III. [Das Tempo des Lebens, seine Veränderungen und die des Geldbestandes]
Die beschleunigenden Wirkungen der Geldvermehrung auf den Ablauf der ökonomisch-psychischen Prozesse verraten sich am ehesten in den Entwicklungen schlechten Papiergeldes - gerade wie manche Seiten der normalen Physiologie durch pathologische und Entartungsfälle ihre hellste Beleuchtung empfangen. Der unorganische und unfundamentierte Geldzufluß bewirkt zunächst ein sprunghaftes und der inneren Regulierung entbehrendes Steigen aller Preise. Die erste Geldplethora reicht aber immer nur aus, um den Ansprüchen gewisser Warenkategorien zu genügen. Deshalb zieht jede Ausgabe von unsolidem Papiergeld die zweite nach sich, und die zweite noch weitere. »Jeder Vorwand - so wird über Rhode-Island vom Anfang des 18. Jahrhunderts berichtet - diente zu weiterer Vermehrung der Noten. Und wenn das Papiergeld alle Münze aus dem Lande getrieben hatte, war die Knappheit des Silbers ein neuer Grund weiterer Emissionen.« Das ist das Tragische solcher Operationen, daß die zweite Emission nötig ist, um den Ansprüchen zu genügen, die aus der ersten folgen. Das wird sich um so umfassender geltend machen, je mehr das Geld selbst das unmittelbare Zentrum der Bewegungen ist: die Preisrevolutionen infolge von Papiergeldüberschwemmungen führen zu Spekulationen, die zu ihrer Abwicklung immer gewachsene Geldvorräte erfordern. Man kann sagen, daß die Tempo-Beschleunigung des sozialen Lebens durch Geldvermehrung am sichtbarsten da eintreten wird, wo es sich um Geld seiner reinen Funktionsbedeutung nach, ohne irgendeinen Substanzwert, handelt; die Steigerung des gesamten ökonomischen Tempos findet hier gleichsam noch in einer höheren Potenz statt, weil sie jetzt sogar rein immanent beginnt, d.h. sich in erster Instanz in der Beschleunigung der Geldfabrikation selbst offenbart. Es ist für diesen Zusammenhang beweisend, wenn in Ländern, deren wirtschaftliches Tempo überhaupt ein rapides ist, das Papiergeld jenem Anwachsen seiner Quantität ganz besonders schnell unterliegt. Über Nordamerika sagt ein genauer Kenner in dieser Beziehung: »Man kann nicht erwarten, daß ein Volk, so ungeduldig gegenüber kleinen Gewinnen, so durchdrungen davon, daß sich Reichtum aus Nichts oder wenigstens aus sehr wenig machen läßt - sich die Selbstbeschränkungen auferlegen wird, die in England oder Deutschland die Gefahren der Papiergeldemissionen auf ein Minimum reduzieren.« Die Beschleunigung des Lebenstempos durch die Papiergeldvermehrungen liegt aber insbesondere in den Umwälzungen des Besitzes, die von ihnen ausgehen. So geschah es sehr sichtbar in der nordamerikanischen Papiergeldwirtschaft bis zum Unabhängigkeitskriege. Das massenhaft fabrizierte Geld, das am Anfang noch zu höherem Wert kursiert hatte, erlitt die fürchterlichsten Einbußen. Dadurch konnte heute arm sein, wer gestern noch reich war; und umgekehrt, wer dauernde Werte für geliehenes Geld erworben hatte, zahlte seine Schuld in inzwischen entwertetem Gelde zurück und wurde dadurch reich. Dies machte es nicht nur zum dringenden Interesse eines jeden, seine wirtschaftlichen Operationen mit größter Beschleunigung abzuwickeln, Abschlüsse auf lange Sicht zu vermeiden und rasch zugreifen zu lernen - sondern jene Besitzschwankungen erzeugten auch die fortwährenden Unterschiedsempfindungen, die plötzlichen Risse und Erschütterungen innerhalb des ökonomischen Weltbildes, die sich in alle möglichen anderen Provinzen des Lebens fortpflanzen und so als wachsende Intensität seines Verlaufes oder Steigerung seines Tempos empfunden werden. Man hat deshalb geradezu dem schlechteren - neben dem besseren - Geld eine Nützlichkeit zugesprochen: es sei richtig, Schulden mit schlechterem Gelde abzahlen zu lassen, weil in der Regel die Schuldner die aktiven wirtschaftlichen Produzenten seien, die Gläubiger dagegen passive Konsumenten, denen der Verkehr sehr viel weniger Leben als jenen verdanke. Anfangs des 18. Jahrhunderts wurde in Konnektikut, anfangs des 19. in England das ungedeckte Papiergeld zwar nicht zum gesetzlichen Umlaufsmittel gemacht, aber jeder Gläubiger war gezwungen, es als Schuldzahlung anzunehmen. Daß nach unverhältnismäßiger Papierausgabe dann die Krisis das wirtschaftliche Leben in demselben Verhältnis retardiert und erstarren läßt, beweist gerade die spezifische Bedeutung des Geldes für sein Tempo. Auch hier entspricht seine Rolle für den objektiven Verlauf der Wirtschaft der des Vermittlers für die subjektive Seite derselben: denn es ist mit Recht bemerkt worden, daß die Vermehrung der Tauschmittel über das Bedürfnis hinaus den Tausch verlangsamt, gerade wie die Vermehrung der Makler zwar bis zu einem gewissen Punkte verkehrserleichternd, über diesen hinaus aber verkehrserschwerend wirke. Ganz prinzipiell angesehen, ist das Geld freilich um so beweglicher, je schlechter es ist, denn jeder wird es so schnell wie möglich loszuwerden suchen. Der naheliegende Einwurf: daß zu einem Handel doch zwei gehören, und daß die Leichtigkeit des Weggebens schlechten Geldes durch die Bedenklichkeit, es anzunehmen, paralysiert werde - ist nicht ganz zutreffend, weil schlechtes Geld immerhin besser ist als gar keines (was man entsprechend von schlechter Ware nicht immer sagen kann). Von der Abneigung des Warenbesitzers gegen das schlechte Geld muß also seine Neigung für Geld überhaupt abgezogen werden; so daß die Neigung des Käufers und die Abneigung des Verkäufers, das schlechte Geld gegen Ware zu tauschen, sich nicht ganz die Wage halten, sondern die letztere, als die schwächere, die durch die erstere nahegelegte Zirkulationsbeschleunigung nicht entsprechend hemmen kann. Andrerseits wird der Besitzer eines schlechten oder nur unter bestimmten Umständen wertvollen Geldes an der Aufrechterhaltung des Zustandes, unter dem sein Besitz Wert hat, lebhaft interessiert sein. Als die fürstlichen Schulden von der Mitte des 16. Jahrhunderts an so gestiegen waren, daß es allenthalben Staatsbankrotte gab, und in Frankreich das Mittel der Rentenverkäufe bis zum Extrem ausgenutzt wurde, hob man zur Verteidigung derselben - denn sie waren außerordentlich unsicher - hervor, daß dadurch die Anhänglichkeit der Bürger als Rentenbesitzer an den König, und ihr Interesse, ihn zu erhalten, sehr gestärkt würden. Es ist bezeichnend, daß das Wort Partisan ursprünglich einen Geldmann bezeichnet, der an einer Anleihe der Krone (parti) beteiligt war, dann aber durch die Interessensolidarität zwischen solchen Bankiers und dem Finanzminister, unter Mazarin und Fouquet, die Bedeutung: unbedingter Anhänger - erwarb und seitdem behielt. Gerade bei größter Unsolidität des französischen Finanzwesens also fand dies statt, während bei der Besserung unter Sully die Partisans in den Hintergrund getreten waren. Und später betonte Mirabeau bei Einführung der Assignaten, daß überall, wo ein Stück davon sich befände, auch der Wunsch nach der Beständigkeit ihres Kredites bestehen müßte: Vous compterez un défenseur nécessaire à vos mesures, un créancier interessé à vos succès. So schafft ein derartiges Geld eine besondere Parteiung, und, auf dem Grunde einer neuen Beharrungstendenz, eine neue Lebhaftigkeit der Gegensätze. -