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Dezember 1909

Druck und Nachdruck

Nachdruck nur ohne Quellenangabe gestattet!

Im Vertrauen darauf, daß die zeitgenössische Publizistik ohnehin nicht mehr den Mut, die Fackel zu zitieren, und nur noch die Lust, sie zu bestehlen, aufbringen werde, habe ich kürzlich bei der Neuanordnung des Titelblattes auf das Nachdrucksverbot verzichtet. Auf dem Umschlag des vorliegenden Heftes ist es wieder zu lesen. Denn jetzt erst sehe ich, wie notwendig es war. Ein Ausschnittbureau sendet mir nämlich einige Nachdrucke, durch die mir angezeigt wird, daß mein Eigentum nicht gestohlen, sondern verunreinigt ist. Endgültig gebe man es auf, Respekt vor dem Gedanken zu verlangen, erkenne man, daß mehr als der Beifall für die Meinung auf dem heutigen Leserniveau nicht zu erreichen ist. Nun ist es ja nicht mehr unbekannt, daß ich gerade darauf und auf nichts lieber verzichte in einer durch und durch journalisierten Zeit, der der Geist zur Information dient und die taube Ohren hat für den Einklang von Inhalt und Form. Sie unterscheidet »schreiben können« von »recht haben«, versichert, »zwar nicht mit allem einverstanden zu sein, aber ...«, und hat keine Ahnung von der geheimnisvollen Unmöglichkeit, das, worin ich »recht habe«, anders als eben so zu sagen, wie ich es sage, und darin, wie ich es sage, etwas anderes haben zu können, als Recht. Sie glaubt, es handle sich vorweg um den Inhalt und hinterher komme noch eine Forderung ästhetischer Sauberkeit. Wenn ich ihr sagte, daß ich an drei Seiten eine Stunde und an einer Zeile drei Tage arbeite, diese sprachverlassene Zeit würde es unverständlich finden. Und wenn ich ihr verriete, daß ich um einer Konjunktion willen, die mir während des Druckes zu mißfallen beginnt, die halbe Auflage vernichten lasse, so würde sie sagen, dies sei närrisch, denn sie, auf die es doch ankomme, bemerke den Unterschied sowieso nicht, und ich solle Zeit und Geld an populärere Bestrebungen wenden.

Nun kann man freilich über religiöse Angelegenheiten nicht streiten, und die Zeit muß sich damit abfinden, daß einer, der sich als einen Todfeind des Ästhetentums gibt, das Geheimnis eines Doppelpunkts für wichtiger hält als die Probleme der Nationalökonomie. Wir können darüber nicht streiten, ob der Schöpfer oder der Nützer dem heiligen Geist näher steht; ob es auf den Umfang des Schöpferischen ankommt und ob nicht in der Wonne sprachlicher Zeugung aus dem Chaos eine Welt wird. Aber ich will zugeben, daß der Priester des eigenen Glaubens an den eigenen Gott es am schwersten hat, und es kann sein, daß ich unter allen Autoren, von denen sich der Leser bedienen läßt, der weitaus größte Betrüger bin: das Publikum dankt mir für Brot und ich sage hinterdrein, daß es Steine waren. Wenn ich jemand an meinen Schreibtisch ließe und ihm die Zumutungen zeigte, die mir die Post eines Tages bringt, er würde über die Zähigkeit staunen, die hier an einen Bäckerladen pocht und sich jahraus jahrein mit einer altbackenen Illusion zufrieden gibt. Kein Hund nähme mehr einen Bissen von mir, wenn er wüßte, wie unverdaulich er ist. Eine groteske Erscheinung dieser unbeirrbare Glaube an den Inhalt! Weil »Zyankali« drauf steht, fressen sie’s und holen es noch aus der Tabaktrafik. Ich lechze nach dem Zeitpunkt, wo man mir auf die Inkongruenz zwischen mir und meinen Stoffen, mir und meinen Aktualitäten, mir und meiner Verbreitung kommen und mich der Ehre überheben wird, zwischen Trabukkos, Staatslotterielosen, Revolverblättern und Ansichtskarten Aphorismen anzubieten. Bis dahin wirds noch manchmal heißen: Wo er recht hat, hat er recht. Ich falle der Entwicklung nicht in den Arm. Die Kenner, die solches Zögern von einer geschäftlichen Raison ableiten — aber wenn ich ihnen sage, daß ich einige Tausend Bogen um eines Wortes willen zerstören lasse, mit der Fabel kommen, daß ich mir’s eben leisten könne —, sie sollen auch leben. Inzwischen, bis einmal die Geschichte der Fackel von reinerer Hand geschrieben wird, will ich wenigstens dafür sorgen, daß ihr geistiges Bild nicht entstellt werde.

Es geschieht durch ein niederträchtiges System des Nachdrucks, dem ich hiermit den Riegel vorschiebe. Ich habe nichts dagegen, daß man Publikationen, die ich heute unpubliziert wünschte, mit dem richtigen Datum zitiert. Auch was ich verwerfe, gehört zu mir, und ich bin nicht imstande, irgend etwas zu bereuen, was mir heute als Sünde erscheint. Was aus den ersten Jahren der Fackel aufhebenswert ist, kommt in meine Bücher; trotzdem räume ich jedem das Recht ein, mir Irrtümer, Fehler, Widersprüche, so sehr er Lust hat, vorzuhalten. Aber ich gestatte keinem, eine Äußerung von heute in wohlwollendster Absicht zu zitieren, wenn er sich nicht verpflichtet, an die Kontrolle des Nachdrucks wenigstens den hundertsten Teil der Sorgfalt zu wenden, die ich an die Kontrolle des Drucks gewendet habe. Diese Mahnung geht alle an, die mir eine ihnen bequeme Meinung abknöpfen wollen und den Nachdruck mit jener Einleitung versehen, die mich sofort zur entgegengesetzten Meinung hinreißen könnte: »Mit Recht bemerkt der bekannte Herausgeber der ›Fackel‹«. Wenn der Unfug schon geduldet werden soll, so müßte wenigstens der Text, der selbst nach solcher Einleitung seinen künstlerischen Ursprung behaupten könnte, unverändert dastehen. Sie nehmen aber, was ihnen paßt, und markieren die Auslassungen nicht einmal durch Punktreihen. Welchem organischen Ganzen der Teil entrissen war, ist dann nicht mehr zu erkennen. Daß man durch Streichung eine Plattheit in einen Gedanken, aber auch einen Gedanken in eine Plattheit verwandeln kann, verstehen diese sprachverlassenen Meinungssucher nicht. Und sie unterlassen ein Übriges: sie sehen auch nicht nach, wie der Setzer ihr Flickwerk zugerichtet hat. In einer deutschen Monatsschrift, die von einer Dame redigiert wird, ist jeder Satz, mit dem ich angeblich recht habe, verstümmelt oder in sein Gegenteil verkehrt. Daß durch Weglassung der Anführungszeichen in einer Stelle, die noch ein zweitesmal vorkommt, statt einer Wirkung nur eine Wiederholung bewirkt wurde, dafür muß ein Setzer kein Verständnis haben. Aber ein Redakteur, der’s auch nicht hat, kennt nicht einmal die Pflicht, dort eine mechanische Kontrolle zu üben, wo ein Anderer gedacht hat. Die Dreistigkeit eines Versuchs, mich zu redigieren, würde ich nicht unverzeihlicher finden als die grundsätzliche Nichtachtung vor geistiger Arbeit, die in der sorglosen Preisgabe an die Gefahren des Druckes gelegen ist. Ich halte die eigene Maschine auf und zwinge sie, meinen Launen zu dienen, und nach Tagen und Nächten solchen in den Schlaf fortgesetzten Kampfes, solchen auch am fertigen Werk noch wirkenden, nie beruhigten Zweifels, kommt ein an derer, der meine Meinung teilt, und opfert mich einer Maschine auf, die mir unerreichbar ist. Ich habe der Zeitschrift, die es mir angetan hat, eine Berichtigung geschickt. Aber ich habe nicht Lust, in den Druckereien Deutschlands und Österreichs die Arbeit zu verrichten, die mich in einer einzigen kaputt macht. Ein christlichsoziales Tagblatt, das seine Kerzelweiber mit Zitaten aus einer Fackel erfreuen zu müssen glaubt, hat meine Sprache in seine Sprache glatt übersetzt. Hier handelt es sich nicht um Verstöße gegen Stil und satirische Absicht, die ein sorgloser Nachdruck mit sich bringt, sondern um Vorstöße gegen die Grammatik, die ich nicht so schmerzlich empfände, wenn sie nicht eigens für das Fassungsvermögen der Leserschaft berechnet zu sein schienen. Wollte ich den Nachdruck nachdrucken, man würde es nicht für möglich halten, daß ein so lesbares Manuskript, wie es die Seiten einer Zeitschrift ergeben, in einer Druckerei solchen Verheerungen ausgesetzt sein kann. Selbst die Volltrunkenheit des Setzers könnte sie nicht erklären. Bleibt nur die Annahme, daß in christlichsozialen Druckereien ein nüchterner Korrektor angestellt ist, der darüber zu wachen hat, daß nichts Deutsches durchrutscht. Aus der »Behörde, die jetzt den Fall übernommen hat und die durch Tradition und ein veraltetes Gesetz vor den Verlockungen der Reklame geschützt ist« werden »Behörden, die jetzt den Fall übernommen haben und die durch die Tradition und einem veralteten Gesetz vor den Verfolgungen der Reklame geschützt ist«. Eine Person, die »unweit dem Verdachtskreis« wirkt, ist jetzt eine, die »unweit des Verdachtskreises« wirkt. Hat sie »dem Hauptmann Mader ein zweites Opfer gesellt und in der entfachten Sensation die eigene Spur verwischt«? Nein, sie hat ihm »ein zweites Opfer gestellt, deren entfachte Sensation die eigene Spur verwischt hat«. »Es ist doch wahrscheinlicher, daß als daß« gilt nicht; sondern: »Es ist jedoch wahrscheinlich, daß ... als daß ....«. Ein »zurechtgelegtes Alibi«? Nein, ein »zusammengelegtes«. Gegen die Schuld Hofrichters sollte »die unwahrscheinliche Dummheit« sprechen, »mit seinem notorischen Handwerkszeug einen Giftmord zu verüben und zu hoffen, daß er dem Verdacht durch Harmlosigkeit begegnen könne«. Jetzt heißt es: »Gegen die Schuld H.‹s spricht die unwahrscheinliche Dummheit, mit einem notorischen Handwerkszeug ist nicht Giftmord zu verüben und zu hoffen, daß er den Verdacht.. begegnen könne«. Und an der Spitze die ärgste aller Entstellungen: »Die ›Fackel‹ schreibt«.

Aber sie hat für dieses Pack zu schreiben aufgehört. Von jetzt an ist nur noch das Stehlen erlaubt. Da wird vielleicht auch etwas mehr Sorgfalt auf den Druck verwendet werden, und wenn nicht, so fällts nicht auf mich zurück. Deutschland ist das Land jener Dichter und Denker, die es nicht verhindern können, daß sie dreißig Jahre nach ihrem Tod von den Dummköpfen verhunzt werden. Aber bei Lebzeiten können sie sich wehren. Ein Berliner Sudelblatt, das sich erst kürzlich wegen Erpressung verantworten mußte, kompromittiert sich ganz unnötigerweise durch Zitierung der Fackel. Nur hin und wieder geniert es sich und stiehlt. Es müßte konsequenter sein. Einigen wir uns darauf: Nachdruck nur ohne Quellenangabe gestattet.

Vgl.: Die Fackel, Nr. 293, XI. Jahr
Wien, Ende Dezember 1909.