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Ideenassoziationen Einübung

Wir wollen diesen Fehler unserer wissenschaftlichen Sprache noch an einem anderen Beispiele aufzeigen, an dem Verhältnisse zwischen der Ideenassoziation und der Einübung. Jedes Schulkind kennt die Erscheinung und jede Amme wendet das Gesetz an: daß oft wiederholte Einübung bestimmte Ideenassoziationen fest macht, wobei dann der Begriffsunterschied zwischen Gedächtnis und Ideenassoziation ganz aufhört. Mag ein Schulkind das aufgegebene Gedicht noch so mechanisch lesen, liest es die Verse nur oft genug, so wird es die Reihenfolge der Worte für Jahre hinaus, vielleicht bis an sein Lebensende unverrückbar behalten. Noch passiver vollzieht das Kind zwischen ein und zwei Jahren durch wiederholtes Anhören die Ideenassoziation zwischen einem Worte und einer Sache. Es kann keine Frage sein, daß da die Einübung die Ursache der Assoziation ist. Richtet aber der Schulknabe seine Aufmerksamkeit auf sein Pensum, so wird er beim Lernen von Gedichten, von mathematischen Sätzen, von historischen Daten die Einübung umso schneller bewirken, je mehr Assoziationen er zwischen den aufeinanderfolgenden Worten, mathematischen Formeln, historischen Tatsachen findet. Es wird also hier die Assoziation zur Ursache der Einübung werden. Und damit auch die dritte Möglichkeit im Verhältnisse zwischen Assoziation und Einübung nicht fehle, kann man auch die Assoziation oder Vergesellschaftung als ein geistiges Handeln, als eine Tätigkeit auffassen und sie der Tätigkeit der Einübung ganz gleich setzen. So viel scheint aber aus dem Gesagten hervorzugehen, daß der Sprachgebrauch dazu neigt, die Assoziation im Anfange der Entwicklung mehr als Ursache, im Verlaufe der Entwicklung mehr als Wirkung aufzufassen. So mag man auch das Verhältnis zwischen Assoziation und Sprache verstehen; ohne dem Sprachgebrauche Gewalt anzutun, könnte man etwa sagen, daß die Worte im Anfange der Entwicklung durch Assoziationen entstanden, daß auf unserer mittleren Entwicklung die Assoziationen durch Worte entstehen.

An diesem Punkte der Untersuchung kann ich schon auf einen Dienst von besonderer Tragweite hinweisen, den unser Denken dadurch erhält, daß es Sprache ist und daß die Worte der Sprache Assoziationen sind, und ich kümmere mich dabei nicht im mindesten darum, daß vor einer konsequenten Sprachkritik keines der eben ausgesprochenen Worte bestehen könnte, daß insbesondere das Wort "Dienst" einen teleologischen und beinahe theologischen Beigeschmack hat. Ist doch unsere Sprache durch und durch vergottet; und verstummen müßte, wer sich vor dieser Flamme scheute. Dieser Dienst aber besteht darin, daß die Einübung unseres Wissens unaufhörlich und in ungeahntem Maße unbewußt durch den Gebrauch der Sprachzeichen vor sich geht. Es ist dabei einerlei, ob einer wie Shakespeare oder Bismarck zehn- bis zwanzigtausend Worte in seinem Sprachschatze besitzt oder ob einer nur über ein Vermögen von zwei- bis fünfhundert Worten verfügt; es ist ferner einerlei, ob diese Worte von ihrem Besitzer sprechend oder schreibend ausgegeben werden oder ob sie ihm nur so durch die Gedanken fahren. Je nach der Lebhaftigkeit seiner Phantasie erregt jeder innere oder äußere Gebrauch jedes Wortes jedesmal eine kürzere oder längere Reihe von Gedankenassoziationen, und durch diese kaum auszudenkende Tätigkeit des Gehirns wird das gesamte Wissen des Menschen täglich mit einem Eifer eingeübt, für welchen keine bewußte Geistesarbeit ausreichen würde. Nur so ist es verständlich, daß einem Mommsen schließlich sein stupendes Wissen jeden Augenblick bereitsteht; nur so ist es verständlich, daß dem Geiste des ärmsten Bauern seine kleinen Kenntnisse vom Wetter und von seinem Geschäfte mühelos zur Verfügung stehen. Bei der bekannten Enge des Bewußtseins wäre menschliches Denken überhaupt unmöglich, wenn die blitzschnellen Gedankenassoziationen nicht wären; diese Blitzesschnelle wird durch die unbewußte Einübung, welche ebenfalls ohne die Zeichen der Sprache unmöglich wäre, hervorgebracht. Die Enge des Bewußtseins wird durch die unbewußte Einübung der Sprache überwunden. Auch hier wieder steht die Übung als Wirkung der Ideenassoziationen am Eingang der Entwicklung, um in der oft beschriebenen Erscheinung, daß das Gedächtnis durch systematische Übung gestärkt werden kann, am Ende als Ursache zu erscheinen. Ich halte es für möglich, daß der Ursachbegriff, nachdem er durch ungezählte Jahrtausende die älteste und sicherste Hypothese des Menschengeistes gewesen war, nachdem er seit Hume rein begrifflich kritisiert worden ist, einmal durch die Entwicklung des Entwicklungsbegriffs in seinem Werte verändert werden wird. Und eine Korrektur des Ursachbegriffs wäre wohl die größte Revolution, dessen der kleine Menschengeist fähig ist.

Betrachten wir nun als die Grenzen der Menschheit nicht den Besitzer von zwanzigtausend und von fünfhundert Worten, nicht einen Schöpfer wie Shakespeare oder Bismarck und einen deutschen Bauer, betrachten wir als die Grenzen lieber einen Durchschnittsgebildete n mit seinem alltäglichen Schwatzbedürfnis und einen sogenannten Wilden mit seiner geringen Zahl konkreter Begriffe, so ist auf den ersten Blick das Verhältnis zwischen Ideenassoziation und Sprache bei beiden sehr verschieden. Beim Durchschnittsgebildeten, und nicht viel anders beim Durchschnittsphilosophen und Durchschnittsgelehrten ist wirklich die Sprache die Hauptquelle aller Assoziationen. Wir bemerken es im Parlament, im Hörsaal, im Salon, wie das eine Wort das andere hervorruft und die Sprache für den Redner, den Gelehrten, den Schwätzer genau so Brücken schlägt von einem Gedanken zum anderen, wie sie nach Schillers Wort für den Durchschnittsdichter dichtet und denkt. Man nennt das auch die Logik. Was wir an diesen Stätten der Durchschnittsbildung bemerken, was wir im Salon experimentell nachweisen können (ich kenne einen, der mehr als einmal durch ein absichtlich gesprochenes Wort bestimmte, vorhergesagte Gedankenassoziationen, Gespräche und Behauptungen aus scheinbar ganz selbständigen Menschen herauszog), das ist auch theoretisch aus den Gesetzen der Assoziation zu begründen. Die Fälle, in denen Ähnlichkeit und Gegensatz, ferner die Nachbarschaft in Zeit und Raum bei sinnlichen Wahrnehmungen Assoziationen erzeugen, müssen nämlich verschwindend selten sein gegen die Fälle, in denen Ähnlichkeit und Gegensatz, ferner die Nachbarschaft in der Zeit (aber auch im Räume) im Gebrauche der Worte Assoziationen erzeugen. Denn der provisorische Weltkatalog, welcher nach dem jeweiligen Stande der Weltkenntnis den Vorrat unserer Sprache ausmacht, ist langsam unter den Gesetzen der Assoziation entstanden.