Wo bleiben deine Steuern?
Vor mir liegt der Entwurf des Reichshaushaltsplanes für das Rechnungsjahr 1920. Im ersten Bande befindet sich der Haushalt des Reichspräsidenten, des Reichstags, des Reichsministeriums, des Reichskanzlers und der Reichskanzlei, des Reichsministeriums des Auswärtigen, des Reichsministeriums des Innern, des Reichswirtschaftsministeriums, des Reichsarbeitsministeriums, des Reichswehrministeriums. Die Haushalte der ersten sieben Dienststellen nehmen zusammen 313 Seiten ein – der Haushalt des Reichswehrministeriums umfaßt 255 Seiten.
Der Gesamtetat für das Heer von hunderttausend Mann einschließlich der Marine beträgt für das Rechnungsjahr annähernd fünf Milliarden Mark.
Diese Organisation, die bestenfalls eine ungeschulte Polizeitruppe darstellt und ohne Erlaubnis der Entente niemals vor den Feind kommen kann, ist noch nicht zwei Jahre alt. Am 9. November 1918 war das deutsche Volk aufgewacht und hatte erkannt, dass ein schlimmerer Feind als der jenseits der Schützengräben hinten in seinen Generalkommandos saß. Im Januar 1919 sammelte sich der Sozialdemokrat Gustav Noske mit einem Grafen Bismarck Offiziere und Mannschaften von der Straße auf, bekämpfte mit ihnen die klassenbewußten Arbeiter, schützte die Banken und erreichte in kürzester Zeit, dass ein neues Heer erstand. Ein Heer, das aus der großen Zeit jene verschwenderische Überorganisation, jenen bunten und lauten Apparat übernahm, ohne auch nur eine Leistung der alten kaiserlichen Armee aufweisen zu können. Die Arbeit, die da geleistet wird, ist ganz und gar eine Arbeit in sich. Die Reichswehr erinnert an eine Lokomobile, die das Holz, mit dem sie geheizt wird, selbst sägt.
Die folgenden Zahlen werden das Bestreben der leitenden Offiziere aufdecken, möglichst viel Kastenkameraden unterzubringen. Sie arbeiten alle, gewiß. Jeder, der die Verhältnisse kennt, weiß, dass sich preußische Dienststellen gegenseitig so viel Aktenarbeit machen können, wie sie wollen. Diese Arbeit ist unproduktiv. Die Arbeitslosenunterstützung nach Chargen weist folgende Einzelheiten auf:
Seite 8 des Etats »Reichswehrminister. Ausgaben für besondere Zwecke 4 Millionen. Die Mittel sind übertragbar und stehen ausschließlich zur Verfügung des Reichswehrministers. Die Jahresrechnung unterliegt der alleinigen Prüfung des Reichswehrministers, der auch die Entlastung erteilt.« Welchem Zweck dient dieser schwarze Fonds?
Seite 15: Die Offiziere und höhern Beamten des Reichswehrministeriums erhalten eine sogenannte Ministerialzulage von zusammen 484800 Mark.
Seite 44: »Besondere Ausgaben. Übungsreisen, Übungsritte und Besprechungen im Gelände 1270200 M.« Die berühmten Kritiken mit anschließendem Frühstück in frischer Luft (»Was? 30 Kilometer Luftlinie ist das Dorf entfernt? Es wird schon einen näheren Feldweg geben!«) sind in aller Erinnerung. Dieses Heer darf nicht kämpfen. Und für die Verdauungsgalopps seiner Offiziere 1 Million?
Seite 68: Was man nicht deklinieren kann, sieht man als Nachrichtenwesen an. Die hunderttausend Mann haben sich so viel gegenseitig zu benachrichtigen, dass die »Andern persönlichen Ausgaben« des Nachrichtenwesens 2311000 M. und die »Sächlichen und vermischten Ausgaben« 2069000 M. betragen. Darunter befinden sich Futterkosten für 1300 Tauben und 145 Diensthunde. (Ist das der offizielle Ausdruck für Spitzel?)
Seite 76: Die Seelsorge der Reichswehr verschlingt insgesamt 601200 M. Es ist den Reichswehrangehörigen unbenommen, wie alle andern Leute in die Kirche zu gehen. Aber sie haben offenbar einen besonderen, einen uniformierten lieben Gott. Hat man schon jemals etwas von einem Feuerwehrpfarrer gehört?
Seite 88: Pferdehaltung 154129000 M.
Pferde mögen noch nötig sein. Wozu aber Heeresanwälte erforderlich sind, das weiß außer den Posteninhabern kein Mensch. Nach scheinbarer Aufhebung der Militärgerichtsbarkeit betragen die Kosten für die Rechtspflege im Heere 1376150 M. (Seite 78.)
Seite 218: »Gnadengebührnisse für die Ende März 1920 oder später mit Pension ausgeschiedenen Offiziere: 2000000 Mark.«
Aus Seite 249 geht hervor, dass an die Inhaber alter kaiserlicher Klunkerorden und Ehrenzeichen Ehrenzulagen von der Republik munter weitergezahlt werden. Die Summe überschreitet weit eine halbe Million.
Seite 150: »Reise- und Umzugsgebührnisse sowie Reisebeihilfen 2150000 M.« Wer das preußische Militär kennt, weiß, dass dies ein Gewerbe ist, das im Umherziehen ausgeübt wird. Wenn diese Wirtschaft mit den Versetzungen, Kommandierungen und Dienstreisen nicht wäre, hätte das von der Entente geduldete Trüpplein überhaupt nichts zu tun. Also macht es sich Scheinarbeit.
Der Geist der Reichswehr ist bekannt. Der Chef der Heeresleitung hat offen das deutsche Volk und damit den deutschen Feldsoldaten gegen die politische, also militärische Leitung während des Krieges ausgespielt und verhöhnt. Er hat sich und uns ein neues Sedan gewünscht. Man kann sich also ungefähr einen Begriff machen, wie die Erziehungsarbeit an dem republikanischen Reichswehrsoldaten aussieht. Seite 53: »Wenn die Reichswehr zu einer sicheren und zuverlässigen Stütze der Regierung herangebildet werden soll, muß neben der militärdienstlichen Schulung eine umfassende Fürsorgetätigkeit während der Dienstzeit einsetzen, die Geist und Sittlichkeit der Truppe hebt und fördert, dem Reichswehrangehörigen allgemeines staatsbürgerliches und politisches Verständnis vermittelt und vor allem sich außerdienstlich seiner annimmt und ihn der Versuchung der Straße entzieht.« Die Straße: das sind wir. Die Entziehung kostet 18570450 M. (Seite 54.)
Weil wir gerade von dem moralischen Geist der Reichswehr (und von dem Paasche-Mord) reden: die Sittlichkeit der Bendlerstraße verbietet nicht, der Reichswehr, deren politische Haltung während des Kapp-Putsches infolge ihrer schlechten politischen Erziehung durchaus zweifelhaft gewesen ist, noch Geld für einen versuchten Hochverrat zu bezahlen. Seite 43: »Bei Unterdrückung der Unruhen im März 1920 erwies es sich als notwendig, den Heeresangehörigen besondere Zulagen zu gewähren, deren Zahlung zum Teil bis Ende Juni 1920 stattgefunden hat. Es entspricht der Billigkeit, von der Einziehung der Mehrbeträge abzusehen.« Wie sagt der Berliner? »So siehst du aus!«
Die Redensart »Es entspricht der Billigkeit« kehrt häufig in diesem lustigen Etat wieder. Es entspricht zum Beispiel auf Seite 21 der Billigkeit, »auch Unterzahlmeistern, Oberfeuerwerkern, Feuerwerkern, Zeugfeldwebeln und Schirrmeistern das Weiterdienen zu ermöglichen«. Sie werden als Unteroffiziere verwendet; das heißt: man braucht sie nicht. Aber man bezahlt sie doch.
Die Reichswehr war ursprünglich 200000 Mann stark und ist auf Befehl der Entente auf 100000 Mann verringert worden. Was tut der Deutsche, wenn er schon durchaus eine geliebte Dienststelle auflösen muß? Er wickelt ab. In dem ganzen großen Etat sind diese entsetzlichen Abwicklungsstellen noch gar nicht alle enthalten, aber auf Seite 33 bekommen wir einen Vorgeschmack: »Einschließlich 206 Zahlmeistern zur Erledigung der Abwicklungsarbeiten aufgelöster Reichswehrformationen. Für diese Arbeiten sind die Zahlmeister unentbehrlich.« Ein Gehalt ist manchmal auch unentbehrlich.
Ein Reichsmilitärgericht, das überflüssigerweise immer noch besteht, kostet 1434996 M.
Der Gesamtskandal ergibt folgendes Bild: Die Reichswehr ist 100000 Mann stark. Davon Offiziere: 4000 Mann. Unteroffiziere: 17627 Mann. Mannschaften: 78373 Mann. Rund gerechnet kommen also auf je 20 Mann 1 Offizier, auf je 5 Mann 1 Unteroffizier. Die Negerrepublik Haiti hat ein Heer, das besteht aus zwei Kanonen, einem alten Maulesel und einem General. Unsere Reichswehr hat 123 Obersten, 36 Generalmajore, 14 Generalleutnants, 4 Generale – in Generalsstellen befinden sich 54 Mann. Ein Hauptmann kommandiert durchschnittlich 100 Mann – wenn er sie kommandiert, was aber nicht der Fall ist, da viele Hauptleute in Schreiberstellen beschäftigt sind. Die Reichswehr hat im ganzen 41000 Pferde; jeder Offizier ist beritten, Stabsoffiziere haben zwei Pferde. Die Reichswehr hat 1806 Beamte.
Im Reichswehrministerium sitzen 577 Personen. Das Reichswehrministerium und die Heeresleitung kosten jährlich 15 Millionen.
Sie spielen große Zeit. Sie wirtschaften heute noch auf einem bankrotten Lande herum, als sei es belgische Etappe. Im Reichstag hat man sich neulich über die Besatzungskosten der Ententetruppen im Rheinland so sehr entrüstet und auch darüber, dass Deutschland dort die Katzen der Generalstöchter bezahlen müsse. Ein Land hat seine Katzen und ein anderes hat seine Affen. Wir haben unsere Reichswehr. Bevor ihr euch weiter entrüstet: Schafft euch doch erst einmal diese ungeheuerlichen Kosten vom Halse!
Die Soldatenspielerei auf dem Lande mit ihrem Milliardenetat wird nur durch die Eisenstirnigkeit der Marine übertroffen. Das soll in einem zweiten Artikel behandelt werden.
Und nur zwei ehrliche Zahlen stehen in dem ganzen Reichswehretat. Seite 4:
»Reichswehrministerium:
Einnahmen der Verwaltung des Reichswehrministeriums:
Verkaufserlöse und ähnliche Einnahmen … … 30 M.
Alle übrigen Einnahmen … … … … … … … … . 30 M.
Mithin Aktivwert der
republikanischen Reichswehr: … … … … … … . 60 M.
Ignaz Wrobel
Freiheit, 18.11.1920, Nr. 487, S. 1.