Der Knochenzerschlager
Noske über die politische Lage: »Wenn einige Tausend einem Volk von sechzig Millionen die Gurgel zudrücken wollen, dann habe ich als Reichswehrminister keine Bedenken, ihnen die Knochen entzweizuschlagen.« Ich hätte Bedenken.
Ich hätte nämlich deshalb Bedenken, weil ich – wie der Minister auch – gesehen habe, dass mit dem »Zerschmettern« wenig herauskommt. Wilhelm, der kleinere Vorgänger Gustavs des Bleibenden, hat auch häufig solche Schmetterreden gehalten – mit welchem Erfolge, besagt Amerongen. (Wiewohl dem Minister dergleichen zu wünschen nicht freundlich wäre.) Ich hätte Bedenken, meinen Landsleuten die Knochen zu zerschlagen, weil zerschlagene Knochen noch niemals ein Argument gewesen sind. Und sie werdens auch diesmal nicht.
Bevor man so grausliche Drohungen in die Welt hinaustrompetet, muß erst einmal das eigene Reich in Ordnung sein. Ists das?
»Der Sergeant Drews vom Kan.-Zug 15 stand am 5. Dezember 1919 auf dem Bahnsteige des Lehrter Stadtbahnhofes und wurde von einem Menschen mit vorrevolutionärer Offiziersuniform wegen Nichtgrüßens angerempelt, auf seine Weigerung, ihm seinen Ausweis zu zeigen, tätlich angegriffen und mit dem Revolver bedroht. Dann ließ ihn der Mensch, Leutnant Heymann vom Reichswehr-Inf.-Regt. 29, durch einen Soldaten in Militärgewahrsam abführen. Nach dreitägiger Haft wurde Sergeant Drews durch Oberstleutnant von dem Hagen, Kommandeur des Reichswehr-Inf.-Regts. 29, dem der Kan.-Zug 15 zugeteilt ist, wegen dieses Vorfalles mit 28 Tagen Mittelarrest bestraft, deren Abbüßung ohne vorherige Belehrung über sein Einspruchsrecht vor Disziplinarbestrafungen und ohne die vor jeder längeren Arreststrafe sogar früher schon erforderliche ärztliche Untersuchung sofort nach ihrer Verhängung begann. Während der Arreststrafe reichte Sergeant Drews ein Gnadengesuch ein, um Weihnachten bei seiner alleinstehenden Mutter verleben zu können. Das von mehreren Durchgangsdienststellen befürwortete Gesuch wurde durch Oberstleutnant von dem Hagen abgelehnt. Er fragte beim Kan.-Zug 15 an, wann Sergeant Drews aus der Truppe entlassen werden würde. Der Antwort des Zugführers, Oberleutnant Hesse, Sergeant Drews würde nicht entlassen, folgte der Entlassungsbefehl für Sergeant Drews und die Kündigung für Oberleutnant Hesse.«
Diese Mitteilung stammt aus der Nr. [2?] der Nachrichten des »Republikanischen Führerbundes«, der mit allen Mitteln in der republikanischen Reichswehr des Ministers Noske unterdrückt wird.
Der Leutnant alten Stils, in diesem Fall der Leutnant Heymann, setzt also seinen schlechten Willen gegen den guten der wirklichen Republikaner durch. Er hat dem Befehl, die Achselstücke zu entfernen, sowie dem Grußerlaß nicht gehorcht – und setzt seinen Ungehorsam durch.
Wenn Noske, der der guten Sache durch seine Ungeschicklichkeiten schon unendlich großen Schaden zugefügt hat, in seinem eigenen Revier sich nicht durchsetzen kann, mag er gehen. Es ist ein Irrtum anzunehmen, dass nur er uns von dem Abgrund des Bolschewismus trennt. Der Bolschewismus und das wirtschaftliche Chaos – sie kommen, wenn sie kommen, weil nicht gearbeitet wird, und sie lassen sich vermeiden, wenn die Wirtschaft durch die Vernunft aller Kreise wieder in Gang kommt. Noske ist bei diesen Vorgängen völlig unerheblich.
Es ist nicht gleichgültig, wie die ausübende Gewalt eines Staates organisiert ist. Es ist aber nicht notwendig, dass sie immer reaktionär gesinnt ist – ich kann mir sehr wohl denken, dass sie gut republikanisch, antiimperialistisch und demokratisch denkt und doch stramm für Ordnung und Ruhe eintritt – wenns unbedingt sein muß, auch mit Waffengewalt.
Die Menschen sind keine Engel. Wir sind hier immer gegen die Macht der Maschinengewehre aufgetreten und sind für äußerste Zurückhaltung gewesen. Wenns aber durchaus sein muß, und wenn ein Minister den Staat nicht anders erhalten kann als mit brutaler Gewalt, so mag er dazu greifen, wenn alles andere nicht mehr durchgreift. Kein politisch denkender Mensch wird ihm deshalb Schwierigkeiten machen. Dann aber geschiehts aus bitterer Notwehr, und man rede nicht vorher vom Knochenentzweischlagen!
Unter keinen Umständen aber darf die Republik Deutschland dulden, dass ihre bezahlten Beamten das Geld vom Staate nehmen und damit antirepublikanische Obstruktion treiben. Die Unfähigkeit Noskes, gegen seine Helfershelfer aus sehr trüben Tagen aufzutreten, ist das schlimmste Bolschewistenplakat, das es gibt. Wie lange wollt ihr es noch kleben lassen?
Ignaz Wrobel
Berliner Volkszeitung, 24.02.1920, Nr. 100, S. 2.