besonders verführerisch, wenn man das viele wegzugebende Geld nicht vor sich sieht, sondern nur mit einem Federzug darüber verfügt. Die Form des Scheckverkehrs rückt uns einerseits durch den mehrgliedrigen Mechanismus zwischen uns und dem Gelde, den wir immer erst in Bewegung zu setzen haben, von diesem ab, andrerseits aber erleichtert sie uns die Aktion damit, nicht nur wegen der technischen Bequemlichkeit, sondern auch psychologisch, weil das bare Geld uns seinen Wert sinnlicher vor Augen stellt und uns damit die Trennung von ihm erschwert.
Von den einschlägigen Bedeutungen des Kreditcharakters des Verkehrs greife ich nur eine heraus, welche zwar nicht durchgehend, aber sehr bezeichnend ist. Ein Reisender erzählt, ein englischer Kaufmann habe ihm einmal definiert: »ein gewöhnlicher Mann ist, wer Waren gegen bare Zahlung kauft, ein Gentleman der, dem ich Kredit gebe und der mich alle sechs Monate mit einem Scheck bezahlt«. Hier ist zunächst die Grundempfindung bemerkenswert: daß nicht ein Gentleman vorausgesetzt wird, der dann als solcher Kredit erhält, sondern daß derjenige, der Kredit beansprucht, eben ein Gentleman ist. Daß so der Kreditverkehr als der vornehmere erscheint, geht wohl auf zweierlei Empfindungsrichtungen zurück. Zunächst darauf, daß er Vertrauen fordert. Es ist das Wesen der Vornehmheit, ihre Gesinnung und deren Wert nicht sowohl vorzudemonstrieren, als den Glauben daran einfach vorauszusetzen - weshalb denn auch, entsprechend, alles ostentative Hervorkehren des Reichtums so spezifisch unvornehm ist. Gewiß enthält jedes Vertrauen eine Gefahr; der vornehme Mensch verlangt, daß man im Verkehr mit ihm diese Gefahr auf sich nehme, und zwar mit der Nuance, daß er, in der absoluten Sicherheit über sich selbst, dies gar nicht als eine Gefahr anerkennt und deshalb sozusagen keine Risikoprämie dafür gewährt: aus eben dieser Grundempfindung heraus sagt das Schillersche Epigramm, daß adlige Naturen nicht mit dem, was sie tun, sondern nur mit dem, was sie sind, zahlen. Es ist begreiflich, wie die bare, Zug Hin Zug erfolgende Zahlung für jenen Kaufmann etwas kleinbürgerliches hatte, sie rückt die Momente der wirtschaftlichen Reihe in ängstliche Enge zusammen, während der Kredit eine Distanz zwischen ihnen ausspannt, die er vermittels des Vertrauens beherrscht. Es ist allenthalben das Schema höherer Entwicklungsstufen, daß das ursprüngliche Aneinander und die unmittelbare Einheit der Elemente aufgelöst wird, damit sie, verselbständigt und voneinander abgerückt, nun in eine neue, geistigere, umfassendere Synthese vereinheitlicht werden. Im Kreditverkehr wird statt der Unmittelbarkeit der Wertausgleichung eine Distanz gesetzt, deren Pole durch den Glauben zusammengehalten werden; wie Religiosität um so höher steht, eine je unermeßlichere Distanz sie - im Gegensatz zu allem Anthropomorphismus und allen sinnlichen Erweisen - zwischen Gott und der Einzelseele bestehen läßt, um gerade damit das äußerste Maß des Glaubens hervorzurufen, das jene Distanz überbrücke. Daß bei dem größeren Verkehr innerhalb der Kaufmannschaft das Vornehmheitsmoment beim Kredite nicht mehr fühlbar wird, liegt daran, daß er hier eine unpersönliche Organisation geworden ist und das Vertrauen den eigentlich persönlichen Charakter - ohne den die Kategorie der Vornehmheit nicht anwendbar ist - verloren hat: der Kredit Ist eine technische Verkehrsform ohne, oder mit sehr herabgestimmten, psychologischen übertönen geworden. - Und zweitens: jene Aufhäufung der kleinen Schulden bis zu der schließlichen Bezahlung mit dem Scheck bewirkt eine gewisse Reserve des Abnehmers gegenüber dem Kaufmann, die fortwährende und unmittelbare Wechselwirkung, die bei jedesmaligem barem Bezahlen eintritt, wird aufgehoben, die Lieferung des Kaufmanns hat, äußerlich angesehen, sozusagen ästhetisch, die Form eines Tributes, einer Darbringung an einen Mächtigen, die dieser, wenigstens in dem einzelnen Falle, ohne Gegenleistung hinnimmt. Indem nun auch am Ende der Kreditperiode die Auszahlung nicht von Person zu Person erfolgt, sondern auch durch ein Kreditpapier, durch die Anweisung auf das gleichsam objektive Depot bei der Scheckbank, wird diese Reserve des Subjekts fortgesetzt und so von allen Seiten her die Distanz zwischen dem »Gentleman« und dem Krämer betont, die den Begriff des ersteren entstehen läßt und für die diese Art des Verkehrs allerdings der adäquate Ausdruck ist.