Preise und Spekulation


Nicht nur die einzelnen Abschlüsse an der Börse unterscheiden sich in der Höhe des vereinbarten Preises, sondern es unterscheidet sich aus den verschiedensten Gründen oft die gesamte Preislage derselben Ware an einem Börsenplatz sehr erheblich von derjenigen an einem andern. Wenn z.B. einmal Frankreich verhältnismäßig mehr russische Waren importiert und zu bezahlen hat als Deutschland, und deshalb an die Pariser Börse ein verhältnismäßig stärkerer Kaufbedarf der importierenden Kaufleute nach Wechseln »auf« Rußland oder russischen Noten gelangt, als an die Berliner, so werden für russische Noten nicht nur in einzelnen Fällen höhere Preise in Paris gezahlt werden, als in Berlin, sondern auch der Durchschnitt aller gezahlten Preise wird in fühlbarer Weise abweichen und die allgemeinen Chancen (Aussichten) für einen möglichst teueren Verkauf der russischen Noten in Paris günstiger sein als in Berlin: – es entwickeln sich örtliche Preisunterschiede. Ebenso wirken zahlreiche allgemeine Ursachen auf die Herbeiführung zeitlicher Unterschiede in der allgemeinen Preislage, auch an demselben Börsenplatz. Es ist z.B. leicht verständlich, daß unmittelbar nach der Ernte, wenn von allen Seiten Getreidevorräte an die großen Handelsplätze strömen, die Chancen, hohe Preise für das Getreide zu erzielen, an sich ganz allgemein ungünstigere sein müssen als später, wenn die Vorräte teilweise aufgezehrt sind, und daß ebenso zu denjenigen Zeitpunkten, wo z.B. üblicherweise die Bezahlung russischer Waren zu erfolgen pflegt, der Preis der Noten durch verstärkte Nachfrage in die Höhe getrieben wird. Diese stets wieder auftretenden örtlichen und zeitlichen Unterschiede in der allgemeinen Preislage einer Ware zur Erzielung von Gewinn auszunutzen, ist das Bestreben derjenigen Handelstätigkeit, welche zwar sehr mit Unrecht hie und da als dem Börsenhandel allein eigentümlich angesehen wird, die aber allerdings im Börsenverkehr den höchsten Grad ihrer Entfaltung erreicht und für die besondere Art der Preisbildung ebenso wie für die Geschäftsformen der Börse entscheidend ist: der Spekulation. Man kann die börsenmäßige Spekulation im weiteren Sinn, als die auf Gewinn am Unterschied zwischen Kauf- und Verkaufspreis einer börsengängigen Ware abzielende Handelstätigkeit weiter einteilen in Arbitrage – Ausnutzung örtlicher – und Spekulation i.e. S. – Ausnutzung zeitlicher Preisunterschiede. Der »Arbitrageur« sucht seinen Gewinn, indem er gleichzeitig eine Ware an dem Platz, wo sie zur Zeit teuer abzusetzen ist, verkauft, und an demjenigen, wo sie billig zu erwerben ist, einkauft. Sein Geschäft ist also ein reines Rechenexempel. Er steht am Telephon oder läßt sich telegraphisch Mitteilungen und Angebote von auswärtigen Plätzen machen, und sobald er die Möglichkeit z.B. durch Einkauf von Wechseln auf Rußland oder russischen Noten in London und Verkauf derselben in Paris einen Gewinn zu machen bemerkt, gibt er per Telephon und Telegraph seine Aufträge. Die Gewinnchance beruht dabei wesentlich auf der Geschwindigkeit der Ausnutzung einer sich zeigenden örtlichen Preisdifferenz, und da der Arbitrageur dabei nicht nur die an den auswärtigen Plätzen geltenden Währungen ineinander umrechnen, sondern auch die Verschiedenheit der für die Erfüllungszeit, für die nebenher zu zahlenden Zinsen, Provisionen und Courtagen geltenden Gebräuche im Kopf haben und bei der mit Blitzesschnelle erfolgenden Berechnung berücksichtigen muß, so muß er im Kopfrechnen oft geradezu Erstaunliches leisten und gehört sein Geschäft zu den nervenzerrüttendsten, die es gibt. Dafür bietet es, wenn nur richtig gerechnet ist, keinerlei sonstige Gefahr, deshalb aber auch, wenigstens wenn man die Höhe der Umsätze mit dem erzielten Gewinne vergleicht, nur verhältnismäßig niedrige Gewinnchancen. – Bei der Spekulation i.e. S. fallen der billigere Einkauf und der teurere Verkauf nicht örtlich, sondern zeitlich auseinander. Der Spekulant schließt den einen, weil er in Zukunft zufolge einer Aenderung der allgemeinen Kaufs- und Verkaufschancen, deren Eintreten er erwartet, den andern machen zu können hofft. Schon daraus ergibt sich, daß sein Geschäft kein reines Rechenexempel ist, denn sein Erfolg hängt von dem Eintreten der erwarteten Aenderung der allgemeinen Preislage der betreffenden Ware ab, und der Spekulant muß die Gesamtheit der hierfür möglicherweise mitwirkenden Umstände in Betracht ziehen. Günstige Witterung im Sommer wird ihn auf gute Ernte und Sinken der Getreidepreise im Herbst, Gerüchte von diplomatischen Verwicklungen auf abnehmende Neigung, Papiergeld und Schuldverschreibungen von großen Militärstaaten zu besitzen, also auf Sinken der Preise derselben rechnen lassen, aus einer guten Ernte Rußlands schließt er auf große Getreideausfuhr, also großen Bedarf nach russischem Geld zum Bezahlen derselben und steigende Notenpreise usw. Ein erheblicher Teil aller der zahllosen, schließlich auf das Maß der zukünftigen Kauf- oder Verkaufsneigung in einer bestimmten Ware oder einem Papier einwirkenden Umstände wird ihm freilich auch bei umfassendster Kenntnis der gegenwärtigen Sachlage stets verborgen bleiben müssen, und es steckt insofern stets ein gewisses hazardartiges Moment (ein Stück Glücksspiel) in dem Versuch, an Zukunftschancen zu profitieren, – allein dies teilt die börsenmäßige Spekulation mit jeder Art des Handels überhaupt. –


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