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April 1911

Plan einer Razzia auf Literarhistoriker

Historiker sind Leute, die zu schlecht schreiben, um an einem Tagesblatt mitarbeiten zu können. Schreibt einer von ihnen so gut, daß er an einem Tagesblatt mitarbeiten kann, so entsteht eine Sensation in den Kreisen der Historiker und der Journalisten, indem sich zwar keiner über die minderentsprechenden Sitten beklagt, aber die Journalisten über den Fleiß und die Historiker über die äußere Form der schriftlichen Arbeiten staunen. Ein rechter Ausgleich zwischen Hand und Hintern ermöglicht so den »Kampf um die Vorherrschaft«. Dem Problem Friedjung, dem ins Archiv verschlagenen Leitartikler, verwandt ist das Problem Harden, der in den Leitartikel verschlagene Archivar, nur daß dort die Annäherung zweier geistigen Ebenen erreicht ist, während hier ein Abgrund klafft, den ein schwitzender Tourist emporklimmt, um auf die Höhe seiner Fläche zu gelangen. Wenn Journalisten Leute sind, die ihren Beruf verfehlt haben, so haben sie immerhin einen Beruf erreicht, den die Historiker verfehlt haben. Vollends jene unter diesen, die an der literarischen Entwicklung schmarotzen, führen ein unnützes und ärgerliches Dasein. Sollte ich irgendeinmal in den Zustand einer Narkose gelangen, die mich stumpf gegen die Eindrücke des Tages macht und taub vor den Motiven, mit denen ein Zeitungsblatt auf mich eindringt, ja die bloße Vorstellung eines solchen, so gebe ich das Versprechen, daß ich mich nur noch von den Reportern der Historie anregen lassen und die Seminare so gründlich heimsuchen werde wie bis nun die Redaktionen. Traun, da werden Verwandtschaften zutage kommen, von denen man noch keine Ahnung gehabt hat, und es wird ein neues Erlebnis sein, mit germanistischer Lückenlosigkeit die verschiedenen Lesarten derselben Nullität darzustellen. Es wäre nicht unklug, wenn vor der Razzia auf Literaturprofessoren, die ich vorhabe, die Redaktionen rechtzeitig ihren Bedarf decken wollten; denn wenn ich erst einmal die Kathederjournalisten, die da in die Nachwelt hineinstinken, mit nassen Fetzen dorthin jage, wohin sie gehören, in den lokalen Teil, dann könnte ein solches Gedränge in den Redaktionen entstehen, daß der Tagesbetrieb gestört wäre, was beim Publikum, dem die Interessen der Ewigkeit ohnehin etwas fern liegen, einige Beunruhigung hervorrufen möchte. Bis dahin ergötze mich der Typus des literarhistorischen Schmocks, den die Tagespresse schon hat, von Fall zu Fall. Der, den sie noch nicht hat, kommt hinein, das verspreche ich ihm. Aus Fiakern werden Chauffeure, und war es noch voriges Jahr eine Drohung, dem roßbewußten Kutscher zuzurufen, er werde noch einmal ein Automobil lenken müssen, so habe ich es unlängst erlebt, daß mir ein Chauffeur, dem ich wegen Unbotmäßigkeit die Rückverwandlung in einen Fiaker androhte, die Worte zurief: »Dös wern Sö not derieben!« Es gibt Kantianer, denen ich es prophezeie, daß sie noch als Warenbörseberichterstatter enden werden, und es gibt Schillerbiographen, denen ein Varietereferat dringend nötig wäre und nur die Gelegenheit, nicht die Fähigkeit dazu fehlt. Gelingt’s einmal, werden sie gar nicht mehr zurück wollen. Literaturgeschichte ist die Unfähigkeit zum Journalismus, aber wenn der Mensch Glück und etwas Ausdauer hat, so kann er es auch in einem schweren Beruf zu etwas bringen.

Vgl.: Die Fackel, Nr. 321/322, XIII. Jahr
Wien, 29. April 1911.

Februar 1912

Auch mir blüht der unmittelbare, der praktische Erfolg. Den Journalisten deckt die Institution. Dort ist nur ein allgemeiner Ekel groß zu ziehen, freilich so groß, daß die übernächste Generation, wenns eine gibt, mit ihm zur Welt kommen wird. Das werde ich erreichen! Aber solange ich diese Schweine schlachte, wachsen sie nach. Da ist nicht mehr zu wollen. Den Journalisten deckt die Institution, schlage ich ihm das miserable Ich kaputt, flüchtet er in das sichere Wir, dort kann ihm nichts geschehn, und um den Betrieb zum Stillstand zu bringen, müßte ich schon eine Bande organisieren, die dem geistigen Wink mit der Tat gehorchte. Oft gelüstet’s mich. Eine Osternummer zu verhindern, wäre mein Traum. Für ein Sonntagsliteraturblatt, das man mir lebend liefert, würde ich eine Woche lang hungern. Oft denke ich mir, noch ist es Zeit, in ein paar Stunden wird gedruckt, wer jetzt hinginge und ihnen in den Arm fiele — sie überlegten sich’s vielleicht. Ich bin überzeugt, daß der ganze Schweinekoben durch einen rauhen Zuruf einzuschüchtern ist. Vor dem gedruckten Wort fürchten sie sich nicht, den Schwindel kennen sie — aber wer sie persönlich anriefe: Was fällt euch denn ein, ihr Steißgeburten der Empuse? Hand weg vom Geist, ihr Bankerte, erschaffen im Übersatz der Natur! Klöße aus Druckerschwärze! Ebenbilder eines Satans, der täglich zweimal das Abweichen hatte, was fällt euch ein? — wer so spräche, ich glaube, der hätte gewonnenes Spiel. Wer’s nur aufschreibt, kann ihnen nicht schaden. Sie lachen über den Witz und stinken mehr. Es macht ihnen Reklame, es hilft ihnen zur Karriere. Sie stinken harmonisch mit der Zeit —: ich kann nur über die Generation hinaus wirken. Anders die Schapseln der Unsterblichkeit, die Literarhistoriker. Die sind noch Stück für Stück abzutöten. Hier läßt sich Schrecken verbreiten. Hier kann man noch auf die Herren Eltern einwirken, die es sich zehnmal überlegen werden, ehe sie den Jungen das unsaubere Handwerk ergreifen lassen. Hier habe ich die nervenschmeichelnde Hoffnung auf den unmittelbaren, den praktischen Erfolg. Schließlich braucht unsereiner zu Zeiten auch so was. Ich nehme sie alle einzeln vor und bin meiner Sache sicher. Ich bin entschlossen, die Dezimierung der Literaturgeschichte erbarmungslos binnen kurzem zu vollziehen. Versteht sich, ich will nicht, daß die Professoren brotlos werden. Sie haben nur aufzuhören, vom Blut der Künstler zu leben. Wenn sie Diurnisten werden wollen, lege ich ihnen kein Hindernis in den Weg, und es ist mir nur erwünscht, wenn sie dann den Beruf verfehlen und Journalisten werden. In dieses Gebiet unendlicher Nichtigkeit peitsche ich sie mit Lust! Es macht mich ja so nervös, daß ich die ganze Gesellschaft nicht auf einem Misthaufen beisammen habe. Es zersplittert mich. Wenn alles, was sich heute irgendwie erfrecht, Hand an den Geist zu legen, Journalist geworden sein wird, dann wird mich die Welt weniger ermüden. Und dann gehe ich weiter. Dann bring’ ich sie alle in die Neue Freie Presse. Es soll nur diese geben! Alle andern sind überflüssig, tun zum Weltbild nichts Neues oder verwirren es. Es soll nichts sein außer der Neuen Freien Presse. Dann werde ich am siebenten Tage ruhen können.

Vgl.: Die Fackel, Nr. 343/344, XIII. Jahr
Wien, 29. Februar 1912.