Fonds, Staatspapiere
2. Zweitältester Gegenstand des Handels an der Fondsbörse sind die »Fonds« im engeren Sinne des Wortes: die Staatspapiere und die ihnen verwandten Schuldverschreibungen der Gemeinden und andrer öffentlicher Korporationen.
Daß Staat und Gemeinde heutzutage fast ausnahmslos Schulden machen, ist bekannt: Das Reich und die deutschen Staaten zusammen haben rund 81/2 Milliarden, England, ohne seine Kolonien, 15 Milliarden, Frankreich 20 Milliarden Mk. Staats-Schulden, und diese Schulden müssen den Gläubigern des Staates verzinst werden. Die Verschuldung eines Staates ist heute nicht etwa an sich ein Unglück, ein Zeichen schlechter Verwaltung oder mangelnden Reichtums. Wenn ein Staat eine große Eisenbahn ankauft oder baut für – sagen wir – 50 Millionen Mark, so wäre es weder gerecht noch verständig, wenn er diesen Betrag durch eine Steuer, im Durchschnitt z.B. in Deutschland von 1 Mk. pro Kopf, aufbringen würde. Nicht nur der lebenden Generation dient und nützt die Bahn, und nicht nur der jetzige Finanzminister heimst die Einnahmen daraus ein. Deshalb ist es richtig, daß wir dafür auch die Nachkommen steuern lassen, das geschieht, indem das Geld geliehen, verzinst und allmählich in längeren Zeiträumen aus den Steuern zurückbezahlt wird. Die Steuerlast dafür wird dadurch auf Gegenwart und Zukunft verteilt. Preußen hätte z.B. die 5 Milliarden, welche es innerhalb von 10 Jahren für den Ankauf von Bahnen ausgab, sonst etwa durch jährlich 500 Millionen besondere Steuern decken müssen und das wäre ein törichter und unmöglicher Versuch gewesen. Etwas anderes und eine schlechte Finanzwirtschaft ist es, wenn ein Staat für Bedürfnisse, die ständig wiederkehren, die Bezahlung seiner Beamten und seines Heeres z.B., fortgesetzt Geld leiht: dann schiebt die lebende Generation auf die Nachkommen Lasten ab, die sie selbst tragen muß: der Staat wirtschaftet mit einem Defizit, welches die Nachkommen bezahlen sollen. – Das Leihen des Geldes für jene Staatsbedürfnisse nun bewirkt der Staat – und ähnlich verfahren Kreise, Gemeinden usw. – durch Verkauf von Schuldverschreibungen, in denen der Staat die Zahlung bestimmter Zinsen – 3, 31/2, 4 usw. Prozent einer Schuldsumme – an bestimmten Zahlungsterminen (z.B. 1. Januar und 1. Juli) verspricht an jeden, der zu der betreffenden Zeit als Inhaber der Schuldverschreibung sich melden und ausweisen werde5. Wer den Besitz der Schuldverschreibung rechtmäßig – durch Kauf usw. – erwirbt, wird also Staatsgläubiger. Die Schuld zurückzuzahlen verspricht der Schuldner (Staat, Gemeinde usw.) entweder nach einem bestimmten Plan, so daß jährlich eine Anzahl Nummern der Schuldscheine ausgelost und zurückbezahlt (»amortisiert«) werden, oder er behält sich nur das Recht vor, sie zu kündigen, übernimmt aber keine entsprechende Pflicht – so ist es bei unsern Reichs- und preußischen Anleihen (sog. »Konsols«). Der Staat (resp. die Gemeinde usw.) kann das, denn den Besitzern der Schuldverschreibungen liegt gar nichts daran, ihr Geld zurückzuerhalten, sie wollen vielmehr die Zinsen beziehen, sie sind Mitglieder der besitzenden Klassen, welche auf diese Weise »ihr Vermögen anlegen«, das heißt, sich das Recht auf den Bezug eines Tributes sichern von den mit diesen Zinsen Belasteten, also hier den Steuerzahlern des Staates oder der Gemeinde, welche die Zinsen der Staatsund Gemeindeschuld durch Steuern aufbringen. Und ebenso ist es mit den »Obligationen«, welche Eisenbahnen oder Fabrikunternehmer ausgeben. Krupp z.B. gab kürzlich 24 Millionen Schuldverschreibungen aus zum Ankauf einer Konkurrenzfabrik, und massenhaft sind die Obligationen von Eisenbahnen und Aktiengesellschaften. Die Zinsen werden hier aufgebracht von den Benutzern der Bahn: in den Frachten, den Käufern der Waren: in den Preisen, endlich indem ein Teil dessen, was das Unternehmen einträgt, nicht an die Unternehmer als Gewinn und an die Arbeiter als Lohn, sondern eben an die Tributberechtigten abfließt. Jene alle werden »besteuert« zur Bestreitung des Kapitalzinses.
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5 Meist werden zur Erleichterung sogenannte Kupons d.h. Abschnitte mit ausgegeben, von welchen man je einen zu den Fälligkeitsterminen abschneidet und dagegen die Zinsen erhebt, so daß man nicht die Schuldverschreibung selbst vorzuweisen braucht.