Geldsorten, Wechsel
Wir müssen uns die Gegenstände, die an der Effektenbörse ge- und verkauft werden, näher ansehn.
Es werden gehandelt: 1. Geldsorten und geldwerte Papiere, welche unsere Industriellen und Kaufleute als Zahlung aus dem Ausland erhalten und zur Leistung von Zahlungen an das Ausland gebrauchen. Dahin gehören natürlich zunächst die Münzen und das Papiergeld fremder Staaten (namentlich das Papiergeld Rußlands), aber auch eins der ältesten Objekte des Börsenhandels, der Wechsel, gehört dahin. Was ist er?
Man sieht ihm seiner Form nach nicht an, was er rechtlich bedeutet. Die wichtigste Form des Wechsels, die sog. »Tratte« oder der »gezogene« Wechsel, stellt sich dar als die Anweisung z.B. eines Kaufmanns Schulze in Berlin, gerichtet z.B. an einen Kaufmann Smith in London, eine bestimmte Summe an einem bestimmten Tage zu zahlen an einen Dritten, Herrn Müller in Berlin, oder an dessen »Order«, d.h. an denjenigen, welchem der Wechsel durch Müller gültig übertragen sein werde2. Rechtlich bedeutet er aber nichts anderes als: Schulze verspricht dem Müller und dessen »Order« dafür aufzukommen, daß Smith die bestimmte Summe zur bestimmten Zeit zahlen werde, und sein weitaus wichtigster praktischer Zweck – der, zu dem er schon vor etwa 700 Jahren gebraucht wurde – ist folgender: Schulze in Berlin ist Exporteur, er hat deutsche Waren nach London an den englischen Importeur Smith verkauft und nun den Kaufpreis (sagen wir 100 £) zu fordern. Müller in Berlin ist Importeur. Er hat englische Waren von einem englischen Exporteur Jones in London gekauft und eingeführt, schuldet also diesem den Kaufpreis (nehmen wir der Einfachheit halber an: ebenfalls 100 £). Der gegenseitige Verkehr zwischen Deutschland und England beträgt Hunderte von Millionen Mark an Wert im Jahr, es gibt Tausende von jeder der vier Personenarten, die wir mit Schulze, Smith, Müller und Jones bezeichnet haben. Würden die Kaufpreise alle in bar bezahlt, so müßten unglaubliche Summen Geldes – mehrere Tausend Zentner in Gold – hin- und hergeschickt werden, was unsinnige Kosten machen und das Geld der Seegefahr aussetzen, auch für die Dauer der Reise dem Gebrauch entziehen würde. Deshalb verfährt man wie folgt: Schulze in Berlin, der von Smith in London Geld zu empfangen hat, »zieht« einen Wechsel über 100 £ »auf« Smith, d.h. er weist ihn an, an Müller oder dessen »Order« zu zahlen. Diesen Wechsel gibt er an Müller in Berlin, der an Jones in London Geld zu zahlen hat, und verpflichtet sich dadurch, dem Müller dafür aufzukommen, daß Smith an ihn oder an den zahlen werde, der seine Order sein werde. Müller zahlt ihm dafür die 100 £3 aus und schickt den Wechsel an seinen Gläubiger Jones in London, indem er diesen auf dem Wechsel als seine »Order« bezeichnet – diesen Vermerk auf dem Wechsel nennt man »Giro« oder »Indossament«. Jones in London zieht die Wechselsumme bei Smith in London ein und kommt durch diese Zahlung zu seinem Gelde – Schulze hat das Seinige als Kaufpreis für die Hingabe des Wechsels von Müller erhalten: das Geschäft ist »abgewickelt«4. Alle die Schulzes (Gläubiger englischer Schuldner, also Verkäufer von Wechseln »auf« London) und die Müllers (Schuldner englischer Gläubiger, also Käufer von Wechseln »auf« London) unsres Beispiels, treffen sich nun auf dem großen Markt, wo jederzeit große Beträge »auf London« zu kaufen und zu verkaufen sind – auf der Wechselbörse. Sie können sich nur dort mit Sicherheit gegenseitig finden. Ebenso vollzieht sich das Geschäft mit den übrigen Ländern, mit denen wir im Güteraustausch stehen. Fortwährend findet der Handel in Wechseln auf London, auf Paris, auf Petersburg, auf Neuyork usw. in gewaltigen Summen statt – und dieser Handel ist unentbehrlich. Bei etwa 3 Milliarden Mk. in gemünztem Geld und Geldscheinen, die in Deutschland im Umlauf sind, laufen über 13 Milliarden in Wechseln jährlich um.
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2 Z. B: »An Herrn Smith in London. Gegen diesen Wechsel zahlen Sie am 1. Juli 1895 an Herrn Müller in Berlin oder Order die Summe von 100 Pfund Sterling. Berlin, den 1. April 1895. Schulze.«
3 Auf die Abzüge (»Diskont«), welche gemacht zu werden pflegen, und die Kursschwankungen der Wechsel kommen wir im zweiten Teil.
4 Es sei denn, daß Smith dem Jones aus irgendeinem Grunde den Wechsel nicht zahlt, in welchem Falle Jones »Regreß« gegen Müller und dieser gegen Schulze nimmt. Schulze wird dann genötigt, Kostenersatz und Zahlung nebst Zinsen an Müller zu leisten und hält sich seinerseits an seinen Schuldner Smith, der ohne Grund nicht gezahlt hat. Dann ist der Versuch, das Geschäft durch Wechsel abzuwickeln, mißglückt, es ist dies aber selbstverständlich die seltene Ausnahme.