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Das politische Feigenblatt

Das Buchhändler–Börsenblatt ist das einzige Blatt, in dem nach den Satzungen des deutschen Buchhandels die Verleger den einzelnen Buchhändlern, den Sortimentern, ihre Bücher anzeigen können. Das Buchhändler–Börsenblatt weigert sich, Anzeigen aufzunehmen, die die aufklärenden Werke von Richard Grelling sowie andere rein pazifistische Werke ankündigen. Begründung: diese Werke fallen unter die Rubrik »unsittliche Literatur«.

Die Beurteilung dieser Werke durch den Vorstand des Buchhändler-Börsenvereins steht hier nicht zur Diskussion. Es ist jedem unbenommen, die Bücher Grellings, die die Frage der deutschen Kriegsschuld aufgerollt haben und bis heute noch nicht widerlegt sind, mit den schmierigen Büchern aus Budapest »Lolotte im Bett« und »Geheimnisse eines Schlafzimmers« gleichzustellen. Über Geschmacklosigkeit ist nicht zu streiten.

Anders liegt die Berechtigung der Herren. Der Schutzverband Deutscher Schriftsteller, der sich dieser Angelegenheit in dankenswerter Weise angenommen hat, fragte beim Buchhändler-Börsenverein dieserhalb an. Er bekam zunächst eine etwas dunkle Antwort und dann, als er bestimmter wurde, eine neue. Und die war offen.

»Der genannte Schriftsteller«, stand darin, »hat es sich angelegen sein lassen, nach Möglichkeit den deutschen Namen zu verunglimpfen.« Und: »Es hieße den Begriff der Unsittlichkeit verengen, wenn man ihn ausschließlich auf sexuelles Gebiet beschränken und nicht auch diejenigen Schriften dazu rechnen würde, die es sich zur Aufgabe gestellt haben, Deutschland noch tiefer zu erniedrigen und in den Sumpf zu ziehen.«

Wir haben es hier mit einem unerhörten Fall selbstherrlicher und ungesetzlicher Zensur zu tun, die um so schlimmer ist, als sie die Betroffenen auch wirtschaftlich tot macht. Nicht angekündigte Bücher verkaufen sich schwer.

Das Börsenblatt hat bereits einmal matt und ergebnislos versucht, den Vorwurf einer Einmengung in geistige Dinge zurückzuweisen. Wie es aber verfährt, wenn es »sittliche« Werke anzeigt, geht daraus hervor, dass es am 10. Mai 1920 eine Schrift des ehemaligen Obersten und jetzigen Hochverräters Bauer anzeigt. »Der 13. März 1920. Eine Aufklärung über Kapp-Lüttwitz von beteiligter und deshalb berufener Seite.« Ich weiß nicht, ob dieses sittliche Organ nicht nächstens auch Werke anpreisen wird wie etwa dieses: »Mein letzter Lustmord. Von Raubmörder Hennig. Eine Aufklärung über die sensationelle Bluttat in der Derfflinger Straße von beteiligter und deshalb berufener Seite.« (Aber das ist wohl hierorts so üblich: erst richtet man sein Land zugrunde, und dann schreibt man darüber ein Buch und holt die Spesen wieder heraus. Und nicht nur die Spesen … )

Ich fordere nicht, dass das Börsenblatt die Anzeige Bauers zurückweist. Wenn der Staatsanwalt sich das gefallen läßt, dass ein von der Reichsregierung durch Steckbrief gesuchter und unauffindbarer Mann einen Verleger hat und mit der Schilderung eines Verbrechens Geld verdient – uns wunderts nicht.

Wohl aber wäre es Sache der beteiligten Arbeiterorganisationen der Buchdrucker und der Buchhandlungsangestellten, das Börsenblatt zur Rede zu stellen, mit welchem Recht es sich erdreistet, eine – nebenbei nationalistische – Zensur zu treiben! Es hat Bücher anzukündigen – weiter nichts. Es hat Bücher anzukündigen – nicht das Volk zu erziehen. Mag es Werke und ihre Anzeigen ausschließen, deren Inhalt nach der Gesetzgebung strafbar ist – was sonst »unsittlich« oder »sittlich« ist, überlasse es zur Entscheidung den Lesern.

Die Schriftsteller sind heute noch nicht so mächtig, dass sie allein etwas ausrichten. Die Sortimenter scheinen nicht helfen zu wollen. Die Verleger unternehmen nichts. So wird – wie so oft in Deutschland – der Knüppel beim Arbeiter stehen bleiben. Auf ihn wird es ankommen. Er mag die Herren fragen, ob sie die alten seligen Zensurzeiten wieder heraufführen wollen.

Es kann eines Tages diesem sittlichen Blatt beikommen, arbeiterfreundliche Werke als unsittlich auszuschließen. Kameraden von der Buchdruckerzunft! Wo seid ihr?

Ignaz Wrobel
Freiheit, 05.06.1920.