Die Ballettsteuer
November 1904
Die Ballerinen werden teurer! ... Dies die schmalzige Quintessenz der halb wehmütigen, halb neckischen Preßbetrachtungen über den »rauhen Griff«, mit dem die Steuerbehörde neulich in das »Tanzidyll« der Wiener Hofoper gelangt hat. Man hörte das Herz der Kulissenschnüffler schlagen. Man sah feixende Gesichter, und ein Rauschen prickelnder Sensation ging durch den Pikanten Blätterwald. Die Ballerinen werden besteuert? Nun, das Ereignis hat auch seine gute Seite: man kann Koryphäen und Funktionäre interviewen. Treppauf, treppab. Öfter noch treppab. Der Mann vom ›Neuen Wiener Journal‹, der als Spezialist für Ballett- und Steuersachen gewirkt hat und der heute stolz »117 Stockwerke bin ich gestiegen!« rufen kann, fatiert einen Hinauswurf. Ein Stubenmädchen »schließt so fest die Tür, daß die schönen Stechpalmen in dem reizenden Vorzimmer hörbar auf ihren Sockeln zittern«. Aber er revanchiert sich sogleich: Die Dame war für ihn nicht zu sprechen? »Gerade sie hätte doch so viel Grund gehabt, auf die Steuerbehörde zu schimpfen! Mit Neid blicken die Kolleginnen auf sie; denn kommt es zu einer Besteuerung, dann wird sie Unsummen blechen und sogar Grundsteuer zahlen müssen«. Sie »funkelt von Diamanten und hat doch so eine bescheidene Gage!« ... Die Aufrichtigkeit eines Hinausgeworfenen kennt keine Grenzen. Er wird endlich einer Ballerine habhaft. Aber »während wir in die beste Unterhaltung kommen, er scheint das Dienstmädchen mit einer Visitkarte. Der Besitzer der Visitkarte scheint dem Fräulein doch sympathischer zu sein als meine Wenigkeit, denn sie wird unaufmerksam und richtet schließlich an mich die schwer mißzuverstehende Frage, ob ich noch viel zu sprechen habe. ›Nein, keineswegs‹, meine ich im Gefühle meiner vollständigen Überflüssigkeit und empfehle mich mit Dankesworten.« ... Und nun: »Was die Behörde sagt«; ein gewissenhafter Schmock muß auch dies zu erfahren trachten. Und die Behörde ist gegen Preßleute immer zuvorkommend, ihr könnte kein anderer Besucher »sympathischer« sein. Die gewisse hervorragende Persönlichkeit mit der entsprechend gewichtigen Stimme ist bald gefunden. Selbstverständlich ist ihr von dieser Angelegenheit »amtlich noch gar nichts bekannt«. Trotzdem öffnet sie dem Vertreter des ›Extrablatts‹ die ärarischen Schätze ihrer Herzenskammer. »Ich schöpfe alle meine Kenntnisse aus den Zeitungen.« Das soll nicht etwa die Ungenauigkeit der Aufschlüsse entschuldigen, sondern als Kompliment wirken. Der »Funktionär« ist trotzdem ein Ironiker. So oft er von den »Unterstützungen« und »Zuwendungen« spricht, die eine Ballettdame bezieht, versäumt er es nie, seinen Worten höhnischen Nachdruck zu geben und den Souteneur einen »edlen Spender« zu nennen. Aber er wird auch pathetisch. »Warum muß der Hausmeister«, ruft er, »der vom Sperrsechserl lebt, sein Einkommen rückhaltlos einbekennen und warum soll eine Tänzerin einen Teil ihres Einkommens verheimlichen dürfen?«
Mit diesem glücklichen Vergleich wären wir in der Tat dem Kern der Frage nahegerückt. Dem »Funktionär«, der alle seine Kenntnisse aus den Zeitungen schöpft und darum über die Besteuerung der Ballerinen bloß den ortsüblichen Klatsch vorbringen kann, dürfen wir den Unterschied zwischen dem Sperrgeld des Hausmeisters und dem Sperrgeld der Frauenmoral zu bedenken geben. Jenes gehört zu den unantastbaren Schutzgütern unseres Rechtslebens. Das »Sperrsechserl« ist die Einheitsmünze der österreichischen Rückständigkeit. Wir haben keinen legitimeren Begriff. Aber der Tribut, den schöne Frauen zur Erhaltung ihrer ästhetischen Werte empfangen, wird er nicht hierzulande von Sitte und Gesetz immer noch als »Schandlohn« betrachtet? Wir können dem Fiskus dankbar dafür sein, daß er die Heuchelei der Staatsmoral entlarvte, welche den Zins von jener Prostitution einhebt, die sie ins dunkle Reich sozialer Verachtung weist. Zwischen Staat und Prostitution besteht sozusagen neben dem strafrechtlichen auch ein zivilrechtliches Verhältnis. Aber es ist nicht nur unmoralisch, sondern auch nach dem herrschenden Gesetz selbst wieder strafbar; denn der Staat, der den Liebesgewinst besteuert, zieht aus einem »unerlaubten Verständnis« materiellen Vorteil und macht sich somit der Übertretung der Kuppelei schuldig. Die unsaubere Methode der Eintreibung des Kuppleranteils ist ein besonderes Kapitel. Eine Tänzerin, bei der zwei Herren von der Behörde erschienen waren und für den Fall, daß sie der Vorladung nicht Folge leiste, »andere Schritte« angedroht hatten, teilt einen Dialog mit, der sich später zwischen ihr und einem Amtsrüpel entspann: »Sie können doch nicht von Ihrer Gage leben? Noch weniger eine schöne Wohnung halten. Sie müssen ein Nebeneinkommen haben!« »Ich habe kein Nebeneinkommen. Ich bekomme nur Geschenke. Diese kann ich doch nicht fatieren!« »Doch! Sie haben die Geschenke, die Sie im vorigen Jahre erhielten, anzugeben!« »Heute bekomme ich vielleicht ein Geschenk, im nächsten Monat nicht.« »Das ändert nichts an der Sache.« »Aber ich bitte! Der Herr, der mir Geschenke macht, muß doch ohnehin sein Einkommen besteuern lassen.« »Der Herr, der Ihnen Geschenke macht, kann auch für Sie die Steuer dafür zahlen. Gibt er Ihnen ohnehin schon viel, so kann er Ihnen noch mehr geben. Wie heißt der Herr? Nennen Sie mir seinen Namen, dann werden wir ihn entsprechend besteuern.« ...
Möchte man, abgesehen von den ästhetischen Vorzügen einer Ballerine, sie nicht auch ethisch über einen Steuerzutreiber stellen? Aber ich glaube im Ernst, daß sich in der fiskalischen Gier, die Dessous durchforscht, auch die bürgerliche Überschätzung der Leichtsinnsmöglichkeiten einer Tänzerin ausdrückt. Der Typus, dessen Vertreterinnen jetzt so bös mitgespielt wird, ist weder der exzessivste, noch der interessanteste. Wenn der Spießbürgersinn nicht von der Vorstellung des gespreizten Tüllrocks berauscht wäre, müßte er in der Trägerin fast die Erfüllung seiner sittlichen Ansprüche finden. Das Geschlechtstemperament, das sich im Tanz befriedigt oder in der Langweile mimischer Verrichtung abstumpft, prägt sich in dem ewig einförmigen Puppengesicht zu einer Gewähr der Treue und der bedingten Sittlichkeit aus. Nur der Trauring unterscheidet die ein- und ausgeheiratete Sklavin bourgeoiser Moral von der ökonomischen Verwalterin ihrer Reize, der das Verhältnis die »Versorgung« bedeutet. Wenn die Schauspielerin die Potenzierung der weiblichen Möglichkeiten von Anmut und Leidenschaft darstellt, so wird der Tänzerin zumeist die Entwicklung zu hausfrauenhafter Wohlanständigkeit organisch sein. Wedekinds Lulu, der genialsten Entfaltung amoralischer Pracht, glaube ich alles, bloß nicht das Tanzen. Eine Sparbüchse der Pandora gibt es nicht ...
Aber Psychologie ist keine Finanzwissenschaft. Seien wir einer Behörde dankbar, die den Staat als Heuchler entlarvt, Staats- und Hofbehörden der Kuppelei überführt. Der »Funktionär«, der seine Kenntnisse aus den Zeitungen schöpft, findet die k.k. Neugierde durchaus zulässig, »wie eine Tänzerin es wohl zustande bringe, mit einer Gage von beispielsweise 800 bis 900 Gulden eine elegante, schön möblierte Wohnung zu haben, prächtige Toiletten, Boutons zu tragen, im Fiaker zu fahren.« In Wahrheit könnte sie mit ihrer Gage, die »beispielsweise« auch zwanzig Gulden monatlich betragen kann, nicht einmal die Kosten ihres Tüllröckchens bestreiten. In Wahrheit dürfte sie auch nichts dagegen einwenden, wenn die Hoftheaterintendanz so aufrichtig wäre, sich für die Gelegenheit, die sie hübschen Mädchen schafft, direkt bezahlen zu lassen ...
Aber ist es nicht grausam, gerade vor einem Mann der Presse das steuerbehördliche Recht auf Mißtrauen bei einem Widerspruch zwischen Einkommen und Aufwand zu verfechten? Ach, unsere Behörden haben sich bisher bloß gegen Ballerinen und nicht auch gegen Journalisten zu der Erkenntnis emporgerungen, »daß irgendwelche geheime Quellen sprudeln müssen, wenn man mit einer kleinen Gage großen Aufwand treibt!« Die Subventionen eines Ballettonkels könnte man nach wie vor als Geschenke, die der Steuerpflicht nicht unterliegen, auffassen, aber kein Zweifel kann darüber bestehen, daß Pauschalien »regelmäßige Zuwendungen« sind. »Die Steuerbehörde«, sagt unser Funktionär, »hat ein Recht auf die volle Wahrheit, sie kann ihre Nachforschungen nach allen Richtungen hin ausdehnen«. Aber sie will nicht. Und nie noch hat man gehört, daß sich zwischen einem Steuerbeamten und einem volkswirtschaftlichen Redakteur der ›Neuen Freien Presse‹ der folgende Dialog entsponnen hätte: »Sie können doch nicht von Ihrer Gage leben? Sie müssen ein Nebeneinkommen haben!« »Ich habe kein Nebeneinkommen. Ich bekomme nur Schweiggelder. Diese kann ich doch nicht fatieren!« »Doch! Sie haben die Schweiggelder, die Sie im vorigen Jahre erhielten, anzugeben!« »Heute bekomme ich vielleicht ein Schweiggeld, im nächsten Monat nicht.« »Das ist nicht wahr. Sie können sich das Schweiggeld regelmäßig erpressen.« »Aber ich bitte! Der Herr, der es mir gibt, muß doch ohnehin sein Einkommen besteuern lassen.« »Der Herr kann auch für Sie die Steuer zahlen. Gibt er Ihnen ohnehin schon viel, so kann er Ihnen noch mehr geben. Wie heißt der Herr?« ... Korruption ist schlimmer als Prostitution. Diese gefährdet höchstens die Ethik des Individuums, jene in allen Fällen die Ethik der Gesamtheit. Trotzdem haben wir noch nie vernommen, daß die Steuerbehörde sich bei der Bemessung des Einkommens von Wiener Redakteuren höhnisch nach den »edlen Spendern« erkundigt und die hommes entretenus fester geschurigelt hätte. Und dabei sind deren Aushälter gleichfalls Bankiers und mit den Ballettonkeln meistens identisch.
Vgl.: Die Fackel, Nr. 169, VI. Jahr
Wien, 23. November 1904.