April 1912
Dame und Maler
Aus der unbestreitbaren und durchaus löblichen Tatsache, daß die Hausfrauen der Bankiers, Engrossisten, kaiserlichen Räte und sonstigen ernsten Berufe eine Abwechslung brauchen; aus der unbestreitbaren, aber sehr traurigen Tatsache, daß es in Europa noch keine Gelegenheit gibt, wo Frauen zwanglos und ohne Gefahr der Erpressung sich das Unentbehrliche verschaffen können: aus solcher Not, die die Natur schafft und die soziale Ordnung nicht befriedigt, und aus der allgemeinen Erkenntnis, daß das Leben kurz sei, ein Jour aber lang und daß man Genüsse und Entschädigungen zusammenraffen muß, wo immer man ihrer billig und ungestört habhaft werden kann — sind die Malerateliers entstanden. Die Gattinnen der ernsten Berufe haben gehört, daß die Besitzer solcher Malerateliers Künstler sind, was sie, selbst wenn sie einen Umhängebart tragen, begehrenswerter macht als jene vielen Zahlmarköre, die noch nie ein Bild gemalt haben. Aber was den Künstlern nicht nur die Weihe gibt oder wie man das Dingsda nennt, sondern auch ein gewisses Etwas, man könnte sogar sagen, ein gewisses Clair-Obscür: das ist wieder der Umstand, daß sie Malerateliers besitzen. Denn was ist ein Genie ohne Atelier neben einem Atelierbesitzer ohne Genie, der dem Interviewer des Neuen Wiener Tagblatts, welches sonst nur Masseusen empfiehlt, erzählen, nein andeuten und sogar verschweigen kann, daß er schon viel erlebt hat! Aber er sagts, wie gesagt, nicht. Er schweigt aus der Werkstatt. So Allgemein-Philosophisches über die Frauenseele, nun da brauchts keine Zurückhaltung, das kann jeder hören. Malermeister, die das Wort ergreifen, sind nebst des Tigers Zahn und dem Menschen in seinem Wahn bekanntlich das Schrecklichste, was es in der Bürgerswelt gibt. Warum sollten wir uns also nicht die Osterfeiertage verschmieren lassen von den Auskünften über das Problem »Dame und Maler«? Es genügt ja nicht, daß die Welt voll des Geistes ist, der auf den Jours der Frau Isolde Schweißhand serviert wird, und daß ein Künstlerhaus voll der Kunst ist, die diesem Geist mit angestrichenen Photographien entgegenkommt. Wir müssen auch darüber aufgeklärt werden, wie solche Schöpfung entsteht. Und braucht der Künstler nicht die Dame so gut, wie die Dame den Künstler? Das tut er, weiß Gott. Denn: den Künstlern gehts zwar besser als früher, hören wir. Sie sind »in die Nähe der Banken verzogen«. Aber »das Publikum hat kein großes Kunstverständnis«, und würde immer »nur alte Bilder« kaufen, wenn nicht — nun, wenn nicht eben die Damen wären. Die wissen, was gut und teuer ist. »Der moderne Künstler hätte das Nachsehen, wenn nicht die Frauen für ihn sorgten, das schöne Geschlecht, dem er im Frack in den Gesellschaften begegnet und die dem Meister der Schönheit beide Hände entgegenstrecken«. Bei solchen Sätzen frage ich mich, warum das Strafgesetz die Brachialgewalt verpönt. Warum es nicht erlaubt sein soll, einen Jour, wo der Meister der Schönheit im Frack erscheint, um seinen Rebbach zu machen, und das schöne Geschlecht ihm beide Hände entgegenstreckt, so daß der Kerl noch ein Vergnügen extra haben wird, während dem verdienenden und erhaltenden Gatten das Blut zu Zucker wird — warum es also nicht erlaubt sein soll, solch eine Gesellschaft, die auf der Basis von Wucher, Snobismus, Geilheit und Talentlosigkeit zustandegekommen ist, mit ein paar Ohrfeigen auseinanderzujagen? »In einem Aufleuchten ihres Auges empfängt er den heißbegehrten Dank für jahrelanges Ringen.« Der Maler nämlich. Er hat ausgerungen und jetzt ist ihm wohl. Der Bankier muß daneben stehn. Er hat ehrlich gestohlen, bis in die sinkende Nacht hinein, und früh muß er dann lesen, daß sie recht hat, wenn sie leuchtet die nichtsnutzige Person ein Skandal vor den Pollitzers sie zerreißen sich sowieso schon das Maul wo doch drei Kinder da sind! Der Bankier hat recht und doch wieder nicht recht. Was sein muß, das muß sein, nur ist es eine Frechheit, daß man es einen Dank für jahrelanges Ringen nennt. Es wird nicht so heiß gerungen, wie verkauft, und Leute, die Anstreicher hätten werden müssen, wenn nicht im Publikum ein unbezähmbarer Drang lebte, Nixen im Rauchzimmer zu haben oder seine Visage ausgestellt zu sehen, solche Lieferanten gehören in die Gesindestube des Hauses. Wenn die Frau zum Hauslehrer schleicht, so kanns Skandal geben, aber es hat wenigstens nichts mit Malerei zu tun. Die Unsittlichkeit in Ehren, aber die Verquickung mit der Kunst ist eine Schweinerei! Ein Maleratelier mag ein sturmfreier Aufenthalt sein, ich bin dafür, es gibt ohnehin zu wenig Separees in der Welt und zu viel Orte, die einen besondern Anstand erfordern. Aber wenn sich ein Blatt erfrecht, ein Atelier und seinen Mieter gratis zu empfehlen, während hinten die armen Steiger, Sucher oder Besitzer von Absteigquartieren nach jahrelangem Ringen schweren Annoncenlohn zahlen müssen, so ist das eine Unsauberkeit sondergleichen. Ja dem Maler gehts gut, er wohnt hoch oben »in der Nachbarschaft der verliebten Katzen und Spatzen«:
Mit vielfacher Anziehungskraft zieht er die Frau an sich. Da ist das mythisch-einsame Atelier, dieser Poetenwinkel, wie ihn nicht einmal die graziöseste und geschmackvollste Dame hervorzuzaubern vermag. Der Maler, bei dem jedes Auge ein geschulter Kunstkenner ist, bringt von seinen weiten Reisen nach der Schönheit eine Fülle von Objekten mit, die ihm gestatten, auch die Spur von Banalem aus seiner Nähe zu verbannen. Ein Zug an den riesigen Vorhängen und —
»Traumdämmerung« wird im Neuen Wiener Tagblatt — merkts euch, freisinnige Wähler — als besonderer Anziehungspunkt gerühmt, die Landschaften, die herumstehen und »Ewigkeit im Gesichte tragen«, sollen den Weibern einheizen und die Kunst — wenn es auch nur die Kunst von Mitgliedern der Künstlergenossenschaft ist, sie heißt dennoch so — die Kunst dient dazu, das Rendezvous behaglich zu machen:
Das ist eine Umgebung, in welcher lockend und jauchzend der Frau das Wort ins Ohr und Herz dringt, das sie am liebsten hört und das ihr zu tausendfacher Bedeutung schwillt, wenn ihr’s der Priester der Grazien sagt: »Du bist schön.«
Hat man schon so etwas erlebt? Ehrliche Pornographen, die die Sache für sich selbst sprechen lassen, werden drangsaliert. Aber die Staffelei als spanische Wand und die Kunst als spanische Fliege — das bleibt ungeschoren. Die Beziehungen einer Prostituierten zu einem Louis würden sich der öffentlichen Anpreisung entziehen, aber die Zeitung darf in Ekstase geraten, wenn es sich darum handelt, daß ein Maler für das Geld eines Bankdirektors zu einem Auftrag und die Hausfrau zu einem Vergnügen kommt.
Daher gehen sie Hand in Hand, unterstützen sie sich gegenseitig, Frau und Maler. Der Künstler, indem er die Schönheit der weiblichen Natur, die Frau, indem sie die Schönheit der Kunst verkündet. Am interessantesten aber ist diese Verbindung, wenn die beiden Faktoren einander unmittelbar gegenübertreten, der Maler seine Kunst der Dame zuwendet.
Ich frage: Dürfte der Gatte dabei sein, wenn der Maler seine Kunst der Dame zuwendet? Dürfte überhaupt jemand dabei sein? Na also. Und es gibt »Ateliers in jeder Aufmachung«. »Professorale, wo das Bild die Hauptsache ist und alles ringsum nur schlichte Ordnung«. Wo das Bild die Hauptsache ist, das nennt der Schmierer der Zeitung nicht künstlerisch, sondern professoral. Freilich, aus jungen Malermeistern, die noch fesch beinand sind, werden alte Mitglieder der Künstlergenossenschaft, deren ausschließliche Tätigkeit dann im Malen besteht. Was halt so der Schmierer Malen nennt. Die Ateliers aber, wo eingestandenermaßen nicht das Bild die Hauptsache ist, sondern das Erlebnis — ohne Erlebnis keine Kunst —, wo aber für das Bild gezahlt wird: was sind denn das für Ateliers? »Heimlich süße, wo vorgesorgt ist für bizarre Möbel, für Blumen und Bonbons, elegante, wo der Geschmack des letzten Tages erlesene Formen hat.« Die gehören also den gschmackigen Malern, jenen, die mit Bonbons malen. Die Unbeteiligten, denen der Eintritt ins Atelier verboten ist, merken es erst an den Bildern. Und dann, hören wir, gibt es noch andere Ateliers: »grobkräftige, in deren Ausstattung die männliche Vollnatur ihren Ausdruck findet«. Denn gewiß gibt es Damen, die wieder so etwas vorziehen. Aber es ist bislang noch nicht erlebt worden, daß so etwas beschrieben wird. Und noch weniger, daß sich Malermeister finden, die sich in die verschiedenen Kategorien von Ateliers placieren lassen und die Belege ihrer Eigenart dem Reporter vorweisen, und die als Bürger anderer Berufe gewiß über das aufgebracht wären, was ihnen die Zeitung aufgebracht hat. Ein professorales Atelier hat zum Beispiel der Professor Angeli, aber auch er wird noch »liebenswürdig« genannt. Der Reporter durfte zusehen, »wie der berühmte Meister sich von seinem getreuen Leibbarbier die Haare mit der Brennschere ein bißchen kräuseln ließ«. Der Meister erzählt, daß die Damen die Sitzungen »als eine Unterhaltung erster Klasse betrachten«. Der Maler erteile ihnen gute Ratschläge in der Toilette, sie lernen »charmante und bedeutende Persönlichkeiten kennen, die das Atelier besuchen« (Namen nennen!), und »der Vormittag werde schön ausgefüllt«, erzählt Angeli. Ob wohl auch Angelo seinen Stolz darin erblickte, den Damen den Vormittag schön auszufüllen? Aber ihm hat dafür auch gewiß keine zugemutet, daß er sie »schöner malen« solle, als sie ist. Angeli gibt zu, daß das bei ihm unaufhörlich vorkommt. Es verdrießt ihn, aber er stellt nicht entschieden genug in Abrede, daß er solchen Wünschen der Kundschaft nachgibt. Unangenehm seien halt die Frauen, die sich für schöner halten, als sie sind. Angeli empfindet dieses Geschlechtsübel als eine Berufsstörung. »Deswegen kam auch eine Dame aus dem exotischen Auslande schön an« — wie, und mußte häßlich abreisen? Nicht doch, sie kam aus dem exotischen Auslande und bei Angeli schön an, weil sie »den Herrn Professor durch einen Fremdenführer« — man denke! — »bitten ließ, sie im Hotel zu besuchen. Der Fremdenführer hatte gleich gemeint, daß der Künstler wohl schwerlich kommen dürfte«. Ein ahnungsvoller Fremdenführer, der sich im Künstlerstolz Angelis auskannte! Angeli kam nicht. »Natürlich kam sie, die wirklich schöne Exotin.« Nun versteht man zwar nicht, was die Eitelkeit der Frauen mit der Unbescheidenheit der Exotinnen zu tun haben soll. Und überdies erscheint die Zumutung nicht ungeheuerlicher als jene, welche die Fremdenführer namens anderer Professoren wieder an die Fremden stellen. Ist es doch bekannt, daß unter den Rufen, die beim Betreten des Nordbahnhofes den distinguierten, aber zuckerkranken Fremden aus Tarnow umgellen: Imperial, Grand Hotel, Metropol, auch die Stimme der Wissenschaft sich zur Geltung bringt. Warum sollte die Gattin des Patienten bei demselben Fremdenführer nicht gleich auch das Anliegen vorbringen, daß ein Professor, der kein Internist ist, sondern mehr aufs schöne Äußere geht, ins Hotel kommen möge? Warum denn nicht? Sie will doch zahlen und kennt sich nicht so aus mit der Kunst wie jener Ästhet aus Breslau, von dem mir einmal geträumt hat, daß er bei der Ankunft den Kutscher fragte: »Ach, wo kann man hier Hodlers sehen?«, worauf ihm die Antwort wurde: »Euer Gnaden wem eh wissen«. Sie interessiert sich nicht für Kunst, sie wollte von Angeli gemalt werden. Weil sie aber schön gemalt werden wollte, tat es Angeli justament nicht. Überhaupt ärgert er sich über die Damen. »Er malt keine Dame mehr im Hut, außer gegen Ehrenwort, daß sie nicht im nächsten Jahre wiederkommen werde, damit ihr der Meister statt des veralteten Hutes im Bilde einen modernen aufsetzen möchte, wie das schon sehr oft vorgekommen ist.« Hat er schon manchmal nachgegeben und ist es ihm endlich zu bunt geworden? Warum denn? Das Publikum schätzt die Kunst ganz richtig ein, und die Künstlerhausleute können sich nach Aufträgen umschaun, wenn sie Manderln machen und nicht einsehen wollen, worauf es den Weiberln ankommt und daß das Bleibende der Hut ist und der Grundsatz l’art pour l’art beiweitem nicht so haltbar wie die Forderung: boeuf à la mode! ... »Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?« Und wer ist der Meister der Schönheit, der mit klarem Blick aus traumdämmerigem Auge erkannt hat, daß man mit solcher Frage das Rätsel der Frauenseele, die ins Atelier kommt, beantworten kann? Wer ist der Kenner, wer meint es so? »So meint es der energische, aber warmherzige und freundliche Meister Rauchinger, bei dem das gewaltige Bärenfell unter dem Tisch eine Falschmeldung ist.« Will er es uns aufbinden? Er ist doch einer von jenen, in deren Atelier die männliche Vollnatur ihren Ausdruck findet? Und gerade darum kennt er die Weiber wie kein anderer. »Er unterscheidet genau zwischen Mädchen und Frauen beim Malen.« Die Frauen sind wohl verheiratet, während die Mädchen zumeist noch unverheiratet sind? Nicht doch. Die Frauen sind die eitleren, den Mädchen dauerts zu lang. Was? Das Sitzen hinter der Staffelei; »sie vertrauen noch ganz ihrer Jugend.« Und warum sind die Frauen die eitleren? »Vielleicht, weil sie die Beteuerung der Männer schon durchblickt haben, daß man vor allem ihre Seele liebt ... Sie werden nicht müde, auf ihre Sonderschönheiten zu verweisen, auf die der Maler nicht genug Wert legen kann. Bei den Sitzungen stellt sich rasch zwischen ihnen und dem Künstler eine rege Seelenfreundschaft heraus.« Der Schwerenöter! »Ihr Geschmack führt sie zu raschem Verständnis der Kunst, der gegenüber sie durchaus nicht prüde sind.« Gehns weg, Sie Schlimmer! Aber er tut, was den Damen beliebt. Hüte zu ändern, hat ihn zwar noch keine gebeten. Aber die Falten wollen sie von ihm weggewischt haben. Ein Gatte hatte das Bild, das ohne Falten gemalt war, zurückgeschickt. Er wünschte Runzeln! »Die Dame weinte die ganze Nacht hindurch, am andern Morgen aber erschien der gute Künstler mit einem tröstenden Öllappen, um in Abwesenheit des Gatten die häßlichen Spuren des Alters wieder wegzuwischen. Die Dame war glücklich ...« Ja, der Öllappen ist gut und ein Meister der Schönheit und versteht von Kunst mehr als der Pinsel. Herr Rauchinger malt mit und ohne Falten, wie die Dame wünscht. Eine aufmerksame Bedienung geizt nicht mit Vorschlägen: »Laßt sich die Dame ein schönes Schnitzerl machen oder ein Ramsteckerl oder ein schönes Ganserl die Dame — könnt ich sehr empfehlen, mehr unterspickt die Dame, vielleicht Mixpickeln dazu?« Und wie verhält sich die Kunst zum Problem der Gesichtspickeln? Nach dem Gebrauche verschwunden. So sehe ich in einem meiner Korsetts mit rationeller Front aus, ohne dasselbe zu fühlen, rief die Dame, als sie das Atelier Angeli verließ. Ihre Büste war voller, als sie von Rauchinger kam. Ich war kahl, rief der zufriedene Gatte, als ihm Adams sein Porträt übergab, jener Meister der Schönheit, der bei den Evas wie kein anderer beliebt ist. Aber trotz der scheinbaren Nachgiebigkeit in Bezug auf den Teint darf man nicht glauben, daß Rauchinger alle Frauenwünsche so ohneweiters effektuiert. Er kann sogar sehr streng sein, und das paßt ihnen nicht immer. »Ein Kommandant gegenüber den Damen ist der Meister mit dem großen künstlerischen Rufe in dem raffinierten Atelier, dessen Schmalwände kostbare Seidengobelins schmücken.« Rauchinger, dieser Kommandant, hat eine Dame »einfach nicht fertiggemalt, weil sie einen Hut und eine Toilette trug, die er sich verbeten hatte«. Nur wegen der Runzeln läßt er halt mit sich reden. Denn er liebt ja doch die Frauen. Sie sind entzückend, »namentlich in ihrer graziösen Neugierde nach der Einrichtung in dem für sie mythischen Atelier«, dessen Schmalwände, wie wir schon wissen, kostbare Seidengobelins schmücken und das dem Meister mit dem großen künstlerischen Ruf gehört. Und wie sind die andern Ateliers? »Nach langer Überlegung eine kurzgefaßte Meinung Schattensteins, der in den Anfängen seines Ruhmes namentlich durch die feine Behandlung des Aktes aufgefallen ist.« Was sagt Schattenstein? »Er könnte die Frage nur von Fall zu Fall entscheiden.« Er wird doch nicht indiskret sein? Beileibe nicht! Aber er ist Frauenkenner und weiß, daß »jede eine Individualität für sich ist und gesondert beurteilt werden muß«. Das würde zu weit führen. »Eine erschöpfende Antwort auf unsere Frage ist ihm als Maler umso weniger möglich, als selbst die gewandtesten Schriftsteller an diesem Problem oft gescheitert sind.« An welche Meister denkt der Meister? An Alexander Engel und Zifferer? An Auernheimer gar? Gibt es denn einen Schattenstein der Feder, der ihm in der Behandlung des Frauenproblems, das da lautet: »Wie sind die Frauen? Die Frauen sind wie«, auch nur die Schuhriemen lösen, oder einen Markör, der ihm in diesem Punkte das Wasser reichen könnte? »Die Frau ist die Unendlichkeit« — sagt er bündig und mit starkem Entschluß — »wenn man sie beschreiben will«. Wie erst, wenn man sie bemalen will, Kunststück! »Am meisten Philosoph aber war vielleicht der Künstler, der die Frage zuerst besprach«, sagt der Interviewer über Schattenstein, aber die Bemerkung ist unergründlich tief wie alles, was der Meister selbst sagt. Von Mädchen hält er nicht viel. Er lächelte ein bißchen. »Als aber die Rede auf die Frauen kam, strich er sich den langen Schnurrbart und schwieg wie ein Massengrab. Bloß die Augen leuchteten in sonniger Erinnerung.« Er leuchtet wie die Dame, als sie dem Meister der Schönheit entgegenkam. Nun, der eine hat einen großen künstlerischen Ruf, der andere einen langen Schnurrbart. Und ein Annoncenbild von »Olla« kann nicht verheißender, nicht gesättigter, nicht überlegener, nicht begehrlicher, nicht wissender, nicht verschwiegener den langen Schnurrbart streichend leuchten, als dieser Maler, und zufriedener auf ein Leben blicken, das schon verflossen ist, und auf eines, das noch kommt. Er schweigt. Er sagt nichts. Er könnte sagen, aber er sagt nichts. Nicht um die Burg. Doch der Ploderer weiß. Denn:
... wer Augen und Ohren hat, wenn er Kunstreisen tut, weiß viel ohne Bestätigung. Sieht so manchen Akt, der nicht von Berufsmodellen stammt, hört von prahlerischer, siegreicher Schönheit, die sich wirklich einen Schneewittchenspiegel schafft, vom Stolz von Müttern, die im Weiheraum des Malers viel gestatten, und herrlichen Szenen, wenn Natur und Kunst einander gegenübertreten, um einander an Schönheit zu überbieten und eins dem andern Echo zu sein bei einem keuschen Frühlingsfest, während sich vor dem profanen Auge hermetische Schleier senken.
Und das, was sie da erlebt haben, was sie getan haben als sie es malten, erzählen die Meister der Schönheit hinterdrein den Reportern! So im Stolz der Affenschande, so in Farbenschmelz und Phrasenschmalz getaucht, so in Frechheit und Geilheit glänzend, haben sich zu Ostern Kunst und Leben zu neuer Weltschöpfung gepaart, vor einer bewundernden Leserschaft, die, wenns so weiter geht, kein Leviathan in den Rachen nimmt und der Ozean lebendig ans Land würfe, wenn ein Eisberg das Unglück hätte, mit solcher Menschenfracht zusammenzustoßen!
Vgl.: Die Fackel, Nr. 347/348, XIV. Jahr
Wien, 27. April 1912.