Tributberechtigungen
Das sind die Hauptformen der eigentümlichen Ware, welche den Gegenstand des Marktverkehrs an den »Effektenbörsen« bilden. Man sieht, es sind verbriefte Tributberechtigungen, und die moderne Organisation der Wirtschaft führt dazu, daß eine immer steigende Zahl von solchen entsteht und »in Umlauf gesetzt« wird. Der Ingenieur eines Elektrizitätswerkes hilft z.B. durch seine Arbeit den Dividendentribut aufbringen, an welchem etwa der Prokurist einer Papiermühle als Aktionär Anteil hat und besitzt vielleicht selbst Aktien dieser Papiermühle, so daß ihm umgekehrt auch die Arbeit dieses abgabepflichtig ist, und beide besitzen vielleicht Staatspapiere und besteuern so die Gesamtheit der Steuerzahler – einschließlich derer, die ihrerseits solche Tribute nicht in Händen haben, der »Besitzlosen«. Unter der heutigen Wirtschaftsordnung würde eine solche gegenseitige Tributpflichtigkeit auch stattfinden, wenn wir einmal uns vorstellten, daß alle Vermögen in gleicher oder annähernd gleicher Höhe besäßen: dann steuerten alle an alle, jetzt alle an einen Teil, an die Besitzenden. Die gegenseitige Tributpflichtigkeit an sich ist kein notwendiges Zeichen dafür, daß wenige Tributherren und viele Tributpflichtige einander gegenüberstehen. Das Bestehen des Zinses und der Dividende an sich ist vielmehr nur ein weiterer Ausfluß der modernen »Verkehrswirtschaft«, welche auf der Eigentümlichkeit aufgebaut ist, daß jeder fortgesetzt von dem Ertrage der Arbeit anderer existiert und selbst für den Bedarf anderer arbeitet. Der große Gutsherr der Karolingerzeit, welcher ausnahmslos alles, was er bedurfte: Gespinste, Gewebe, Eisengeräte usw. auf seinem Gut mit seinen hörigen Handwerkern anfertigen ließ – er und diese seine Untertanen waren noch berechtigt zu sagen »Wir, die Gutsinsassen, leben von dem Ertrage unsrer Arbeit aus unserm Boden und nur von diesem und kein anderer lebt mit davon.« Der moderne Rittergutsbesitzer mit seinen Arbeitern – auch der größte – kann das Gleiche nicht mehr behaupten: Ställe und Wohnungen bauten Fremde aus fremdem Material, das Ackergerät ist gekauft, ja selbst der Boden ist nicht mehr die naturgewachsene Erde, sondern mit hereingeführtem, künstlichem Dünger, Kali, Phosphaten usw., Produkten fremder Arbeit, bereichert. Diese fremde Arbeit muß entgolten werden und wird entgolten und zwar unter unsrer heutigen Organisation in Gestalt einer »Kapitalrente«, des Zinses, den der Hypothekengläubiger, von dem das Geld entliehen war, bezieht. Das ist z.B. oft die Sparkasse, welche die Gelder der kleinen Leute, die sie ihnen verwaltet und für die sie Zins zahlt, gegen Grundstückpfand darleiht, und es zinst also der Grundherr dem Proletarier. Meist freilich zinst er städtischen Bürgern. – Er erntet mehr Getreide aus dem Gut, aber er sitzt nicht mehr auf freier Scholle, er ist angebunden und verflochten in die Wirtschaftsgemeinschaft der Welt draußen. Und noch weit mehr ist es der Fabrikant, der die Rohstoffe, welche Fremde erarbeiteten, zu deren Ankauf er oft wenigstens zum Teil fremdes Geld entleiht, durch »seine« Arbeiter verarbeiten läßt und dann davon abhängt, daß andre sie brauchen können und ihm hoch genug bezahlen wollen. Es ist menschlich, daß er meint, das Produkt sei sein Produkt, der Gewinn sein Gewinn, die Fabrik seine Fabrik und da er ein freier Mann sei, habe ihm eigentlich niemand, auch nicht der Staat, hineinzureden: in Wahrheit ist es die Gemeinschaft, deren Arbeit er braucht, nur ein winziger Bruchteil des von ihm »geschaffenen« Wertes enthält »sein« Produkt und wiederum ist es die Gemeinschaft, deren Bedarf nach Waren der von ihm zu Markte gebrachten Art das Gebot ist, welches ihm die Arbeitsstellung zuweist, welche er einnimmt, und dem er gehorchen muß, will er etwas »verdienen«.
Eine sozialistische Organisation würde alle einzelnen je an einen Faden binden und diese Fäden in der Hand einer Zentralleitung zusammenlaufen lassen, welche nun jeden einzelnen dahin dirigieren würde, wo sie ihn nach dem Maß ihrer Kenntnis am zweckmäßigsten verwenden zu können glaubt. Die heutige Organisation bindet jeden mit zahllosen Fäden an zahllose andere. Jeder zerrt an dem Fadennetz, um an die Stelle zu gelangen, wohin er möchte und wo er an seinem Platz zu sein glaubt, aber selbst, wenn er ein Riese ist, und viele der Fäden in seiner Hand zusammenfaßt, wird er vielmehr von den andern dorthin gezerrt, wo gerade ein Platz für ihn offen ist.
Doch zurück zu unserm Thema.
Fortgesetzt entstehen neue Bedürfnisse von Staaten, Gemeinden, Grundbesitzern, Fabrik- und Eisenbahngesellschaften, Geld gegen Verkauf von zinsoder dividendetragenden Papieren »aufnehmen« zu können. Fortwährend sind andererseits zahlreiche Personen in der Lage, ihr Geld in solchen »anlegen« zu können. Ein immer steigender Teil des Volksvermögens wird in solchen Tributrechten zum Ausdruck gebracht und in Umlauf gesetzt. Man rechnet das deutsche Volksvermögen, d.h. die Summe der einen Ertrag irgendwelcher Art gewährenden Güter in Deutschland, in Geld veranschlagt, zu etwa 180 Milliarden Mark und die bisher vorliegenden Berechnungen machen wahrscheinlich, daß 3/7 davon in zinsoder dividendetragenden Rechten, Hypotheken, Aktien, Obligationen aller Art bestehen. Jährlich wird etwa 1 Milliarde (1000 Millionen) Mark neu erspart und zur »Anlage« verfügbar. Für mehr als die Hälfte dieser riesenhaften Beträge – alle die, welche die Form der oben beschriebenen Wertpapiere angenommen haben – bildet die Effektenbörse den Markt, wo sie angeboten und gekauft werden, wie die Lebensmittel auf den Lebensmittelmärkten. Man sieht zugleich die Unentbehrlichkeit und die Riesenhaftigkeit dieses Marktes. –