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Differentialarbeit des Gehirns

Ganz von ferne möchte ich es nun doch wagen, auf einen Zusammenhang hinzuweisen, der vielleicht einmal in besseren Köpfen auf den Weg zu einer Lösung des Widerspruchs leiten könnte. Die Anschauung der neueren Naturwissenschaft, die sich die Entwicklung durch unendlich kleine Differenzen und durch unendlich große Zeiträume als möglich vorstellt, sollte auch auf die Physiologie des Gehirns übertragen werden. Denken wir uns die Lücken zwischen den ungleichen Sinneseindrücken, die das Gedächtnis zu einer Vorstellung verbindet, ausgefüllt durch eine unendliche Reihe unendlich wenig verschiedener Vorstellungen, so wird es offenbar, wie vermessen es war, das Menschenwort Fehler auf einen Naturvorgang anzuwenden. Auch diejenige Bahn eines Körpers, die wir eine Ellipse nennen, schien unregelmäßig zu sein, bevor man die Ellipse als eine gesetzmäßige Linie erkannt hatte. Und auch jetzt noch ist es doch nur eine plumpe Ausdrucksweise der Mathematik, wenn sie die elliptische Bahn als die Resultierende zweier ungleichen Kräfte (als die Funktion zweier Variablen) auffaßt, beschreibt und erklärt. Die mathematische Mechanik arbeitet ja nur aus Bequemlichkeit so gern mit geraden Richtungen. In der Natur ist auch die elliptische Bahn eine Richtung, sie ist es auch in jedem ihrer unendlich kleinen Teile, wie sich darum auch ihre Richtung aus einem unendlich kleinen Teile erkennen und bestimmen ließe. So ist es auch vielleicht nur ein plumper Ausdruck unserer Sprache, wenn wir dem Gedächtnis vorwerfen, daß es die Resultierende ziehe aus ungleichen Sinneseindrücken. Vielleicht ist der Weg des Gedächtnisses der beste und richtigste Weg, nur daß wir seine Gesetze nicht kennen. Wie sollten wir aber auch die Differentialarbeit des Gehirns verstehen, die mikroskopischen Wege des Gedächtnisses, wo wir von seinen Wegen selbst makroskopisch noch kaum mehr als dunkle Ahnungen haben? Und wie sollten wir verstehen, daß die Natur praktisch integrieren kann, ohne Mathematik zu treiben, ja ohne rechnen zu können?