Unbewußte Apperzeption
Ich habe schon gesagt, daß das Gedächtnis an den Knotenpunkten seiner Gleise, dort, wo es einen Stoß bekommt, wo eine "Hemmung" eintritt, zur Sprache, zum Bewußtsein wird. Das Geheimnis des Gedächtnisses wäre damit sogar schon enthüllt, — wenn es eben möglich wäre, diesen furchtbaren Gedanken ohne Rückstand in Worte zu kleiden. Das geht aber ja darum gerade nicht, weil das Bewußtsein sich nicht einstellt auf glatter Bahn. Es geht mir bei diesen schlimmen Ahnungen beinahe wie dem Pferde, dem das Fressen abgewöhnt werden sollte. Es stirbt gerade in der Zeit, wo es sich das Fressen beinahe abgewöhnt hatte. Ich weiß, warum die Sprache ihren Dienst versagt; aber sie versagt ihn trotzdem.
Diese Eigenschaft des Gedächtnisses, daß es — um es annähernd auszudrücken — auf glatten Gleisen schläft (wie der Müller beim Klappern der Mühle), bei jeder Entgleisung jedoch zu sich, zum Bewußtsein kommt, — diese Eigenschaft erklärt aufs einfachste das Unbewußte im Gedankenwachstum, oder in der Begriffsbildung, in den sogenannten unbewußten Apperzeptionen, dem schweren Kreuz der Psychologen.
Dieses Kreuz wäre freilich nie so schwer geworden, wenn die Herren nicht aus der Mathematik und Logik den Satz von der Identität gleicher Größen herübergenommen hätten, trotzdem der Satz in der Mathematik nur eine Hilf sannahme, in der Logik eine Tautologie ist.
Aber in der Psychologie, das heißt im Denken, in unseren Begriffen gibt es ja keine zwei gleichen Größen. Jede Begriffsbildung ist ja ein Schweben, ein Verschwimmen. Es gibt keine gleichen Bäume, es gibt keine gleichen Blätter, von denen die Begriffe oder Worte "Baum", "Blatt" übrig geblieben (abstrahiert) wären. Das nehme ich endlich als sicher an.
Tritt nun zu einem Begriff (der in unserem Sprachschatz ist) ein neuer Eindruck, so sind zwei Fälle möglich.
Entweder die Ähnlichkeit ist (subjektiv) so groß, daß die Bahn glatt abgelaufen wird, daß wir gedankenlos das alte Wort anwenden, das Ding "wiedererkennen"; dann gibt es die sogenannte unbewußte Apperzeption. Wir erblicken einen Baum und sagen gedankenlos "Baum". Der Unterschied ist (subjektiv, für unser Interesse) so gering, daß wir einfach schwatzend den Sprachschatz anwenden. Ebenso, wenn wir dem Herrn A oder B begegnen und sagen Herr A oder B.
Wir bejahen im strengsten Falle eine Frage nach der Identität. Und es ist eine richtige Sprachbeobachtung Steinthals, daß in jeder Bejahung oder Verneinung ursprünglich (jetzt noch bei ganz kleinen Kindern) ein Willensakt steckt. Spinoza hat diese Lehre (II, 49) schon philosophisch entwickelt und dazu sogar den ganz paradoxen Satz aufgestellt: "Der Wille und der Verstand sind ein und dasselbe." Alle guten Bekämpf er der formalen Logik haben das bei ihrer Lehre vom Urteil eigentlich anerkannt. Kant und die Engländer, wenn sie das Urteil "eine Handlung", "an act" nennen; Liebmann und Brentano, wenn sie das Urteil von der Assoziation trennen, auf die "Intention" hinweisen. Besonders scharf hat Jerusalem die Frage behandelt. Wir können im ersten Falle, dem der unbewußten Apperzeption, also auch cum grano salis von einem unbewußten Willen reden.