Home  Impressum  Copyright

III. [Die Herrschaft der Technik]

 

Dieses Übergewicht der Mittel über die Zwecke findet seine Zusammenfassung und Aufgipfelung in der Tatsache, daß die Peripherie des Lebens, die Dinge außerhalb seiner Geistigkeit, zu Herren über sein Zentrum geworden sind, über uns selbst. Es ist schon richtig, daß wir die Natur damit beherrschen, daß wir ihr dienen; aber in dem herkömmlichen Sinne doch nur für die Außenwerke des Lebens richtig. Sehen wir auf dessen Ganzheit und Tiefe, so kostet jenes Verfügenkönnen über die äußere Natur, das die Technik uns einträgt, den Preis, in ihr befangen zu sein und auf die Zentrierung des Lebens in der Geistigkeit zu verzichten. Die Illusionen dieses Gebietes zeichnen sich deutlich an den Ausdrücken, die ihm dienen und mit denen eine auf ihre Objektivität und Mythenfreiheit stolze Anschauungsweise das direkte Gegenteil dieser Vorzüge verrät. Daß wir die Natur besiegen oder beherrschen, ist ein ganz kindlicher Begriff, da er irgendeinen Widerstand, ein teleologisches Moment in der Natur selbst voraussetzt, eine Feindseligkeit gegen uns, da sie doch nur gleichgültig ist, und alle ihre Dienstbarkeit ihre eigene Gesetzmäßigkeit nicht abbiegt - während alle Vorstellungen von Herrschaft und Gehorsam, Sieg und Unterworfensein nur darin Sinn haben, daß ein entgegenstehender Wille gebrochen ist. Dies ist freilich nur das Gegenstück zu der Ausdrucksweise, daß die Wirksamkeit der Naturgesetze den Dingen einen unentrinnbaren Zwang auferlege. Denn zunächst wirken Naturgesetze überhaupt nicht, da sie nur die Formeln für die allein möglichen Wirksamkeiten: der einzelnen Stoffe und Energien, sind. Die Naivität einer mißverstandenen Naturwissenschaftlichkeit: als ob die Naturgesetze als reale Mächte die Wirklichkeit lenkten, wie ein Herrscher sein Reich, steht insofern auf einem Blatt mit der unmittelbaren Lenkung der irdischen Dinge durch den Finger Gottes. Und nicht weniger irreführend ist der vorgebliche Zwang, das Müssen, dem das Naturgeschehen unterliegen soll. Unter diesen Kategorien empfindet nur die menschliche Seele das Gebundensein an Gesetze, weil solchem in ihr Regungen entgegenstehen, die uns in andere Richtungen führen möchten. Das natürliche Geschehen als solches aber steht ganz jenseits der Alternative von Freiheit und Zwang, und mit dem »Müssen« wird in das einfache Sein der Dinge ein Dualismus hineingefühlt, der nur für bewußte Seelen einen Sinn hat. Wären dies alles auch nur Fragen des Ausdrucks, so leitet dieser doch alle oberflächlicher Denkenden auf anthropomorphistische Irrwege, und zeigt, daß die mythologische Denkweise auch innerhalb der naturwissenschaftlichen Weltanschauung ein Unterkommen findet. Jener Begriff einer Herrschaft des Menschen über die Natur erleichtert die selbstschmeichlerische Verblendung über unser Verhältnis zu ihr, die doch selbst auf dem Boden dieses Gleichnisses nicht unvermeidlich wäre. Der äußerlichen Objektivität und Sichtbarkeit nach ist allerdings die wachsende Herrschaft auf der Seite des Menschen; aber damit ist noch gar nicht entschieden, daß der subjektive Reflex, die nach innen schlagende Bedeutung dieser historischen Tatsache nicht im entgegengesetzten Sinn verlaufen könne. Man lasse sich nicht durch das ungeheure Maß von Intelligenz beirren, vermöge dessen die theoretischen Grundlagen jener Technik hervorgebracht sind und das allerdings den Traum Platos: die Wissenschaft zur Herrscherin des Lebens zu machen, - zu verwirklichen scheint. Aber die Fäden, an denen die Technik die Kräfte und Stoffe der Natur in unser Leben hineinzieht, sind ebensoviele Fesseln, die uns binden und uns unendlich Vieles unentbehrlich machen, was doch für die Hauptsache des Lebens gar sehr entbehrt werden könnte, ja müßte. Wenn man schon auf dem Gebiet der Produktion behauptet, daß die Maschine, die den Menschen doch die Sklavenarbeit an der Natur abnehmen sollte, sie zu Sklaven eben an der Maschine selbst herabgedrückt hat, - so gilt es für feinere und umfassendere innerliche Beziehungen erst recht: der Satz, daß wir die Natur beherrschen, indem wir ihr dienen, hat den fürchterlichen Revers, daß wir ihr dienen, indem wir sie beherrschen. Es ist sehr mißverständlich, daß die Bedeutsamkeit und geistige Potenz des modernen Lebens aus der Form des Individuums in die der Massen übergegangen wäre; viel eher ist sie in die Form der Sachen übergegangen, lebt sich aus in der unübersehbaren Fülle, wunderbaren Zweckmäßigkeit, komplizierten Feinheit der Maschinen, der Produkte, der überindividuellen Organisationen der jetzigen Kultur. Und entsprechend ist der »Sklavenaufstand«, der die Selbstherrlichkeit und den normgebenden Charakter des starken Einzelnen zu entthronen droht, nicht der Aufstand der Massen, sondern der der Sachen. Wie wir einerseits die Sklaven des Produktionsprozesses geworden sind, so andrerseits die Sklaven der Produkte: d.h., was uns die Natur vermöge der Technik von außen liefert, ist durch tausend Gewöhnungen, tausend Zerstreuungen, tausend Bedürfnisse äußerlicher Art über das Sich-Selbst-Gehören, über die geistige Zentripetalität des Lebens Herr geworden. Damit hat das Dominieren der Mittel nicht nur einzelne Zwecke, sondern den Sitz der Zwecke überhaupt ergriffen, den Punkt, in dem alle Zwecke zusammenlaufen, weil sie, soweit sie wirklich Endzwecke sind, nur aus ihm entspringen können. So ist der Mensch gleichsam aus sich selbst entfernt, zwischen ihn und sein Eigentlichstes, Wesentlichstes, hat sich eine Unübersteiglichkeit von Mittelbarkeiten, technischen Errungenschaften, Fähigkeiten, Genießbarkeiten geschoben.

Solcher Betonung der Mittelinstanzen des Lebens, gegenüber seinem zentralen und definitiven Sinne, wüßte ich übrigens keine Zeit, der dies ganz fremd gewesen wäre, entgegenzustellen. Vielmehr, da der Mensch ganz auf die Kategorie von Zweck und Mittel gestellt ist, so ist es wohl sein dauerndes Verhängnis, sich in einem, Widerstreit der Ansprüche zu bewegen, die der Zweck unmittelbar, und die die Mittel stellen; das Mittel enthält immer die innere Schwierigkeit, für sich Kraft und Bewußtsein zu verbrauchen, die eigentlich nicht ihm, sondern einem ändern gelten. Aber es ist ja gar nicht der Sinn des Lebens, die Dauer versöhnter Zustände, nach der es strebt, auch wirklich zu erlangen. Es mag sogar für die Schwungkraft unserer Innerlichkeit gerade darauf ankommen, jenen Widerspruch lebendig zu erhalten, und an seiner Heftigkeit, an dem Überwiegen der einen oder der anderen Seite, der psychologischen Form, in der jede von beiden auftritt, dürften sich die Lebensstile mit am charakteristischsten unterscheiden. Für die Gegenwart, in der das Vorwiegen der Technik ersichtlich ein Überwiegen des klaren, intelligenten Bewußtseins - als Ursache wie als Folge - bedeutet, habe ich hervorgehoben, daß die Geistigkeit und Sammlung der Seele, von der lauten Pracht des naturwissenschaftlich-technischen Zeitalters übertäubt, sich als ein dumpfes Gefühl von Spannung und unorientierter Sehnsucht rächt; als ein Gefühl, als läge der ganze Sinn unserer Existenz in einer so weiten Ferne, daß wir ihn gar nicht lokalisieren können und so immer in Gefahr sind, uns von ihm fort, statt auf ihn hin zu bewegen - und dann wieder, als läge er vor unseren Augen, mit einem Ausstrecken der Hand würden wir ihn greifen, wenn nicht immer gerade ein Geringes von Mut, von Kraft oder von innerer Sicherheit uns fehlte. Ich glaube, daß diese heimliche Unruhe, dies ratlose Drängen unter der Schwelle des Bewußtseins, das den jetzigen Menschen vom Sozialismus zu Nietzsche, von Böcklin zum Impressionismus, von Hegel zu Schopenhauer und wieder zurück jagt - nicht nur der äußeren Hast und Aufgeregtheit des modernen Lebens entstammt, sondern daß umgekehrt diese vielfach der Ausdruck, die Erscheinung, die Entladung jenes innersten Zustandes ist. Der Mangel an Definitivem im Zentrum der Seele treibt dazu, in immer neuen Anregungen, Sensationen, äußeren Aktivitäten eine momentane Befriedigung zu suchen; so verstrickt uns dieser erst seinerseits in die wirre Halt- und Ratlosigkeit, die sich bald als Tumult der Großstadt, bald als Reisemanie, bald als die wilde Jagd der Konkurrenz, bald als die spezifisch moderne Treulosigkeit auf den Gebieten des Geschmacks, der Stile, der Gesinnungen, der Beziehungen offenbart. Die Bedeutung des Geldes für diese Verfassung des Lebens ergibt sich als einfacher Schluß aus den Prämissen, die alle Erörterungen dieses Buches festgestellt haben. Es genügt also die bloße Erwähnung seiner Doppelrolle: das Geld steht einmal in einer Reihe mit all den Mitteln und Werkzeugen der Kultur, die sich vor die innerlichen und Endzwecke schieben und diese schließlich überdecken und verdrängen. Bei ihm treten, teils wegen der Leidenschaft seines Begehrtwerdens, teils wegen seiner eigenen Leerheit und bloßen Durchgangscharakters die Sinnlosigkeit und die Folgen jener teleologischen Verschiebung am auffälligsten hervor; allein insofern ist es doch nur die graduell höchste all jener Erscheinungen, es übt die Funktion der Distanzierung zwischen uns und unseren Zwecken nur reiner und restloser als die anderen technischen Mittelinstanzen, aber prinzipiell in keiner anderen Weise; auch hier zeigt es sich als nichts Isoliertes, sondern nur als der vollkommenste Ausdruck von Tendenzen, die sich auch unterhalb seiner in einer Stufenfolge von Erscheinungen darstellen. Nach einer anderen Richtung freilich stellt sich das Geld jenseits dieser ganzen Reihe, indem es nämlich vielfach der Träger ist, durch den die einzelnen, jene Umbildung erfahrenden Zweckreihen ihrerseits erst zustande kommen. Es durchflicht dieselben als Mittel der Mittel, als die allgemeinste Technik des äußeren Lebens, ohne die die einzelnen Techniken unserer Kultur unentstanden geblieben wären. Also auch nach dieser Wirkungsrichtung hin zeigt es die Doppelheit seiner Funktionen, durch deren Vereinigung es die Form der größten und tiefsten Lebenspotenzen überhaupt wiederholt: daß es einerseits in den Reihen der Existenz als ein Gleiches oder allenfalls ein Erstes unter Gleichen steht, und daß es andrerseits über ihnen steht, als zusammenfassende, alles Einzelne tragende und durchdringende Macht. So ist die Religion eine Macht im Leben, neben seinen ändern Interessen und oft gegen sie, einer der Faktoren, deren Gesamtheit das Leben ausmacht, und andrerseits die Einheit und der Träger des ganzen Daseins selbst - einerseits ein Glied des Lebensorganismus, andrerseits diesem gegenüberstehend, indem sie ihn in der Selbstgenügsamkeit ihrer Höhe und Innerlichkeit ausdrückt. -

 


 © textlog.de 2004 • 25.11.2024 01:31:16 •
Seite zuletzt aktualisiert: 27.09.2004