Vittore Carpaccio

Carpaccio, Vittore, ein Meister der venezianischen Schule, von dem man aber weder Geburt, noch Sterbejahr kennt. Nach Einigen soll er zu Venedig, nach anderen zu Capo d'Istria um 1450 geboren und sehr alt geworden sein. Im Jahr 1522 lebte er noch. Auch sein Name wird verschiedenartig angegeben. Bald wird er Scarpaccia, Scarpazza, bald Garpaccia oder Carpazzia genannt; er selbst schreibt sich Carpatius, Carpathius, Carpaccius und Charpatius. Die früheste Nachricht über ihn ist von 1474, in welchem Jahre er für den Senat bei den Arbeiten im großen Ratssaal zu Venedig beschäftigt war. Seine dortigen Arbeiten aber gingen mit denen der anderen Meister, die daselbst um dieselbe Zeit tätig gewesen, bei der Feuersbrunst im Jahr 1577 zu Grunde. Das älteste bekannte Bild von ihm, eine Maria mit Heiligen und dem Porträt des Dogen Mocenigo, der Familie des letzteren angehörig, trägt die Jahrszahl 1479, das jüngste, sein eigenes Porträt im Besitz des Cav. Giustiniani alle Zattere, die von 1522. 

Carpaccio ist gewissermaßen als der letzte Sprössling jener altertümlichen venezianischen Kunstrichtung in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts zu betrachten. Er fasste seine historischen Darstellungen, seine Szenen aus dem Leben der Heiligen oder biblische Vorgänge, meistens in einer mehr genreartigen, erzählenden Weise auf, indem er sie in dem venezianischen Volksleben seiner Zeit mit seiner bunten Mannigfaltigkeit vorführte; allein er wusste zugleich, darin auch die Licht- und Farbeneffekte im Großen, wie sie bei Volksversammlungen im Freien vorkommen, mit Glück wiederzugeben, sie frei in eine reiche landschaftliche und groß artige architektonische Umgebung zu komponieren und das Ganze durch eine tiefe kraftvolle Färbung zu verbinden. Namentlich in seinen Gemälden mit kleineren Figuren erscheint er höchst lebendig und anmutig, bei denen in größerem Maßstabe tritt jedoch eine gewisse Befangenheit in den Formen hervor. So stellte er in der Schule der h. Ursula zu Venedig die Geschichte dieser Heiligen und ihrer elftausend Jungfrauen dar, mit Inbegriff des Altarbilds neun große figurenreiche Gemälde (gest. von Gio. de Pian e Franc. Calinberti), jetzt in der Akademie daselbst, Meisterwerke, reich an Gestalten, Motiven und Charakteren, in denen das lästige Ceremoniell des Vorgangs durch freie Gruppierung aufgehoben und die Farbe in der klarsten Leuchtkraft erscheint. (Auf einigen derselben sieht man die Jahrszahlen 1493 und 1495.) Auch zu der von Giacomo Bellini für die Scuola di S. Giovanni zu Venedig begonnene Reihe von Bildern, welche die Wunder der h. Kreuzreliquie darstellen, lieferte er einen und vielleicht den trefflichsten Beitrag: die Heilung eines Besessenen durch den Patriarchen von Grado (in der Akademie daselbst). Eines seiner herrlichsten Bilder aber ist der Tod der Maria (vom Jahr 1508) im Ateneo zu Ferrara. Wandgemälde von ihm aus der Geschichte Christi, S. Georg's und S. Hieronymus (1502—1511) finden sich in der Scuola di S. Giorgio de' Schiawoni in Venedig. Andere Bilder, eine große Darstellung im Tempel, früher in S. Giobbe (1510) und eine Apotheose der heil. Ursula, beide in der Akademie zu Venedig, sind breiter und mehr im entwickelteren venezianischen Stil behandelt, lassen jedoch den Mangel an Mittel zur Belebung größerer Formen bedauern. In S. Vitale zu Venedig ist dagegen wieder ein Meisterwerk von ihm, eine lebhafte Konversation von Heiligen. Von der Folge von fünf, zwischen den Jahren 1511 und 1520 für das Brüderschaftshaus des heil. Stephan zu Venedig ausgeführten Bildern aus der Legende dieses Heiligen befindet sich eines, die Einsegnung des heil. Stephans und anderer Diakonen im Museum zu Berlin (1511), ein anderes, denselben Heiligen darstellend, wie er siegreich die Anhänger verschiedener Religionssekten widerlegt im Louvre zu Paris, ein drittes, die Predigt desselben, in der Galerie der Brera zu Mailand, in welch' letzterer Sammlung man auch noch Christus unter den Schriftgelehrten (1514), den Aufgang der Maria zum Tempel und die Vermählung Josephs und Marias von ihm bewahrt. Noch sielt man von ihm außer den bereits angeführten Bildern in S. Giovanni e Paolo in Venedig: eine Krönung der Maria, unaussprechlich schön im Ausdruck, und in der Akademie daselbst die Begegnung des Joachim und der Anna, zu beiden Seiten die h. Ursula und Ludwig den IX. von Frankreich. In die Gemäldesammlung des Museums der bildenden Künste zu Stuttgart gingen aus der Galerie Barbini-Breganze zu Venedig zwei Bilder von Carpaccio über: Madonna mit dem Kinde und den h. h. Thomas von Aquino, Marcus und dem Bischof Ludwig, mit der Namensinschrift und der Jahrszahl 1507, und die Steinigung des heil. Stephans (angeblich aus der erwähnten Reihenfolge von Bildern aus der Geschichte dieses Heiligen mit der Jahreszahl 1525 [?]). 

Seine Schüler waren: Benedetto Carpaccio, vielleicht sein Sohn oder Neffe, von dem sich einige Bilder in Capo d'Istria mit den Jahrszahlen 1537 und 1541 befinden, Giovanni Mansueti und Lazzaro Sebastiani.  


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