II. [Psychologische Folgen der teleologischen Stellung des Geldes: Geldgier, Geiz, Verschwendung, asketische Armut, moderner Zynismus, Blasiertheit]
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Beiderlei Bedeutungen des Geldes für unseren Willen gehen auf die Synthese zweier Bestimmungen zurück, die sich im Geld vollzieht. So dringlich und allgemein nämlich auch Nahrung und Kleidung begehrt werden, so ist das Verlangen nach ihnen doch naturgemäß begrenzt; gerade von dem Notwendigen und deshalb zunächst mit der größten Intensität Begehrten kann es genug geben. Der Bedarf nach Luxusgütern ist dagegen unserer Natur nach unbegrenzt; das Angebot wird hier niemals die Nachfrage übersteigen; z.B. also haben die Edelmetalle, insoweit sie Schmuckmaterial sind, eine innere Unbeschränktheit der Verwendung, die die Folge ihrer primären Überflüssigkeit ist. Je näher die Werte an dem Lebenszentrum stehen, je mehr sie Bedingung der unmittelbaren Selbsterhaltung sind, desto stärker ist zwar ihr unmittelbares Begehrtwerden, aber desto begrenzter ist eben dieses in quantitativer Hinsicht, desto eher gelangt man ihnen gegenüber an einen Sättigungspunkt. Umgekehrt dagegen, je weiter sie von jener primären Dringlichkeit abstehen, desto weniger findet ihre Begehrtheit ihr Maß an einem natürlichen Bedürfnis, und jedes gewährte Quantum läßt dieselbe ziemlich unverändert fortleben. Zwischen diesen Polen also bewegt sich die Skala unserer Bedürfnisse; sie sind entweder von unmittelbarer Intensität, aber dann doch naturgemäß begrenzt - oder sie sind Luxusbedürfnisse, die für die mangelnde Notwendigkeit eine grenzenlose Möglichkeit ihrer Expansion eintauschen. Während nun die Mehrzahl der Kulturgüter sich in einer gewissen Mischung dieser Extreme bewegt, so daß der Annäherung an das eine die Entfernung vom ändern entspricht, vereinigt das Geld die Höhepunkte beider. Denn indem es sowohl die unentbehrlichsten wie die entbehrlichsten Lebensbedürfnisse zu befriedigen dient, gesellt es der intensiven Dringlichkeit des Verlangens seine extensive Unbegrenztheit zu. Es trägt an sich selbst die Struktur des Luxusbedürfnisses, indem es jede Begehrungsgrenze ablehnt - die nur durch die Beziehungen bestimmter Quantitäten zu unserer Aufnahmefähigkeit möglich wären -, aber es braucht diese Schrankenlosigkeit des Begehrens nicht durch jenen Abstand von dem unmittelbaren Bedürfen auszugleichen, wie es die Edelmetalle als Schmuckmaterial müssen, da es das Korrelat auch der unmittelbarsten Lebensnotdurft geworden ist. Geiz und Verschwendung stellen diesen merkwürdig kombinierten Begehrungscharakter des Geldes gleichsam abgelöst dar, es ist für sie in sein reines Begehrtwerden aufgegangen; sie zeigen nach der schlimmen Seite hin, was wir auch nach der guten am Geld beobachten: daß es den Durchmesser des Kreises erweitert, in dem unsere antagonistischen psychischen Bewegungen schwingen. Nur daß der Geiz in gleichsam substanzieller Erstarrung zeigt, was die Verschwendung in der Form des Fließens und der Expansion offenbart.
Nach einer anderen Dimension hin, als die Verschwendung es tut, steht der Geldgier und dem Geize eine zweite negative Erscheinung gegenüber: die Armut als definitiver Wert, als für sich befriedigender Lebenszweck. Das Auswachsen eines Gliedes der Zweckreihe zu absoluter Bedeutung hat sich hier in eine ganz andere Richtung derselben verpflanzt, als beim Geiz und der Verschwendung; denn während diese bei den Mitteln zu Endzwecken stehen blieben, verharrt die Armut bei dem Ausbleiben der Mittel oder rückt in den hinter dem Endzweck liegenden Teil, insoweit sie sich als der Erfolg abgelaufener Zweckreihen einstellt. Ähnlich wie jene beiden tritt Armut in ihrer reinsten und spezifischen Erscheinung nur bei irgendeinem Maße von Geldwirtschaft auf. In naturalen Verhältnissen, die noch nicht geldwirtschaftlich bestimmt sind, so lange also die Bodenprodukte noch nicht als bloße Waren, d.h. unmittelbar als Geldwerte figurieren, kommt es nicht so leicht zu absoluter Bedürftigkeit Einzelner: noch bis in die letzte Zeit hinein hat man sich in Rußland gerühmt, daß die wenig geldwirtschaftlich entwickelten Bezirke daselbst keine persönliche Armut kennten. Als allgemeine Erscheinung liegt das nicht nur an der leichteren Zugängigkeit des unmittelbar Nötigen, zu dem es nicht erst der Beschaffung des Geldmittels bedarf, sondern auch daran, daß die humanen und sympathischen Gefühle der Armut gegenüber in jenen Verhältnissen leichter erweckt werden, als wenn das, was dem Armen fehlt und womit man ihm helfen soll, gar nicht das ihm unmittelbar Nötige ist. Das Mitgefühl hat in reinen Geldverhältnissen erst einen Umweg zu machen, ehe es auf den Punkt seines eigentlichen Interesses kommt. Auf diesem Umwege erlahmt es oft. Dem entspricht es, daß gerade praktisch hilfreiche und mitleidige Menschen dem Armen lieber mit Nahrung und Kleidung als mit Geld zu Hilfe kommen. Sobald die Armut als sittliches Ideal auftaucht, ist es deshalb auch der Besitz an Geld, den sie als die schlimmste Versuchung, als das eigentliche Übel verabscheut.
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