Reichswehrsoldaten zweiter Klasse
Die eine Stimme: »Hier Reichswehrminister Geßler.«
Die andere Stimme: »Hier von Seeckt.«
Die eine Stimme: »Ach bitte … Ich möchte Sie mal sprechen –«
Die andere Stimme: »Ich habe jetzt keine Zeit!« (Hängt ab.)
(Telefongespräch aus dem Reichswehrministerium)
Im Juli dieses Jahres erließ das Reichswehrministerium einen Entwurf zu einem deutschen Reichswehrgesetz. Der Entwurf wurde nach den Verhandlungen in Spa zurückgezogen und für die neue Reichswehr von 100000 Mann umgearbeitet. Der zweite Entwurf wurde auf der letzten Tagung der Heereskammer vom 29. September bis zum 1. Oktober beraten.
In beiden Entwürfen findet sich eine gefährliche Bestimmung. Der § 33 (im ersten Entwurf § 32) bestimmt:
»Die Angehörigen der Wehrmacht dürfen sich innerhalb ihres Dienstbereichs politisch nicht betätigen. Den Soldaten ist die Zugehörigkeit zu politischen Vereinen und die Teilnahme an politischen Versammlungen verboten. – Sie dürfen nichtpolitischen Vereinen mit Genehmigung des Vorgesetzten angehören. Untereinander dürfen sie sich mit Genehmigung der Vorgesetzten versammeln oder vereinigen. Für den Soldaten ruht das Recht zum Wählen oder zur Teilnahme an Abstimmungen im Reiche, in den Ländern und in den Gemeinden.«
Diese Fassung muß fallen.
Der offizielle Geist der Reichswehr ist schlecht. Geführt wird sie von dem preußischen Generalstäbler unseligen Gedenkens, dessen Typ sich augenblicklich bis zu den Bataillonsstäben herunter überall breitmacht. Dieser Offizierstypus hat bewußt und voller System den Frontoffizier aus seinen Stellungen verdrängt, weil der aus dem Kriege immerhin eine gewisse Portion demokratischen Empfindens mitgebracht hatte und die Leute nicht als Kerls, sondern als Männer behandelte. Davon will der zur Zeit maßgebende Teil des Offizierkorps in der Reichswehr nichts wissen. Noch herrscht da der schlechte preußische Ton: Anrede des Vorgesetzten in der dritten Person, das »Aufspritzen«, wenn ein Achselstück naht; der neue Reichswehrgruß, der den Mannschaften erlaubt, den Vorgesetzten stets durch den Mützengruß seine Ehrenbezeugungen zu machen, ist in vielen Garnisonen verboten, wo man vorzieht, den Mann nach wie vor wie eine Holzpuppe strammstehen zu lassen. Äußerlichkeiten? Gott sieht aufs Herz. Und wenn er aufs Herz sieht, entdeckt er hier eine Art von Soldatenspielerei, die kostspielig, politisch gefährlich und antidemokratisch ist.
Der Reichswehrminister zählt nicht. Wie sich ein Demokrat dazu hergeben kann, diese Offizierswirtschaft mit seinem Namen zu decken, muß er mit sich selber abmachen. Wir halten uns an Herrn von Seeckt und seine Offiziere in der Bendlerstraße, deren politische Gerissenheit ebenso groß ist wie die Leichtigkeit, mit der sie für eine Arbeit gegen die Republik von der Republik Geld nehmen.
Der Reichswirtschaftsverband deutscher Berufssoldaten will mit allen Kräften einen neuen deutschen Soldatentypus schaffen. Er hat bei aller Anerkennung der menschlichen Qualitäten einzelner Kapitulanten die Untauglichkeit des alten preußischen Unteroffiziers erkannt und mißt die Schuld an dessen Verhaßtheit und seinem kulturellen Unwert ausschließlich dem System bei. Hier will der Reichswirtschaftsverband einhaken. Er ist unpolitisch. Er will die straffe wirtschaftliche Organisation der Berufssoldaten, um ihre billigen Ansprüche als Arbeitnehmer gegen ihren Arbeitgeber, den Staat, durchzudrücken. Er will ihre Zusammenfassung aber auch, weil er sich mit Recht sagt, der Zivilversorgungsschein allein, das gesetzliche Muß allein genüge noch nicht, um dem entlassenen Reichswehrsoldaten nach fünfundzwanzigjähriger Dienstzeit diejenige Stellung im Beamtenkörper der Republik zu verschaffen, die ihm not tut. Das ist richtig erkannt: Der Reichswehrsoldat ist während seiner Dienstzeit einmal der bewaffnete Schützer der Ordnung und zum andern ein Beamtenaspirant. Soll er, stumpf und dumpf gehalten, nachher von Kollegenschaft und Publikum mit scheelen Augen angesehen werden? Der Reichswirtschaftsverband will seine Soldaten zu guten Republikanern erziehen.
Die Reichswehr tut nichts. Man hat nach Spa wiederum zwei Sichtungen angesetzt, in denen man »auf Grund der moralischen Beschaffenheit« wiederum Zehntausende auf die Straße gesetzt hat (dieser Scherz kostet der Republik 40 Millionen), und der Hieb der Entlassung hat vor allem jene Unteroffiziere und Mannschaften betroffen, die in den Tagen des Kapp-Putsches ihren hochverräterischen Offizieren die Gefolgschaft verweigert haben. Man kann jede Schiebung, wie wir alle aus dem Kriege wissen, »militärdienstlich« begründen, und man tut es auch. Beweisbar ist so etwas nicht. Aber keine Beleidigungsklage kann aus der Welt schaffen, dass eine ganz bestimmte politische Tendenz der Bendlerstraße aus der Reichswehr einen nationalen Kriegerverein zu machen entschlossen ist.
Die anständige Mannnschaft leidet darunter. Sie leidet unter dem alten Kasernenhofton und unter einer neuen Kriecherei, die sich natürlich überall da einstellt, wo der Vorgesetzte über Sein oder Nichtsein: über die unkontrollierbare Entlassung zu entscheiden hat.
Die anständige Mannschaft der Reichswehr lehnt es ab, sich wiederum als Kriegsmaschine abrichten zu lassen, und wenn eine amtliche Werbebekanntmachung neulich einmal ausgesprochen hat, die erste Pflicht des Reichswehrsoldaten sei der Gehorsam, so ist demgegenüber zu sagen: Nein. Gerade jener hündische Geist, dessen schlechteste Resultate in den Generalstäblertypen des alten Heeres vorliegen, soll nicht wieder in die Reichswehr einziehen. Die Berufung auf die Disziplin ist ein Vorwand. Zwar kann nicht über das Kommando »Die Augen – links!« abgestimmt werden, aber die Front soll nicht aus Gewehrträgern, sondern aus Männern bestehen. So erzieht man keine. Man erzieht keine, wenn man die offenen und ehrlichen Kundgebungen des Reichswirtschaftsverbandes unterdrückt und verbietet. Man erzieht keine, indem man eine Heereskammer errichtet, wo 4000 Offiziere und 96000 Mann gleich viel Stimmen haben. (Und selbst in dieser Heereskammer wurde der § 33, der den Soldaten eine Koalitionsfreiheit nimmt, die jeder Güterbodenarbeiter hat, niedergestimmt.) Man erzieht keinen neuen Soldatentypus, indem man wieder und wieder den Rang und nicht die Persönlichkeit sprechen läßt. Wohin das geführt hat, zeigt dieser Krieg: in die Niederlage. Herr von Seeckt schweige von jenem Schlagwort: »Im Felde unbesiegt.« Die militärische Leitung hat versagt, weil sie Kriecher erzog und keine weit ausschauenden Männer.
Dieser Reichswehr tut als Gegengewicht eine straffe unpolitische Organisation der Reichswehrsoldaten bitter not. Schon ist es dem Reichswirtschaftsverband Deutscher Berufssoldaten geglückt, durch Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften die verhängnisvolle Kluft zwischen Zivil und Militär zu überbrücken. Die Generalstabsoffiziere reißen sie wieder auf, Tag um Tag. Man hat den Soldaten das Wahlrecht genommen und sie damit auf eine Stufe mit den Zuchthäuslern gestellt, und man sagt: Die Politik dürfe nicht in das Heer hineingetragen werden. Aber sie ist drin. Es wird in dieser Reichswehr eine bewußt nationalistische Politik gemacht, und es wird wieder, nach solchen vier Jahren, ein verächtlicher Menschentypus großgezogen. Wenn sich diese Offiziere nicht denken können, wie man nebeneinander und miteinander arbeitet, sondern nur eine stumpfsinnige Kastenordnung kennen, dann mögen sie abtreten. Ihre Zeit ist vorbei. Und wenn die Hälfte der Arbeit, die von den Kommandeuren und höheren Offizieren der Reichswehr darauf verwandt wird, immer neue Stellen und Ämter zu schaffen und diesen Fünfmilliardenetat weiter aufzuplustern, für eine verständige Förderung der Mannschaften eingesetzt würde, hätten wir berufsfreudigere Soldaten und – nach ihrer Entlassung – bessere Beamte.
Dem Reichswirtschaftsverband Deutscher Berufssoldaten gehören rund 60000 Reichswehrsoldaten an. Die lassen sich nicht einfach verbieten, denn es sind zum großen Leidwesen der Offiziere keine dummen Rekruten, sondern ausgereifte Männer.
Die Unterdrückung einer solchen Berufsvereinigung, die wirtschaftlich und kulturell die Soldaten fördern kann, ist der erste Schritt auf schlechter Bahn abwärts. Der Offizier mit dem Gesicht wie ein Sektplakat hat noch allemal als Untergebenen einen dämlichen Bauernburschen gebraucht, der aussieht wie ein Gesäß mit Ohren. Wir haben genug davon. Was sich da in der Bendlerstraße automobilfahrend und monokelbekleidet herumdrückt, ist nicht berufen, die militärische und menschliche Erziehung von 96000 Unteroffizieren und Mannschaften zu übernehmen.
Der § 33 des geplanten Reichswehrgesetzes muß fallen. Wenn der Mantel fällt … Es wäre nichts dagegen einzuwenden, wenn wir statt des Herrn Geßler einen Reichswehrminister bekämen, der hier und da auch etwas zu sagen hat – und statt des Herrn von Seeckt und seiner Kavaliere Männer, die das Vertrauen der Wehrmacht und des Volkes haben. Dieser hat nur einen hohen Kragen.
Und es wäre hübsch, wenn sich der wirkliche Chef des Reichswehrministeriums Herr von Seeckt (und nicht sein Nachtportier) von den 14000 Mark Aufwandsgeldern, die er laut Kapitel 1 Titel 1 der Abteilung VIII a seines Etats bezieht, unter anderm anschaffte:
Die Bibel,
das Strafgesetzbuch,
Leo Tolstoi und
Knigges »Umgang mit Menschen«.
Der Berufsvereinigung Deutscher Soldaten ist zu wünschen, dass sie das, was jene andern unter Disziplin verstehen, so schädigen, dass sie nicht mehr wackeln kann und dass sie an ihre Stelle etwas anderes setzen: Die freie Selbstverantwortung eines gewissenhaften Republikaners.
Ignaz Wrobel
Welt am Montag, 15.11.1920.