Moderner Großhandelverkehr
Die Börse ist eine Einrichtung des modernen Großhandelverkehrs. Ihre Unentbehrlichkeit für die moderne Wirtschaftsweise beruht auf dem gleichen Grunde, aus welchem die moderne Form des Handelsverkehrs überhaupt erwachsen ist. Sie war ebensowenig von jeher notwendig oder auch nur möglich, wie es der moderne Großhandel war. Warum? – Verfolgen wir den Menschen in seiner Arbeit zurück bis in die ferne Vorzeit, so begegnet uns als frühster und natürlichster Gesichtspunkt, unter welchem er Güter hervorbrachte, der: den eignen Bedarf zu decken. Er suchte durch seiner Hände Arbeit der Natur abzugewinnen, was er selbst zu seiner Ernährung und Kleidung, zum Schutze gegen Frost und Wetter bedurfte. Aber niemals hat der einzelne vermocht, auf sich selbst gestellt, der Natur zu trotzen. Für die Erhaltung der nackten Existenz allein schon ist und war er von jeher auf die Gemeinschaft mit andern angewiesen, wie das Kind auf die Brust der Mutter. Und die Gemeinschaft, deren er bedurfte, wählte er sich so wenig selbst aus freiem Entschluß, wie das Kind sich seine Mutter wählt. Sie wurde ihm mit auf den Lebensweg gegeben, er wurde in diese Gemeinschaft hineingeboren: in den festen, unter der unumschränkten Herrschaft eines Patriarchen stehenden Verband seiner Familie, die freilich anders aussah, als unsre heutige. Denn ihr Haushalt umfaßte Brüder, Vettern, Schwägerinnen bis in entfernte Grade und das unfreie Hausgesinde – durch kriegerische Gewalt unterworfene, oder solche, welche ihres Besitzes durch Frost und Viehsterben beraubt, nach dem urältesten Rechtssatz der Geschichte, wollten sie leben, die Knechte der Sieger und Besitzenden werden mußten. Diese Familie ist die älteste wirtschaftliche Gemeinschaft. Sie brachte in gemeinsamer Arbeit die Güter hervor und verzehrte sie gemeinsam. Und zwar verzehrte sie nur, was sie selbst hervorgebracht hatte – weil sie nichts anderes zu verzehren hatte – und brachte nur das hervor, was sie verzehren wollte, weil sie für das Mehr keine Verwendung hatte.
Vergleichen wir damit den Charakter der heutigen Wirtschaftsweise, so tritt der ungeheure Gegensatz alsbald zutage. Es gilt der umgekehrte Satz: Nicht die Güter bringt der einzelne hervor, die er selbst verbrauchen will, sondern solche, welche nach seiner Voraussicht andere gebrauchen werden, und jeder einzelne verzehrt nicht die Produkte seiner eigenen, sondern fremder Arbeit. Zwar ist selbstverständlich, daß das nicht allgemein gilt: es gilt nicht für den Urwaldkolonisten und den Landwirt in der Tiefe unkultivierter Reiche, und es gilt nur beschränkt für unsere Kleinbauern, die in erster Linie selbst von der Ernte ihres Landes leben, und nur den Ueberschuß verkaufen. Aber es gilt gerade für die Wirtschaftsbetriebe, welche die moderne Zeit im Gegensatz zu jener ältesten schuf. Nicht ob er selbst die Güter wird brauchen können, sondern ob sie »Abnehmer« finden werden, d.h. ob andere sie wahrscheinlich brauchen, ist der Gesichtspunkt, unter welchem der moderne Unternehmer produziert und produzieren muß.
Zwischen diesen schroffen Gegensätzen liegt die geschichtliche Entwicklung der Jahrtausende, welche die alten Gemeinschaften auflöste. Sie verflocht die einzelne Wirtschaft in eine Austauschgemeinschaft mit einem sich stetig vergrößernden Kreise von andern Wirtschaften, einem Kreise, den die moderne Zeit auf die Gesamtheit der Kulturvölker zu erweitern strebt. Und sie vergrößerte andererseits denjenigen Bruchteil von Gütern, welchen die Wirtschaft, die sie hervorgebracht hatte, nicht selbst verbrauchte, sondern an andre abgab. Und hier tritt der Handel in Tätigkeit.