August 1917
Franz Grüner
ist, dreißig Jahre alt, aus dem Leben gerissen worden, durch einen jener vollkommen wirksamen Zufalle, die das menschliche Ingenium erfunden hat, um seine Opfer auch nicht mehr begraben zu müssen. Es ist an der Südwestfront geschehen, wo er als Leutnant beschäftigt war. Der ursprünglich von ihm gewählte Beruf war der eines Kunstforschers. Lesern der Fackel ist er als Autor eines kritischen Beitrags im Gedächtnis, aus jener Zeit, da sie Mitarbeiter hatte und nicht allzu viele, deren persönlicher Wert sich auch späterhin haltbar erwies. Er war einer der wenigen, denen es gegeben war, die Farbe zu sehen und das Wort zu hören, und dabei den eigenen Menschen zu bewahren. Aus einem treuen Verstand zu allen Himmeln emporgewendet, war seine Haltung vor der Kunst Andacht und Wissenschaft in einem Zug. So sachlich hingerissen, war er die Ausnahme einer Generation, die um das Licht schwärmt, ehe sie ins eigene Zwielicht eingeht. Wie lebhaft konnte er zuhören und wie still davon sprechen! Da sein von Güte und Klarheit auf den Geist gerichtetes Wesen ein Trost meines Lebens war, so kann mir selbst die Vorstellung, daß er für eine allgemeinere Sache gestorben ist, keinen Ersatz gewähren. Im Gegenteil werde ich dieses Jünglingslächeln, das viel weiser als mein Zorn allem Widersinn entgegnete, gerade zu dem Ereignis entbehren, das mir ihn entrückt hat, und zu dem absurden Zufall, der ihn nicht wiederkehren läßt, und wie erst zu dem Weltbetrug, solches einen Heldentod zu nennen und dessen Anwärter nach einem im Geist zufriedenen Leben mit dem Zeugnis der »Schneid« zu entlassen. Nun, da die Italienreise eines jungen Kunstgelehrten so zeitgemäß beendet ist, bleibt mir nichts als der Wunsch, dieses lebendige Leben von einer irdischen Ordnung zurückzufordern, deren Unmündigkeit sich des schwersten Eingriffs in überirdische Rechte allzulange schuldig macht. An der Unmöglichkeit der Erfüllung wächst der Wunsch ins Grenzenlose und an der hoffnungslos trauernden Liebe nährt sich der Abscheu vor einer Gegenwart, die ihr solches antun konnte. Was mit den Mitteln der geistigen Macht gegen sie unternommen werden kann, soll geschehen! Denn Gott ist von ihren Taten noch nicht so in Abrede gestellt, daß er nicht auch dem Gedanken seine Volltreffer ließe.
Vgl.: Die Fackel, Nr. 462-471, XIX. Jahr
Wien, 9. Oktober 1917.