Zum Hauptinhalt springen

Januar 1917

Es ist alles da

Von allen Beweisen dieser sonderbaren Geistesformation, die »Alldarin« erfindet und aus dem Leben ein »Eintopfgericht« gemacht hat, in dem Schokolade nicht nur mit Knofel, sondern auch mit der Diana und mit dem Krieg gemengt ist, Antinikotin mit der Glorie, Odol mit Idol, die Ware mit dem Wunder, das Lebensmittel mit dem Lebenszweck — habe ich endlich den tüchtigsten ausfindig gemacht. Mir wird eine unscheinbare Broschüre ins Haus geschickt:

Bratbüchlein

für

Rost- und Pfannengerichte

zum Braten auf der ges. gesch.

ROSTPFANNE »OBU«

verfaßt von

Hedwig Heyl

Ehrenvorsitzende der Zentrale des Hausfrauen-Vereins »Groß-Berlin«

Verlag von

W. Aletter, Steglitz,

dem Erfinder der »Obu«-Rostpfanne und des »Heinzelmännchen«-Koch-, Brat- und Backapparates.

Das wäre ja von außen nichts weiter als ein Zeichen der großen Zeit, die sich nach der Decke strecken muß. Wiewohl »Obu« mit der nachfolgenden Erklärung: »Ohne Butter« schon recht bedenklich ist und die Bezeichnung eines »›Heinzelmännchen‹- Koch-, Brat- und Backapparates« einem das Durchhalten im Märchenwald verleiden könnte. Aber auf solche Dinge ist man gefaßt und man blättert in der Hoffnung, doch was Praktisches hinter dem Ornament zuzulernen, getrost um. Da erblickt man:

Wilhelm Aletter

Wilhelm Aletter

Komponist und Erfinder

geb. in Bad-Nauheim, den 25. Januar 1867.

Schön. Oder vielmehr: zum Sprechen ähnlich. Es gibt, das wissen wir hinlänglich, ein »österreichisches Antlitz«. Aber da muß man immer noch feuilletonistisch etwas dazu sagen. Hier schweigt man, denkt sich: So siehste aus, und fragt sich: Haste Worte? Es ist all darin. Hätte man es nur mit Obu schlechtweg zu tun, so glaubte man, es mit armen Leuten zu tun zu haben, die bekanntlich mit Wasser kochen. Aber das ist nicht so wie bei armen Leuten. Es ist alles da. Es ist nicht in der Art der Wiener Persönlichkeiten, die, wenn sie Glück haben und Kaffeesieder sind, schon bei Lebzeiten ihr Denkmal haben, indem sie ihr eigenes Relief an ihr eigenes Haus heften und abendlich illuminieren. Sondern es ist wirklich ein Künstler nebstdem daß er die Bratpfanne erfunden hat. Solche Kombination ist eben der dort landesübliche Reiz. Und nun liest man das »Vorwort des Erfinders«, in dem es wieder ganz sachlich zugeht. Man liest nüchterne Worte wie: Hammelkeule, auf dem Rost gebraten, Heißluftpfanne, Bestreichen, Kartoffelpuffer und freilich auch »Soße«; man liest Kochrezepte; man findet es praktisch; man nehme — nun natürlich den Erfinder und dazu den Komponisten. Denn jetzt heißt es wörtlich:

Ich selbst bin von Beruf Komponist und verstehe von der edlen Kochkunst nur so viel, als das, was man in jedem bürgerlichen Haushalte wissen muß. Deshalb wäre ich meinen verehrten Gönnern, die sich für meine Rostpfanne Obu und meine anderen Erfindungen interessieren und mit ihren Leistungen zufrieden sind, sehr dankbar, wenn sie mir recht viele in diesem Büchlein nicht vorhandene Kochvorschriften oder andere Anregungen und Verbesserungen geben würden. Im voraus besten Dank. Jeder Einsender eines neuen, noch nicht veröffentlichten Kochrezepts erhält eine meiner Kompositionen gratis mit eigenhändiger Widmung. Es ist nur anzugeben, ob die Stücke in leichtem oder ernstem Stile gehalten sein sollen. Ebenso bei Liedern die Stimmlage, bei Klavierstücken der Schwierigkeitsgrad. Es ist alles da.

Also wirklich. Es ist alles da, es ist nicht so wie bei armen Leuten. Wie ist aber für Nichtmusikalische vorgesorgt, die doch auch leben wollen?

Nichtmusikalische, die für Musikstücke keine Verwendung haben, erhalten als Ersatz eine Pfanne gratis.

Ehedem war Margarine ein Ersatz für Butter, dann war Obu ein Ersatz für Margarine, später war Musik ein Ersatz für Obu und zuletzt ist Obu ein Ersatz für Musik. Die Frage entsteht nun, ob es Musikbutter oder Musikmargarine ist, also Kunstbutter oder Kunstmargarine, auf deutsch Kunstkunstbutter. Auch darauf wird uns Antwort. Richard Wagner hat, wohl auch der bekömmlichen Idee zuliebe, daß der deutsche Geist Musik, Poesie und leider auch Philosophie in Einem durchhalten solle, das Gesamtkunstwerk erfunden, Aletter der Kochtonkünstler, der doch nicht so viel Künste, wenngleich noch mehr auseinanderstrebende, vereinigen will, glaubt sich vor Nachahmungen schützen zu müssen und schließt das »Vorwort des Erfinders«, ehe er der praktischen Hedwig Heyl zuerst wieder ein Vorwort und hierauf das Wort erteilt, wie folgt:

... Um sich vor Nachahmungen zu schützen, achte man besonders darauf, daß die »Obu«-Rostpfanne einen herausnehmbaren Rost hat und das Fleisch vor und während des Bratens nicht mit Wasser bepinselt werden muß, wie bei den sogenannten Heißluftpfannen.

Ergebenst

W. Aletter

Komponist des Liedes »Ach könnt’ ich noch einmal so lieben«, der »Rokoko-Gavotte« u.a.m.

Steglitz, im Februar 1916.

Es ist alles da. Es war das Lied, das in Zeiten, in denen es noch kein Obu gab, in Sonderzimmern (Chambres separées) von jenen gesungen wurde, die den Wunsch weniger in Hinblick auf die Vergangenheit als auf die Gegenwart seufzten. Die Zeit ist vorbei. Sie war so klein wie das Zimmer, in dem sie vertrieben wurde, aber das Essen dort war nicht auf Obu angewiesen. Nestroy sagt: »Mein Haus ist nicht groß, aber dafür ist es klein und nett.« Die Zeit, in der es keine Rokoko-Gavotten mehr gibt, nicht einmal solche aus Steglitz, wohl aber Rostpfanne und Rokoko- Gavotte zugleich und eins für das andere, ist nicht klein, dafür aber groß und grauslich. Es ist alles da, was aus dem Nichts kommt, und also viel weniger als damals, wo Aletter noch nicht unter die Erfinder gegangen war. Ach, könnt’ ich noch einmal so leben. Und es kommt die Zeit, wo die Zeit selbst ergänzen wird: — und leben lassen! Und dann reibt sie sich die Augen und sieht, daß nicht mehr alles da ist. Und hat einen Klang im Ohr: Aletter — Aletter — oh, ein verdeutschtes Fremdwort vom Kriege her, ein Schorlemorle, das von Toujours l’amour kommt — man tanzt eine Gavotte und es ist eine Allemande — All-être, à l’être, à la guerre, à l’être comme à l’être — o Infinitiv, o unendliche Melodie!

Vgl.: Die Fackel, Nr. 445-453, XVIII. Jahr
Wien, 18. Januar 1917.