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I. [Das rechnende Wesen der Neuzeit]

 

Der hiermit charakterisierte zeitpsychologische Zug, der sich in so entschiedenen Gegensatz zu dem mehr impulsiven, auf das Ganze gehenden, gefühlsmäßigen Wesen früherer Epochen stellt, scheint mir in enger kausaler Verbindung mit der Geldwirtschaft zu stehen. Sie bewirkt von sich aus die Notwendigkeit fortwährender mathematischer Operationen im täglichen Verkehr. Das Leben vieler Menschen wird von solchem Bestimmen, Abwägen, Rechnen, Reduzieren qualitativer Werte auf quantitative ausgefüllt. Eine viel größere Genauigkeit und Grenzbestimmtheit mußte in die Lebensinhalte durch das Eindringen der Geldschätzung kommen, die jeden Wert bis in seine Pfennigdifferenzen hinein bestimmen und spezifizieren lehrte. Wo die Dinge in ihrem unmittelbaren Verhältnisse zueinander gedacht werden - also nicht auf ihren Generalnenner Geld reduziert sind -, da findet viel mehr Abrundung, Setzen von Einheit gegen Einheit statt. Die Exaktheit, Schärfe, Genauigkeit in den ökonomischen Beziehungen des Lebens, die natürlich auf seine anderweitigen Inhalte abfärbt, hält mit der Ausbreitung des Geldwesens Schritt - freilich nicht zur Förderung des großen Stiles in der Lebensführung. Erst die Geldwirtschaft hat in das praktische Leben - und wer weiß, ob nicht auch in das theoretische - das Ideal zahlenmäßiger Berechenbarkeit gebracht. Auch von dieser Wirkung aus gesehen stellt sich das Geldwesen als bloße Steigerung und Sublimierung des wirtschaftlichen Wesens überhaupt dar. Über die Handelsgeschäfte zwischen dem englischen Volke und seinen Königen, in denen jenes, besonders im 13. und 14. Jahrhundert, diesen allerhand Rechte und Freiheiten abkaufte, bemerkt ein Historiker: »Dies ermöglichte für schwierige Fragen, die in der Theorie unlösbar waren, eine praktische Entscheidung. Der König hat Rechte als Herr seines Volkes, das Volk hat Rechte als freie Männer und als Stände des Reiches, das der König personifiziert. Die Feststellung der Rechte eines jeden, prinzipiell äußerst schwer, wurde in der Praxis leicht, sobald sie auf eine Frage von Kauf und Verkauf zurückgeführt war.« Das heißt also, sobald ein qualitatives Verhältnis praktischer Elemente ganz von derjenigen Bedeutung seiner repräsentiert wird, die seine Behandlung als Handelsgeschäft zuläßt, gewinnt es eine Genauigkeit und Fixierungsmöglichkeit, die seinem direkten, den ganzen Umfang seiner Qualitäten einschließenden Ausdruck versagt bleibt. Hierzu bedarf es nun noch nicht unbedingt des Geldes, da derartige Transaktionen auch oft durch Hingabe naturaler Werte, z.B. von Wolle, abgeschlossen wurden. Es ist aber offenbar, daß, was hier das Handelsgeschäft überhaupt für die Präzisierung der Werte und Ansprüche leistete, durch das Geld in sehr viel schärferer und exakterer Weise geleistet werden kann. Auch nach dieser Seite hin darf man vielleicht sagen, daß sich das Geldgeschäft zum Handelsgeschäft überhaupt verhält, wie dieses zu der sonstigen, vor dem Tausch bestehenden Bestimmtheit oder Verhältnis der Dinge; es drückt sozusagen das reine Geschäft an der geschäftsmäßigen Behandlung der letzteren aus, wie die Logik die Begreiflichkeit an den begreiflichen Dingen darstellt. Und indem nun das abstrakte Gebilde, das den aus den Dingen herausgezogenen Wert ihrer ausmachte die Form arithmetischer Genauigkeit und damit die unbedingte rationale Bestimmtheit besitzt, muß dieser Charakter auf die Dinge selbst zurückstrahlen. Wenn es wahr ist, daß die jeweilige Kunst allmählich die Art bestimmt, wie wir die Natur sehen, wenn die spontane und subjektive Abstraktion aus der Wirklichkeit, die der Künstler vollzieht, das scheinbar so unmittelbare sinnliche Bild derselben für unser Bewußtsein formt - so wird wohl der Überbau der Geldrelationen über der qualitativen Wirklichkeit in noch viel eingreifenderer Weise das innere Bild derselben nach seinen Formen bestimmen. Durch das rechnerische Wesen des Geldes ist in das Verhältnis der Lebenselemente eine Präzision, eine Sicherheit in der Bestimmung von Gleichheiten und Ungleichheiten, eine Unzweideutigkeit in Verabredungen und Ausmachungen gekommen - wie sie auf äußerlichem Gebiet durch die allgemeine Verbreitung der Taschenuhren bewirkt wird. Die Bestimmung der abstrakten Zeit durch die Uhren wie die des abstrakten Wertes durch das Geld geben ein Schema feinster und sicherster Einteilungen und Messungen, das, die Inhalte des Lebens in sich aufnehmend, diesen wenigstens für die praktisch- äußerliche Behandlung eine sonst unerreichbare Durchsichtigkeit und Berechenbarkeit verleiht. Die rechnende Intellektualität, die in diesen Formen lebt, mag von ihnen wiederum einen Teil der Kräfte beziehen, mit denen sie das moderne Leben beherrscht. Wie in einen Brennpunkt werden alle diese Beziehungen durch die negative Instanz gesammelt, daß der Typus von Geistern, welche der ökonomischen Betrachtung und Begründung der menschlichen Dinge am fernsten und feindlichsten gegenüberstehen würden: Goethe, Carlyle, Nietzsche - zugleich einerseits prinzipiell anti-intellektualistisch gestimmt sind, und andrerseits jene rechnerisch-exakte Naturdeutung völlig ablehnen, die wir als das theoretische Gegenbild des Geldwesens erkannten.

 


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