Die Uhren
Ein Silvesterkarmen
Es ist Silvester. Eine schlichte Bowle,
Von kluger Hand bereitet, schmückt den Tisch. —
Man war bei Piepenbrinks. Herr Piepenbrink,
Frau Piepenbrink und deren Fritz und Julchen,
Welch letzte beiden heute auch noch auf,
Herr Küster Klöppel, treu bewährt im Amte,
Aptheker Mickefett, den diese Gegend
Von wegen seiner Pillen höchlich pries —
Dies waren die Personen, welche hier
Zum frohen Jahresschlusse sich versammelt. —
Darüber ist man einig, punkto zwölf
Ein kräftig Prost Neujahr sich zuzurufen,
Worauf getrost das Glas zu leeren sei. —
Nun aber, spricht Herr Klöppel mit Bedacht,
Nun aber ist die Frage: Welche Uhr
Soll diesen schönen Augenblick verkünden? —
Die beste Uhr, ruft Fritz ein wenig hastig,
Von allen Uhren ist die Sonnenuhr! —
Jawohl, mein Sohn! erwidert Klöppel sanft,
Die Sonne ist ein pünktlich Element,
Was mit der Dunkelheit von hinnen scheidet.
Insofern kommt sie hier nicht in Betracht.
Dagegen schlag’ ich unsre Turmuhr vor! —
Hier lächelt Mickefett verschmitzt und spricht:
Die Geistlichkeit in Ehren! Doch man sagt,
Ein traulich später Trunk am Samstagabend
Wirkt zögernd auf die Sonntagmorgenglocke. —
Herr Klöppel schweigt; denn mild ist sein Charakter.
Nun zieht aus ihres Busens Vorderfalte
Frau Piepenbrink bescheidentlich die Uhr.
Doch Piepenbrink ruft gleich: Ich bitte dich,
Laß doch die Uhr im Stall! Fast alle Monat
Muß ich das Ding da reparieren lassen! —
Nun, nun, spricht sie, sei nur nicht gleich so rauh!
Ist’s doch für uns ein lieblich Angedenken
An jene Zeit, da du mir Treue schwurst. —
Ahem! macht Piepenbrink und schaut ins Glas. —
Ach, seufzt das Julchen, wie entzückend schön
Wär’ doch so eine Dose, die so Stücke spielt! —
Sehr wahr, mein liebes Kind! entgegnet Klöppel.
Bewundernswert ist solch ein Kunstgetriebe,
Und gern belauscht man seine Melodien;
Nur lehrt es uns viel mehr, die Zeit vergessen,
Statt sie zu schätzen, wie’s die Pflicht der Uhr.
Insofern kommt das hier nicht in Betracht. —
Jetzt wird der Fritz schon wieder laut: Ja, aber
Beim reichen Schrepper die Pendüle, die ...
Pst, fällt ihm Mickefett sogleich ins Wort,
Das ist ’ne böse Uhr, die nur die Dauer
Des Wehs im Zeh bemißt, die Stunden schlägt,
Wo’s Pulver einzunehmen, welche ewig
Eintönig raunt: Klick, klack, die Aktien fallen! —
Da muß ich meine Taschenuhr hier loben,
Sie ist von einem überseeschen Paten ...
Insofern, meint Herr Klöppel ... Bitte sehr,
Fährt jener fort, sie ist durchaus von Gold. —
Insofern, meint Herr Klöppel ernst und kühl,
Insofern kommt sie hier nicht in Betracht. —
Und, fährt Herr Mickefett gelassen fort,
Und richtig geht sie. Diesen letzten Herbst
Bin ich mit Munkel, dem Kaplan, in Straßburg.
Wir hatten gut gelebt; in jeder Hinsicht.
Das Geld war alle, und so wollten wir
Denselben Abend spät noch weitermachen.
Wir stehn so vor dem Münster. Salbungsvoll
Hub Munkel an und sprach: Geliebter Freund!
Im Angesichte dieses hohen Tempels
Ermahn’ ich nochmals dringend dich, kehr um!
Oh, kehre wieder in den weichen Schoß
Der heilgen Mutter Kirche und vertraue
Dich ihrer altbewährten Führung an! —
Ich ziehe meine Uhr und sage: Munkel,
Es ist ein Viertel zwölf; wir müssen eilen,
Wofern wir nicht den Zug verpassen wollen.
Indem so schlägt die Münsterglocke elf. —
Du hörst es! sagt er: Hat noch lange Zeit. —
Na gut, wir bummeln endlich so lala
Zum Bahnhof. Richtig: Tüt! Dort saust er hin!
Freudlos wär’ uns die Nacht vergangen, hätt’ ich
Dem Herbergsvater nicht die Uhr gereicht.
Seitdem vertrau’ ich keiner Kirchenglocke.
Und wenn die Engel selbst vom Turme bliesen,
Ich richte mich nach meiner Taschenuhr. —
Nun aber nimmt Herr Piepenbrink das Wort:
Ich lobe mir, so spricht er, jene Alte,
Die dorten in der Ecke ticktack macht.
Pünktlich um sieben morgens weckt sie uns.
Um achte mahnt sie Fritzen an die Schule.
Zwölfmal mit freud’gem Klang allmittäglich
Ruft sie zu Tisch, und jeder folgt ihr gern.
Getreulich zählt sie meiner lieben Frau
Beim Eierkochen die Minuten ab.
Was mich betrifft, so sorgt sie stets dafür,
Daß ich die Zeit des Klubs niemals verfehle.
Und ist die Ruhestunde dann erschienen,
Gewissenhaft um zehne schlägt sie zehn.
So machte sie’s gar manches Jahr,
Und keine Seele dachte was dabei,
Und keiner wußte, wie so gut sie war,
Bis daß sie eines Morgens stillestand.
Da wußte man’s. — Ach Gott, fiel Klöppel ein,
So geht’s mit mancher stillbescheid’nen Treue.
Allein insofern... Baum! Da tönt es ernst
Vom nahen Turme zwölf, und: Prost Neujahr!
Ruft jeder klangvoll ausgehöhlte Mund
Und leert das Glas. (Zuerst ist Klöppel fertig.)
Hierauf zieht Mutter Piepenbrink die Uhr
Bescheiden aus des Mieders warmer Spalte. —
Jetzt ist es zwölf auf meiner! ruft sie froh;
Und wieder folgt ein kräftig Prost Neujahr! —
Und jetzt nach meiner! schreit Herr Mickefett,
Und nochmals schallt der festlich=frohe Gruß,
Und nochmals beugt sich jeder gern nach hinten,
Um so das neugefüllte Glas zu leeren.
(Herr Mickefett tut’s zweimal hintereinander.)
Kaum ist’s vollbracht, so fängt es in der alten,
Höchst ehrenwerten Wand= und Ticktackuhr
Zu schnurren an und — bemm! — und alsofort
Dröhnt sie des Jahres letzte Stunde her. —
Hurra und Prosit Neujahr! — das klang mal schön!
Herr Klöppel hält den Ton noch lange aus. —
Fritz trank zu hastig; drum so muß er auch
Sehr heftig durch die Nase husten, welches
Mama und Julchen recht ins Lachen brachte.
Jedoch der biedre Vater Piepenbrink,
Der sanfte Klöppel, Mickefett, der Schlaue,
Die tranken kreuzweis ew’ge Brüderschaft.
So war man froh nach ganz verschiednen Uhren,
Schlief selig dann in ganz verschiednen Betten
(Der Vater und die Mutter ausgenommen)
Und ging des andern Tages, warm bekleidet,
Mit leichtem Schädelbrummen in die Messe.
(Herr Mickefett natürlich ausgenommen;
der kramt in der Butike und bereitet,
Verdrießlich, doch mit Sorgfalt, einen Bittern.)