III. [Das Tempo des Lebens, seine Veränderungen und die des Geldbestandes]
« Zurück 1 |
2 |
3 Weiter »
Solche Erfolge der vermehrten Umlaufsmittel treten nun aber tatsächlich in um so höherem Maße ein, als die bisherige Voraussetzung: daß die Verbilligung des Geldes jeden als Konsumenten und Produzenten gleichmäßig trifft - eine viel zu einfache ist. In Wirklichkeit ergeben sich viel kompliziertere und bewegtere Erscheinungen. Zunächst objektiv: die Geldvermehrung bewirkt anfänglich nur die Verteuerung einiger Waren und läßt die anderen vorerst auf dem alten Niveau. Man hat gemeint feststellen zu können, daß es eine bestimmte und langsame Reihenfolge war, in der die Preise der europäischen Waren seit dem 16. Jahrhundert, infolge des einströmenden amerikanischen Metalles, gestiegen sind. Die Geldmehrung innerhalb eines Landes trifft zunächst immer nur bestimmte Kreise, die den Strom abfangen. Es werden also in erster Linie diejenigen Waren im Preise steigen, um welche nur die Angehörigen dieses Kreises konkurrieren, während andere Waren, deren Preis durch die große Masse bestimmt wird, noch unverändert billig bleiben. Das allmähliche Eindringen der Geldvermehrung in weitere Kreise führt zu Ausgleichungsbestrebungen, das bisherige Preisverhältnis der Waren untereinander wird aus seiner Beständigkeit geworfen, das Budget des einzelnen Hauses muß durch die Ungleichmäßigkeit, mit der die Höhen der einzelnen Posten sich ändern, Störungen und Verschiebungen erfahren - kurz, die Tatsache, daß jede Geldvermehrung in einem Wirtschaftskreise die Preise der Waren ungleichmäßig beeinflußt, muß eine erregende Wirkung auf den Vorstellungsverlauf der wirtschaftenden Personen ausüben, fortwährende Differenzempfindungen, Unterbrechungen der gewohnten Proportionen, Forderung von Ausgleichungsversuchen zur Folge haben. Offenbar wird dieser - teils beschleunigende, teils lähmende - Einfluß nicht nur von der Ungleichmäßigkeit der Preise, sondern auch von Ungleichmäßigkeit innerhalb der Geldwerte selbst ausgehen: das heißt also, nicht nur von einem definitiv verschlechterten, sondern ebenso, oder vielleicht noch mehr, von einem in seinem Werte fortwährend schwankenden Gelde. Über die Zeit vor der großen englischen Münzumprägung von 1570 wird berichtet: »Wären alle Schillinge auf den Wert von Groats herabgesetzt worden, so hätte sich der Verkehr verhältnismäßig leicht daran anpassen können. Was aber jede Zahlung zu einer Kontroverse machte, das war, daß ein Schilling 12 Pence wert war, ein anderer 10, ein dritter 8, 6, ja 4!«
Den Ungleichheitserscheinungen im Preise der Waren entspricht es, daß von einer Änderung des Geldstandes gewisse Personen und Berufe in ganz besonderer Weise profitieren, gewisse andere ganz besonders leiden. In früheren Zeiten traf dies vor allem den Bauern. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts wurde der englische Bauer, unwissend und hilflos, wie er war, förmlich zerquetscht zwischen den Leuten, die ihm Geld zu zahlen hatten und es nur nach dem Nennwert taten, und denen, die von ihm Geld zu bekommen hatten und es nach Gewicht forderten. Ebenso war es später in Indien bei jeder neuen Verdünnung des Geldes: wenn der Landmann seine Ernte verkaufte, wußte er nie, ob das erhaltene Geld ihm dienen würde, wenn er nachher seine Hypothekenzinsen zu zahlen bitte. Man hat längst beobachtet, daß eine allgemeine Erhöhung der Preise sich dem Arbeitslohn am spätesten mitteilt. Je widerstandsloser eine wirtschaftliche Schicht ist, desto langsamer und spärlicher sickert die Geldvermehrung zu ihr durch, ja sie gelangt häufig erst dann als Einnahmesteigerung zu ihr, wenn sie sich in den Konsumartikeln dieser Schicht schon lange als Preiserhöhung geltend gemacht hat. Dadurch entstehen Chocs Und Erregungen vielerlei Art, die aufgetretenen Differenzen zwischen den Schichten fordern fortwährende Anspannung des Bewußtseins, weil, vermöge des neuen Umstandes der vermehrten Umlaufsmittel, zur Bewahrung des Status quo ante - sowohl was das Verhältnis der Schichten zueinander, wie was die Lebenshaltung der einzelnen betrifft - jetzt nicht mehr konservatives oder defensives Beharren, sondern positiver Kampf und Eroberung erforderlich ist. Dies ist eine wesentliche Ursache, aus der jede Vermehrung des Geldquantums so anregend auf das Tempo des sozialen Lebens wirkt: weil sie über die bereits bestehenden Unterschiede hinaus neue schafft, Spaltungen, bis hinein in das Budget der Einzelfamilie, an denen das Bewußtsein fortwährende Beschleunigungen und Vertiefungen seines Verlaufes finden muß. Es liegt übrigens auf der Hand, daß ein erheblicher Geldabfluß ähnliche Erscheinungen, nur gleichsam mit umgekehrtem Vorzeichen, hervorrufen muß. Darin aber zeigt sich das enge Verhältnis des Geldes zu dem Tempo des Lebens, daß ebenso seine Vermehrung wie seine Verminderung, durch ihre ungleichmäßige Ausbreitung, jene Differenzerscheinungen ergeben, die sich psychisch als Unterbrechungen, Anreizungen, Zusammendrängungen des Vorstellungsverlaufes spiegeln. - Diese Bedeutung der Änderungen des Geldstandes ist nur ein Phänomen oder eine Akkumulierung der Bedeutung des Geldes für das Verhältnis der Dinge, d.h. ihrer seelischen Äquivalente. Das Geld hat eine neue Gleichung zwischen den Dingen gestiftet. Man vergleicht sie sonst untereinander nach ihrem direkten Nutzungs -, ihrem ästhetischen, ethischen, Arbeits-, eudämonistischen Wert, nach hundert Beziehungen der Quantität und Qualität; und ihre Gleichheit in einer dieser Beziehungen kann unter vollständiger Ungleichheit in anderer bestehen. Ihr Geldwert nun schafft eine Gleichung und Vergleichung zwischen ihnen, die keineswegs eine stetige Funktion der anderen aber doch immer der Ausdruck irgendwelcher, aus jenen entstandener bzw. kombinierter Wertgedanken ist. Jeder Wertgesichtspunkt, von dem aus die Dinge eine Rangierung, jenseits der sonstigen und diese durchquerend gewinnen, ist zugleich eine Lebendigkeit mehr in ihrem Verhältnis, eine Anregung zu vorher ungekannten Kombinationen und Verdrängungen, Verwandtschafts- und Differenzstiftungen - denn unsere Seele ist wie in einer dauernden Bestrebung, Ungleiches gegeneinander auszugleichen, dem Gleichen Unterschiede aufzudrängen. Indem das Geld nun in einem Umfang, wie kein anderer Wertgesichtspunkt, den Dingen Gleichheiten und Ungleichheiten verleiht, erregt es unzählige Bemühungen, diese mit den Rangierungen aus den anderen Werten heraus im Sinne jener zweifachen Tendenzen zu verbinden.
« Zurück 1 |
2 |
3 Weiter »