Überzeugung. (Beredsamkeit) Wir sind von der Wahrheit einer Sache nur dann überzeugt, wenn wir durch inneres Gefühl empfinden, dass kein Zweifel dagegen statt habe. Bei der Überredung können noch Zweifel oder Ungewissheiten statt haben; aber entweder zeigen sie sich uns nicht oder sie sind nicht stark genug unsere Meinung oder unser Urteil zurückzuhalten. Die wahre Überzeugung entsteht bloß aus dem wirklichen Gefühle, dass die Sache nicht anders sein könne, als so wie wir sie erkennen. Sie wird aber selten anders als durch strenge, förmliche Vernunftschlüsse bewirkt; es sei denn, dass sie aus Gegeneinanderhaltung bloß zweier ganz einfachen Begriffe folge, wie die Grundsätze, die man Axiome nennt als z.B. dieser, dass das Ganze größer ist als einer seiner Teile. Es gehört nicht hierher zu zeigen, wie die strengen Beweise, die zur Überzeugung führen, zu geben seien. Für den Redner schicken sich die strengen philosophischen Beweise, die in dem wissenschaftlichen Vortrage nötig sind, nicht. Für seine eigene Überzeugung aber muss er sie, wo sie statt haben, zu geben wissen. Nur als Redner muss er sie ganz anders vortragen.
Wahre Überzeugung der Zuhörer kann nur der Redner bewirken, der selbst überzeugt ist. Wir setzen also hier die Überzeugung des Redners voraus und haben nur zu betrachten, wie er sie anderen mitteilen soll. Ist er durch den mühesamen Weg einer genauen Untersuchung, zu der Richtigkeit und Vollständigkeit der Begriffe, so denn zu ihrer deutlichen Entwicklung und dadurch zur Überzeugung gekommen; so muss er nun, diesen Weg, den er mit vieler Mühe zurückgelegt hat, wie von einer Höhe übersehen; alle seine Krümmungen und steile Sprünge bemerken, um zu erforschen, wie er sie gerade und eben zu machen habe. Denn das was ihm schwer gewesen, muss er dem Zuhörer leicht machen. Im Grund hat also der Redner zur Überzeugung seiner Zuhörer keinen anderen Weg zu nehmen als den, durch welchen der Philosoph geht; beide geben Beweise, die im Wesentlichen dieselben sind. Was aber der Philosoph allgemein, abstrakt und kurz gedrungen sagt, wird von dem Redner durch besondere klare und leichtfaßliche Vorstellungen dem Anschauen ausführlich vorgebildet. Ein solcher Beweis ist im Grunde nur eine rhetorische Erweiterung eines strengen philosophischen Beweises. Wie der Philosoph die Begriffe durch Erklärungen deutlich und bestimmt angibt, der Redner aber durch Abbildung oder Vorzeigung der besonderen Dinge, aus deren Betrachtung sie sinnlich gefasst werden; so unterscheiden sich beide in ihren Arten zu beweisen.
Der Redner hat also zur Überzeugung seiner Zuhörer weit mehr zu tun als der Philosoph; er muss den Beweis, gerade so wie dieser, erfinden und vortragen: dann aber hat er erst den Text seiner Rede oder wenn man will, den Grundriss derselben. Nun muss er aus diesen Grundriss ein Gebäude aufführen, dessen Festigkeit und andere nach dem Zweck erforderliche Vollkommenheiten, nicht bloß Kenner einsehen, sondern jeder Mensch von gesunder Beurteilung, ohne große Mühe bemerke. Ich halte dieses für das Höchste in der Kunst des Redners; weil er hierzu sowohl seine Materie als das was zur Kunst der Rede gehört, in einem hohen Grad in seiner Gewalt haben muss.